Vatican Magazin – Titelthema 10/2016

„Wir haben der Barmherzigkeit Gottes ins Gesicht geschaut“

Quelle
Manoppello – Diverse Beiträge
KathTube: Reliquien der Hoffnung – Das Turiner-Grabtuch

Fragen an Kardinal Kurt Koch nach der Göttlichen Liturgie der katholisch-orthodoxen Theologen-Kommission vor dem „Volto Santo“ von Manoppello

Von Paul Badde

Im nächsten Jahr wird es fünfhundert Jahre her sein, dass sich im Abendland die lutheranischen Brüder und Schwestern von der römisch-katholischen Kirche und dem Papst zu lösen begannen. Älter als die Reformation und die Aufspaltung der einen Kirche des Westens ist aber das grosse morgenländische Schisma und seine Spaltung der Christenheit in die römisch-katholischen Kirche im Westen und die orthodoxen Kirchen des Ostens, die viele Ursachen und eine lange Geschichte hat, und schliesslich im Jahr 1054 zwischen Rom und Konstantinopel offiziell vollzogen wurde.

Erst über neunhundert Jahre später, am 7. Dezember 1965, tilgten Papst Paul VI. in Rom und der ökumenische Patriarch Athenagoras in Istanbul – nach einer ersten Begegnung und Umarmung zum Epiphanie-Fest im Januar 1964 auf dem Ölberg von Jerusalem – gleichzeitig und feierlich  die gegenseitigen Bannflüche „aus dem Gedächtnis und der Mitte der Kirche und gaben sie dem Vergessen anheim “.
Fremd sind sich Ost- und Westkirche aber natürlich immer noch, vor allem in kultureller Hinsicht. Und uneins sind sich die orthodoxen Kirchen und ihre Patriarchen in vieler Hinsicht und bei vielen Fragen auch untereinander, weil sie ja kein Amt der Einheit haben und anerkennen. Im Gegenteil, eben dieses Petrusamt – und der so genannte „Primat“ des Papstes! – ist seit langem auch ein bedeutender Streitpunkt zwischen Katholiken und Orthodoxen, dem sich komplizierte spätere Streitfragen nur hinzugefügt haben, wie die der unierten Kirchen zwischen ihnen, die mit ihrer byzantinischen Liturgie der römisch-katholischen Kirche zugehören. All dies lässt den Dialog und eine vollständige Aussöhnung zwischen Ost und West oft und immer wieder fast menschenunmöglich erscheinen.

Theologisch sind sich die Kirchen immer noch sehr nah. Doch in der Realität und menschlich ist es unter ihnen oft „wie bei einer Scheidung, wenn man sich lange auseinandergelebt hat“, wie Kurt Kardinal Koch, der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen,  uns sagte. „Auch da ist es schwer, wieder zusammen zu kommen. Hier aber stehen tausend Jahre Trennung zwischen uns.“ Gemeinsam ist Katholiken und Orthodoxen aber natürlich auch das Evangelium, wo sie auf Latein und Griechisch und in allen anderen Sprachen beim Evangelisten Lukas lesen und lernen, dass „bei Gott kein Ding unmöglich“ ist.

Von eben solch einem schönen „Ding“ kann und muss hier heute aber kurz vor dem Ende des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit einmal berichtet werden. Gott sei Dank!

Denn nach dem schwierigen ersten Panorthodoxen Konzil in Kreta im Juni dieses Jahres feierten nun am 18. September 2016 Dutzende orthodoxe Bischöfe und Theologen gemeinsam mit dem Schweizer Kurt Kardinal Koch und dem argentinischen Leonardo Kardinal Sandri, dem Präfekten der Kongregation für die orientalischen Kirchen, und zahlreichen anderen hohen Geistlichen der römisch-katholischen Kirche auf Einladung Erzbischof Bruno Fortes von Chieti-Vasto die orthodoxe „Göttliche Liturgie des heiligen Johannes Chrysostomos“ – jedoch nicht in der orthodox-katholischen Grabeskirche von Jerusalem oder einer anderen ehrwürdigen Kathedrale der gemeinsamen Kirchengeschichte, sondern in der „Basilika des Heiligen Gesichts in Manoppello“,  unter dem Angesicht Christi, das dort seit dem Jahr 1923 über dem Hauptaltar ausgestellt ist.

Im Anschluss an den feierlichen Gottesdienst fragten wir Kurt Kardinal Koch,vor dem Hauptportal der Basilika nach seiner Einschätzung dieser historischen  Pilgerreise.

Herr Kardinal, Erzbischof Bruno Forte nennt das „Heilige Gesicht“ Christi, das  hier in Manoppello verehrt wird, den „Polarstern der Christenheit“. Für ihn gibt es keinen vernünftigen Zweifel, dass der Bildschleier mit jenem Schweisstuch Christi identisch ist, das Johannes in seinem Evangelium im heiligen Grab neben den Leinenbinden erwähnt. Ist das aber nicht auch aufreizend für die orthodoxen Mitbrüder?

Christen glauben an einen Gott, der sein konkretes Gesicht in Jesus Christus gezeigt hat. Und je näher wir das Gesicht Christi kennenlernen und je tiefer wir in ihm eins werden, um so tiefer werden wir auch untereinander eins. Deshalb ist es ein wunderschönes Ereignis, vor dem Antlitz Christi zu sein, zu beten, das Antlitz zu verehren, um ihn zu bitten, seinen Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen, dass wir die Einheit finden.

Katholiken haben den Orthodoxen gewiss einiges zu bringen. Umgekehrt ist es auch mit den Orthodoxen so, etwa mit ihrer Kultur der Ikonen-Verehrung. Könnte  es da sein, dass von diesem Tag an auch die Bilder neu begriffen und bewertet werden können in der katholischen Kirche – inmitten jenes gewaltigen „Iconic Turn“, den Medienwissenschaftler heute feststellen, wo Bildern ganz allgemein für die Kommunikation eine Rolle zukommt wie vielleicht nie zuvor?

Ja, das innerste Geheimnis der Ökumene ist ein Austausch der Gaben. Jede Kirche hat ihre Gaben. Und eine besondere Gabe der Orthodoxie sind die Ikonen. Ich glaube deshalb schon, dass auch viele Christen im Westen einen neuen Zugang finden zu den Ikonen und so den Glauben vertiefen können. Das ist ein grossartiges Geschenk. Es ist sehr wichtig, dass wir auch in der westlichen Tradition das Bild wieder neu schätzen. Wir haben durch die Reformation im sechzehnten Jahrhundert einen ganz neuen Akzent auf das Wort gesetzt. Aber das Wort ist ja Fleisch geworden. Das Wort ist sichtbar geworden. Deshalb gehören auch die Bilder mit zum Glauben dazu. Das ist das Geschenk der Orthodoxen, das wir dankbar entgegennehmen.

In Chieti ging es in diesem September innerhalb der Kommission, die nun nach Manoppello gepilgert kam, um die delikate Frage der theologischen und ekklesiologischen Beziehung zwischen Primat und der Synodalität im Leben der Kirche, also um das Petrusamt und das Amt aller Bischöfe. Vor zehn Jahren kam Petrus in der Gestalt von Papst Benedikt hierhin. Seitdem hat es eine ungeheure Wende gegeben in der Beurteilung dieses Bildes von Manoppello. Seitdem ist es weltbekannt geworden. Heute ist die Versammlung der Bischöfe gekommen. Was denken Sie, welche Bedeutung dieser Pilgerreise einmal beigemessen wird,  in der sich die Synode hier versammelt hat?

Es ist sehr schön, dass wir nach zehn Jahren an diesem Jubiläum hierhin kommen durften. Papst Benedikt ist im Namen der ganzen katholischen Kirche gekommen. Heute ist Kirche aus Ost und West hier gegenwärtig. So kann dieses Jubiläum vielleicht auch auf der Suche nach der Einheit zwischen der Kirche in Ost und der Kirche im Westen helfen.

Sie sind als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen in Rom verantwortlich für die Ökumene. Von Papst Franziskus gibt es dazu das Wort: „Schaut auf Christus und geht mutig voran!“ Was würden Sie da heute, wo Sie in dieser Verschiedenheit von Ost- und Westkirche vor diesem Bild Christi in den Abruzzen zusammengekommen sind, sagen, welches der nächste Schritt wäre, mutig auf Christus zuzugehen?

Wir sind eigentlich immer auf dem Weg zu Christus hin. Denn es ist ja sein Wille, dass wir die Einheit finden. Das ist nicht ein menschliches Projekt. Christus selbst hat am Vorabend vor seinem Leiden gebetet, dass die Jünger eins sein sollen, damit die Welt glaubt. Die Glaubwürdigkeit des Zeugnisses hängt davon ab, dass wir eins sind. Das ist ja auch ein besonderes Anliegen von Papst Franziskus, wenn er sagt, wir müssen denselben Weg gehen auf Christus hin, dann werden wir die Einheit finden.

 „Misericordiae Vultus“ heisst die Verkündigungsbulle, mit der Papst Franziskus dieses Heilige Jahr der Barmherzigkeit angekündigt hat, nach ihren ersten Worten auf Latein. Das „Gesicht der Barmherzigkeit“ hat diesem Jahr damit seinen ganz besonderen Sinn gegeben. Was empfinden Sie da, wenn Sie heute hier vor dem barmherzigen Blick Jesu stehen, der uns aus diesem Wunderschleier anblickt?

Es ist eine wunderschöne Botschaft, dass wir einen barmherzigen Gott haben dürfen, bei dem wir wissen, dass es für ihn keine hoffnungslosen Fälle gibt. Mag ein Mensch noch so tief gefallen sein. Er kann nie tiefer fallen als in die Hände Gottes hinein. Dieses Angesicht nun wirklich sehen zu können, ihm zu begegnen, ist natürlich eine wunderbare Vertiefung dieser Botschaft des Heiligen Jahres. Die Menschen heute haben nichts nötiger als die Barmherzigkeit Gottes. Und wenn sie in das Gesicht des barmherzigen Gottes schauen dürfen, ist das ein wunderbares Geschenk.

Und was werden Sie Papst Franziskus von diesem Ereignis berichten, falls Sie die Gelegenheit dazu bekommen?

Ich werde ihm sicher sagen, dass wir seiner grossen Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes ins Gesicht geschaut haben. Und dass dieses Gesicht wichtig ist für die ganze Kirche. Das ist gleichsam das Aushängeschild der Kirche: das barmherzige Gesicht Gottes!

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