Die Frau am Jakobsbrunnen — eine moderne Frau
Impuls zum 3. Fastensonntag 2017 im Jahreskreis A — 19. März 2017
Zenit.org, 17. März 2017, Peter von Steinitz
Im heutigen Evangelium hören wir die Geschichte von der Frau am Jakobsbrunnen, in der man in mancher Hinsicht die Menschen unserer Zeit wieder erkennen kann. Was hat sie mit uns gemeinsam?
Zunächst einmal ist sie ein ganz offener Mensch und lässt sich auf ein Gespräch mit Jesus ein, ohne sich daran zu stören, dass das nach den Konventionen nicht üblich ist. Zwar ist es Jesus, der als erster den alten Brauch durchbricht. Aber wir könnten sagen: typisch Jesus, er findet es töricht, dass Juden mit Samaritern keinen Umgang haben sollen. Wie oft erleben wir es, dass der Herr sich über solche von Menschen errichteten Schranken hinwegsetzt. Auf dieser Ebene treffen sie sich, und die Frau ist froh, einen Gesetzeslehrer getroffen haben, der ganz normal mit ihr spricht.
Ferner ist sie hilfsbereit. Mit grösster Selbstverständlichkeit wird sie ihm das Wasser geben. In dem sich daran anschliessenden Gespräch mit Jesus merkt man, sie ist interessiert und relativ gut informiert. Aber sie hat einige Fragen, die sie wahrscheinlich immer schon stellen wollte.
Dabei bemerkt sie allerdings nicht, dass der Herr sie behutsam und zielstrebig durch dieses Gespräch führt, denn er hat ihr gegenüber auch ein Anliegen. Welches Anliegen? Dasjenige, das der Herr immer hat: die Seelen zu retten.
Auch darin gleicht die Frau den Menschen unserer Zeit: sie ist selbstbewusst, weiss ihr Wort zu machen, hat aber in ihrem Inneren eine diffuse Vorstellung, dass doch, obwohl sie im Leben gut zurecht kommt, nicht alles in Ordnung ist.
Wie bei den Menschen unserer Zeit (und eigentlich den Menschen aller Zeiten) ist da etwas im Bereich des Geschlechtlichen. Als der Herr ihr auf den Kopf zu sagt, dass sie schon mehrere Männer gehabt hat, und der, mit dem sie jetzt zusammen ist, nicht ihr Mann ist, merkt sie, dass er “ein Prophet ist“.
Eines aber ist bei ihr anders als bei vielen modernen Menschen: sie versucht nicht, ihr Verhalten zu rechtfertigen und als normal hinzustellen. Nein, sie weiss im Grunde ihres Herzens, dass sie in der Sünde lebt, und das obwohl sie eine Heidin ist und die Moralvorstellungen des auserwählten Volkes der Juden nicht unbedingt teilt.
Souverän wie sie ist, versucht sie die Situation zu retten, indem sie ablenkt und ein allgemein religiöses Thema anspricht, das sie irgendwie beschäftigt, aber von dem sie weiss, dass das nicht ihr persönliches Problem ist. Sicher haben wir das auch schon einmal erlebt, wenn wir, in der Sorge um das ewige Heil eines Freundes, auf ein ganz persönliches religiöses oder sittliches Problem zu sprechen kamen. Sehr gerne wird dann auf ein allgemeines Thema ausgewichen, z.B. die Reichtümer die Kirche, die Hexenverbrennungen im Mittelalter oder – aktueller – die Missbrauchsfälle in der Kirche. Angesichts solcher Dinge wird der eigene Fehler dann doch relativ unbedeutend.
Wie wunderbar ist das Verhalten des Herrn! Natürlich merkt er, dass die Frau ablenken will, aber er geht auf die Frage ein, ob man in Jerusalem oder auf dem Berg Gott anbeten soll.
Dann kommen jedoch die Jünger aus dem Dorf zurück, und damit ist das Gespräch zuende. Aber Jesus hat sein Ziel bereits erreicht. Die Frau hat ihren Fehler eingesehen. Sie hat offensichtlich ein gutes Herz, das sich von Jesus hat ansprechen lassen.
Man kann davon ausgehen, dass sie ihr Leben ändern wird, denn sie ist von Jesus und der ihr geschenkten Befreiung so begeistert, dass sie ins Dorf läuft und ihre Landsleute ebenfalls zu Jesus führen will. Ja, man kann sagen, dass sie sehr klug vorgeht in ihrem apostolischen Bemühen. Jesus hatte ihr zu verstehen gegeben, dass er der Messias ist (was er sonst nie tat), und diese sensationelle Nachricht will sie weitergeben. Sie weiss freilich, dass es darauf ankommt, wie sie das weitergibt. Würde sie sagen: ich bin dem Messias begegnet, würde man ihr das nicht glauben. Aber sie sagt es anders: “Kommt her, seht, da ist ein Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe (welche Demut, das so zu sagen!), ob er vielleicht der Messias ist?“ (Joh 4,30).
Diese einfache, aber sehr kluge Frau, die das Herz auf dem rechten Fleck hat, kann uns tatsächlich helfen, der Wahrheit wirklich Raum zu geben. Nicht nur um uns, sondern auch in uns. Denn die Wahrheit wird uns bekanntlich frei machen.
Es fällt uns doch kein Zacken aus der Krone, wenn wir einen Fehler, den wir machen, einsehen und uns korrigieren. Die andere Lösung, die heute oft praktiziert wird, nämlich die Sache zu erklären und als gut hinzustellen, ist viel komplizierter und führt obendrein zu keinem brauchbaren Ergebnis.
Msgr. Dr. Peter von Steinitz war bis 1980 als Architekt tätig; 1984 Priesterweihe durch den hl. Johannes Paul II.; 1987-2007 Pfarrer an St. Pantaleon, Köln; seit 2007 Seelsorger in Münster. Er ist Verfasser der katechetischen Romane: „Pantaleon der Arzt“, „Leo – Allah mahabba“ (auch als Hörbuch erhältlich) und „Katharina von Ägypten“. Der Fe-Medienverlag hat einige ZENIT-Beiträge vom Autor als Buch mit dem Titel „Der Stein, den die Bauleute verwarfen“ herausgebracht.
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