Was ist das? Bosheit? Ignoranz?“
Papst-Interviewer und -Biograf Peter Seewald über deutsche Grossmeister des Papst-Bashings und die Grösse Benedikts XVI.
Quelle – Die Tagespost, 14. September 2016
Kath Tube: Sankt Michaelsbund – Papst Benedikt XVI. besucht Bayern 2006 – Grosse Dokumentation
Papstbesuch in Deutschland (65)
Von Oliver Maksan
Herr Seewald, der neue Gesprächsband mit Papst Benedikt hat schon eine kirchenpolitische Kontroverse in Deutschland ausgelöst. Der Jesuit Andreas Batlogg griff den Papst an, weil dieser die unter Angestellten der deutschen Kirche verbreitete Gewerkschaftsmentalität getadelt hatte. Überraschen Sie diese Reaktionen?
Nein. Das Papst-Bashing hat ja in Deutschland ein paar Grossmeister hervorgebracht. Benedikt XVI. sprach einmal von „sprungbereiter Feindseligkeit“. Für manche ist es dann eine Gelegenheit, einmal ein wenig Aufmerksamkeit zu bekommen. Batlogg behauptet, Benedikt würde seinen Nachfolger kritisieren. Das Gegenteil ist der Fall. Man spürt in den Aussagen über Franziskus eine brüderliche Herzlichkeit. Unser Interview ist auch keine Rechtfertigungs- und schon gar keine Streitschrift. Es war als Hintergrundinformation für eine Ratzinger-Biografie gedacht. Wer diese Genese verschweigt, betreibt Manipulation. Benedikt hat damit auch keinen Wortbruch begangen. Er hat sich zurückgezogen und mischt sich nicht ein. Dabei bleibt es. Die „Letzten Gespräche“ sind ein historisches Dokument und eine unverhoffte Chance, noch einmal authentische Auskunft zu bekommen, ohne mediale Verzerrung. Ein Deutscher wird Papst! Wer hätte das nach dem Terror, den diese Nation mit der Naziherrschaft über die Welt brachte, für möglich gehalten! Wir haben hier die Lebenserinnerungen eines global players und den Blick auf eine Jahrhundertbiografie, wie es sie kein zweites Mal gibt.
Die Kritik von Batlogg lautet, das Buch sei „stillos und taktlos“
…… und das Buch dürfte es gar nicht geben. Der Herausgeber der „Stimmen der Zeit“ möchte den emeritierten Papst dann nicht nur mundtot machen, sondern ihm auch die weisse Soutane ausziehen und der Weltkirche vorschreiben, wo ein emeritierter Pontifex künftig zu wohnen habe. Was Benedikts Kritik an der Kirche in Deutschland betrifft: Das ist keine Anklage, sondern die berechtigte Sorge eines Hirten. Er gab diesen Hinweis auch schon an anderer Stelle. Nicht zuletzt in der Freiburger Rede zur Entweltlichung, die niemand verstehen wollte. Seltsam: Wenn Franziskus die Kurie kritisiert, klatschen alle Beifall. Wenn Benedikt Probleme in seiner Heimat anspricht, ist man hell empört. Ich hätte mir gewünscht, man würde da besser einmal hinhören, als immer nur mit brüsken Zurückweisungen zu reagieren. Aber offenbar haben viele bis heute nicht realisiert, dass Kirche und Glaube in Deutschland sich in einer dramatischen Krise befinden.
Auch Daniel Deckers in der FAZ hat den Papst deshalb kritisiert.
Ja. Denn im „Im Ton der Verbitterung“ habe Benedikt sich eingemischt. Was ist das? Bosheit? Ignoranz? Ich versteh so etwas nicht. Denn wer nur vier, fünf Seiten in dem Buch liest, ist speziell von dem Ton der Milde beeindruckt, mit dem der Papa emeritus antwortet. Nicht zuletzt vom Eingestehen eigener Fehler. Die Münchner Abendzeitung schreibt, das Buch sei „frei von jeder Bitterkeit, heiter und freundlich.“ Ich meine, Deckers spricht über einen Mann, in dem die Welt einen der massgeblichen Denker der Gegenwart und den grössten Theologen auf dem Stuhl Petri sieht, aber er entblödet sich nicht, in seinem Einführungssatz voller Entrüstung wie ein Oberlehrer den Finger zu heben und den Papst an den Ohren zu ziehen: „Er kann es nicht lassen“, schreibt er da. Wie armselig! Kritik ist okay, aber so ein Unfug, mit dem man die Leser dann auch noch für dumm verkauft, schadet nicht zuletzt dem Ruf der eigenen Zeitung.
Sind das automatisierte Reflexe, auf die man sich auch weiterhin einstellen muss?
Ich kann Ihnen hier eine kleine Geschichte erzählen. Der Theologe David Berger wurde von einem Redakteur einer „grossen deutschen Tageszeitung“ aufgefordert, zum Zeitpunkt des Erscheinens der „Letzten Gespräche“ seinen Unrat, den er vor Jahren über Ratzinger ausgeschüttet und damit für Aufsehen gesorgt hatte, erneut aufzutischen. Aber Berger lehnte ab. Stattdessen entschuldigte er sich nicht nur bei Benedikt, er widerruft „mit zerknirschtem Herzen und gesenktem Haupt“ und anerkennt die enorme Bedeutung dieses Papstes, die er zuvor nicht habe erkennen können. Berger schrieb mir: „Dass diese Medien zu Benedikt jeden Unsinn mitgemacht haben, steht auf demselben Blatt. Ich hätte damals diesen Leuten den grössten Blödsinn erzählen können. Sie hätten es geglaubt, weil sie es glauben wollten.“
Es gab jetzt grosse Vorabdrucke in „Bild“ und in der „Zeit“. Sehen Sie in dem Buch auch eine Chance für das Glaubenszeugnis?
Nicht nur Katholiken finden darin Trost und Ermutigung. Eine Leserin schrieb mir, das Buch würde „die Tür für alle öffnen, die Sinn für und Freude an der Leichtigkeit, dem unschuldigen Genie und der kindlichen Heiligkeit von Menschen wie Papst Benedikt haben, der den Himmel ein bissl auf die Erde zu holen versteht“. Der emeritierte Papst versöhnt hier zudem die Menschen, die noch immer mit der Entscheidung zu seinem Rücktritt haderten. Um es deutlich zu sagen: Es geht bei diesem Buch im Grunde darum, den Zugang zu Benedikts Lebenswerk und Botschaft offenzuhalten. Und diese Botschaft ist nicht die Verkündigung seiner selbst, sondern die Verkündigung Jesu Christi.
Was hat Papst Benedikt bewogen, auch nach seiner Abdankung der Veröffentlichung der Gespräche mit Ihnen zuzustimmen? Wollte er die einzigartige Chance nutzen, zu Lebzeiten Einfluss auf die Deutung seines Rücktritts und Pontifikats nehmen zu können?
Keineswegs. Es geht, wie schon gesagt, weder um Rechtfertigung, noch um Anklage oder gar um Schönfärberei, sondern um Auskunft, um Information, um erhellende Einblicke in das Leben und die Arbeit eines der Hauptakteure der Zeitgeschichte. Benedikt XVI. war zunächst gegen die Publikation. Ich konnte ihn aber überzeugen, die Texte vorab zu veröffentlichen. Voraussetzung allerdings war, dass Papst Franziskus seine Zustimmung gibt. Mit dem Buch wird insbesondere auch den Spekulationen und Verschwörungstheorien über Benedikts Rücktritt der Boden entzogen. Genauso wie den ständigen Versuchen, den amtierenden gegen den emeritierten Papst auszuspielen. „Ich finde das gut“, so sagt Benedikt über die Art seines Nachfolgers. Was nicht heissen muss, dass er alles für richtig findet. Umgekehrt sagt Franziskus, Benedikt sei „ein grosser Papst“ gewesen. Er wolle sich anstrengen, so wörtlich, um mit der Hilfe Gottes „in derselben Richtung fortzufahren.“
Worin liegt Ihrer Meinung nach die Chance, wo der Nachteil, wenn Päpste Interviews geben?
Die „Letzten Gespräche“ machen deutlich, dass dieses Pontifikat alles andere als gescheitert ist. Auch wenn es Probleme gab wie die Williamson-Affäre oder Vatileaks. Aber Probleme gibt es auch unter Franziskus. Das Instrument des Interviewbuches mit direkter Frage und Antwort, das Benedikt XVI. mit unserem Buch „Licht der Welt“ in das Papsttum einführte, ist auch eine Reaktion auf die Mechanismen der modernen Medienwelt mit ihrem Tempo, mit den extremen Verkürzungen und Verdrehungen. Es ist kein Geheimnis, dass ein Teil der Presse der katholischen Kirche nicht unbedingt freundlich gegenübersteht. Bei Joseph Ratzinger war es geradezu eine Notwendigkeit geworden, ein Format zu haben, mit dem er unverkürzt und unverfälscht Rede und Antwort stehen kann, damit sich die Menschen selbst ein Bild machen können. Dieses Instrument sollte von Päpsten natürlich nicht inflationär genutzt werden, sonst verliert es seine Kraft. Aber das gilt auch für andere Verlautbarungen und das allzu viele Papier, das die Kirche produziert.
In welcher Atmosphäre haben die Gespräche stattgefunden?
In einer sehr angenehmen, auch wenn dabei stets die journalistische Distanz gewahrt wurde. Joseph Ratzinger ist nicht der Typ des jovialen Schulterklopfers, aber er macht es einem leicht, auch Fragen zu stellen, die ihn nicht schonen. Und er besticht durch die Geradheit seiner Antworten. Wobei die Schönheit seiner Sprache die Tiefe seiner Gedanken dann noch weiter in die Höhe trägt. Ich muss dazusagen: Jeder der unzähligen Zeitzeugen, mit denen ich bisher sprach – natürlich mit Ausnahme von Hans Küng –, schüttelt den Kopf über das mediale Bild, das von ihm immer noch gezeichnet wird.
War Papst Benedikt die Erschöpfung gegen Ende seines Pontifikates anzumerken?
Absolut. Er hat sich ganz gegeben, bis zur letzten Minute seiner Amtszeit. Wie er dieses Mega-Amt in seinem hohen Alter und mit seinen gesundheitlichen Gebrechen überhaupt bewältigen und dann auch noch bedeutende Enzykliken und die grosse, dreiteilige Christologie hinlegen konnte, ist für mich ein Rätsel. Die „Letzten Gespräche“ erzählen dann auch die Geschichte eines Dieners, der sein ganzes Leben in die Aufgabe der Verkündigung Christi stellt und sein eigenes Glück selbst den schwierigsten und undankbarsten Aufgaben unterordnet.
Was ist Ihrer Meinung nach die wichtigste Aussage im neuen Buch?
Das Interview räumt mit dem Unsinn auf, Benedikt sei die falsche Wahl gewesen, seine grösste Tat liege in seinem Rücktritt. Diese irre Formel, die sich eingeschlichen hat, widerspricht völlig der geschichtlichen Wahrheit. Hinzu kommt: Andere Päpste zeichnen sich vor allem durch ihr Pontifikat aus. Bei Ratzinger gibt es ein Werk, das auch unabhängig davon gross und bedeutend ist. Er ist nicht von ungefähr der meistgelesene theologische Lehrer weltweit, mit Auflagen in Millionenhöhe. Seine Synthese von Vernunft, Glaube und Leben hat Massstäbe gesetzt. Als „einfacher Arbeiter im Weinberg des Herrn“ dann nach Johannes Paul II. einen Übergang geschafft zu haben ohne jeden Bruch, war alleine schon eine Leistung, die niemand für möglich hielt.
Dennoch hat er starke eigene Akzente gesetzt.
Ich sehe es so: Er ist der Papst der Zeitenwende, ein Scharnier zwischen den Welten, einer, der die Brücke gebaut hat für das Kommen des Neuen – wie immer es auch aussehen mag. Seine wichtigste Mahnung ist, wenn er sagt: „Eine Gesellschaft, wo Gott abwesend ist, zerstört sich selbst. Das haben wir in den grossen totalitären Experimenten des letzten Jahrhunderts gesehen.“
Benedikt XVI. war der Papst, den sich das Konzil gewünscht hat. Und er war der Papst, der Papstsein am besten konnte – schon durch seine lange Vorbereitungszeit als Bischof und Präfekt. Er hat das Amt in einer einzigartigen Noblesse ausgeübt und viele Jahre lang, bis zur Williamson-Affäre, einen „Benedetto-Effekt“ ausgelöst, an den sich heute niemand mehr erinnern will. Bei ihm wusste jeder, dass das, was er verkündete, vielleicht unbequem sein mag, aber verlässlich der Lehre des Evangeliums entspricht. Er hat vor allem gezeigt, dass Religion und Wissenschaft, Glaube und Vernunft, keine Gegensätze sind. Dass gerade auch die Vernunft der Garant dafür ist, die Religion vor dem Abgleiten in irre Phantasien und in gewalttätigen Fanatismus zu schützen. Nicht zuletzt hat er vieles von dem angestoßen, was Papst Franziskus heute dankbar fortführen kann.
Sie schreiben derzeit auch an einer Biografie des Menschen und Papstes: Wo liegt da die Herausforderung?
Wir haben hier eine deutsche Jahrhundertbiografie, mit all den Höhen, aber auch den Tiefen einer geschichtlichen Persönlichkeit. Für den peruanischen Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa ist Ratzinger einer der bedeutendsten Intellektuellen der Gegenwart, dessen kühne Reflexionen Antwort geben auf die moralischen, kulturellen und existenziellen Probleme unserer Zeit. Aber hier ist vor allem auch ein geistlicher Lehrer, ein Kirchenvater der Moderne, der ein Schriftwerk hinterlässt, das nahezu unerschöpflich ist. Es ist also eine Unmenge an Stoff, den es zu bewältigen gibt. Der muss zudem in die Zeitläufte eingeordnet werden, um Handlungen und Aussagen überhaupt verstehen zu können. Etwa in die Situation nach den Erfahrungen der atheistischen Diktatur. Niemand hätte sich 1945 zu sagen getraut, das Christentum sei von gestern, wir brauchen es nicht mehr. Es war im Gegenteil die Rettung, es war die Zukunft.
Bei Ratzinger kommt hinzu, dass sein Leben tatsächlich nach einer Art Vorsehung zu verlaufen scheint. Er hat einen Auftrag, und den erkennt er. Für ihn will er als Apostel sein Leben geben. Ich muss sagen, je mehr ich erfahre, desto mehr staune ich. Die Frage wurde immer nur so gestellt: „Was macht Ratzinger alles falsch?“ Aber die eigentliche Frage wäre gewesen: „Warum macht er so vieles so verdammt richtig und gut?“ Ratzinger geht dabei immer aufs Ganze. Es geht ihm um die Gottesfrage, das heisst für den Menschen: herauszufinden, wer er ist. Ganz zu werden in der Hinwendung zu Schöpfung und Schöpfer, eine Menschwerdung anzustreben, wie sie im Evangelium Christi angeboten wird zur Vollendung des Lebens.
Ist Ihre Nähe zu Benedikt für Ihren biografischen Dienst dabei eher förderlich oder eher hinderlich?
Wohl beides. Durch die persönliche Nähe bekommt man ein intimeres Verständnis der Person. Man kann sie, überzogen gesagt, besser „lesen“. Andererseits: Wenn man schon über einen „Mitarbeiter der Wahrheit“ schreibt, sollte man sich erst recht um einen wahrhaftigen Bericht bemühen. Und dazu gehört, die nötige, kritische Distanz zu wahren. Eine Hofberichterstattung hat keinen Wert. Vielleicht dauert meine Arbeit auch deshalb so lange, weil es für einen selbst die Möglichkeit ist, einen Weg mitzugehen. Und da will man dann auch manchmal innehalten, um das auskosten und verinnerlichen zu können. Oder sich einfach daran zu freuen.
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