Zwischen Angst und Hoffnung

Predigt beim Bischofshochamt am Hochfest der Gottesmutter Maria

Quelle
Diözese Linz

Neujahr, 1. Jänner 2017, Mariendom Linz

Achtung Stufe, Achtung Schwelle! Die Achtsamkeit auf Schwellen ist wichtig für ein kultiviertes Leben, gleichviel ob es sich dabei um Raumschwellen, Schwellen auf Strassen oder um Zeitschwellen handelt. Eine Verflachung oder gar Beseitigung zu vieler Schwellen führt zu einer Banalisierung des Lebens. Die Zeitschwelle an einem Jahresbeginn ist auch Anlass zu einem versuchten Ausblick in die Zukunft, die uns ja nicht vor Augen liegt.

Die Nacht an der Wende zu einem neuen Jahr ist weltweit eine fröhliche Nacht für gesunde und wohlhabende Menschen und deren Gemeinschaften, denen die Freude daran gewiss nicht ausgetrieben werden soll. Sie ist zugleich eine eher traurige Nacht für Menschen und ganze Völker in jenen Regionen unseres Globus, wo es Krieg oder kriegsähnliche Auseinandersetzungen gibt …

Zwischen Angst und Hoffnung

Angst fressen Seele auf, so heisst es. Ängste sind im Leben da: wirtschaftliche Ängste, die Angst, dass die Arbeit auffrisst, die Suche nach Sicherheit in Zeiten des Terrors und des Krieges. Ängste können sehr müde machen und misstrauisch. Manche haben Angst vor den kleinsten Aufgaben und Schritten. Alles wird zur Überforderung. Andere haben Angst vor allem Fremden und empfinden alle als Bedrohung, die nicht vertraut ist. Oder bei recht gut bekannten Kollegen regiert die Angst voreinander; es kommt zu Verdrehungen, Verzerrungen und auch Verleumdungen. Vergiftungen zerstören das Vertrauen. Energie kostet die Angst vor sich selbst. „Heute abends besuch ich mich; ich bin gespannt, ob ich daheim bin.” (Karl Valentin) Es gibt auch eine Angst vor der Begegnung, vor der Hingabe, vor einer Bindung, Angst vor Nähe. Schliesslich kann es auch die Angst vor einer Veränderung, vor der Verwandlung geben.

Die gestundete Zeit

Es kommen härtere Tage. Die auf Widerruf gestundete Zeit wird sichtbar am Horizont.

Ingeborg Bachmann

Alle unsere Jahre sind eine gestundete Zeit. Sie sind uns von Gott geliehen oder, wie Nichtglaubende zu sagen pflegen, vom Schicksal eingeräumt. Nie vorher hat es in der Geschichte Österreichs im Ganzen so viel Stabilität gegeben, wie wir sie in den vergangenen 70 Jahren erlebt haben. Das ist keine Versicherung für die Zukunft, aber eine Herausforderung zur Hoffnung: nicht zu einer irrationalen Hoffnung als bequemes Glücksspiel, sondern zu einer aktiven, einer tätigen Hoffnung … Wir bräuchten jedenfalls dringend stärkere Allianzen von Menschen, die einen ziemlich unegoistischen Idealismus und einen intelligenten Realismus miteinander verbinden.

Sie bringen in diesen grossen und raschen Wandel eine Kraft mit, die nicht nur von dieser Welt ist, die Kraft des christlichen Glaubens, der christlichen Hoffnung, der christlichen Solidarität.

Zuversicht an der Schwelle zu einem neuen Kalenderjahr ist Bereitschaft zu einer tätigen Hoffnung.

Hoffnung wird in poetischer Sprache oft mit einem Kind verglichen: kleines Mädchen Hoffnung. Es ist schwach und daher verletzbar. Es ist aber zugleich stark durch seinen Charme. Hoffnung kann enttäuscht werden und wird auch oft enttäuscht. Und doch lassen Menschen dieses Kind Hoffnung immer wieder in ihr Leben ein, weisen es nicht so ab, wie das Jesuskind von den Herbergswirten in Betlehem abgewiesen wurde. Hoffnung ist ja ein Lebensmittel. Man braucht viel davon, damit das Leben nicht verkümmert. Christliche Hoffnung zielt auf Jesus Christus als Punkt Omega der Weltgeschichte.

Am Beginn des Jahres 2017 steht der Segen. Segnen, das heisst, die Hand auf etwas legen und sagen: du gehörst in allem und trotz allem Gott. Einen Menschen segnen, das heisst, ihn gutheissen, ihn bejahen, für ihn sorgen. Segen ist die „Inanspruchnahme des irdischen Lebens für Gott” (Dietrich Bonhoeffer). Der Segen hat eine gemeinschaftsbildende Kraft in Situationen des Übergangs und des Abschieds. Dem Tod zum Trotz stiftet er vielmehr Trost und Lebenskraft. Der Segen Jesu überwindet den Fluch, er überwindet die Spirale er Gehässigkeit, der Gewalt, der Lüge und der Banalität.

+ Manfred Scheuer

Bischof von Linz

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