Goldene Rose aus dem Vatikan nach Altötting

Predigt des Päpstlichen Legaten Joachim Kardinal Meisner am 15. August beim Pontifikalamt zur Überreichung der “Goldenen Rose”

Quelle
Erzbistum Köln: Predigten, Ansprachen und Hirtenworte von Joachim Kardinal Meisner: Diverse Beiträge

Verehrter Herr Bischof, hochwürdiger Herr Altbischof Eder, liebe Mitbrüder im geistlichen Dienst, liebe, ehrwürdige Schwestern, liebe Schwestern und Brüder in Christus, dem Herrn!

Als Gesandter des Heiligen Vaters darf ich heute Unserer Lieben Frau von Altötting die Goldene Rose aus dem Vatikan nach Altötting bringen.

Es ist die persönliche Gabe des Heiligen Vaters an die Muttergottes von Altötting, die von seiner frühesten Lebenszeit an neben seiner leiblichen Mutter zu seiner geistlichen Mutter geworden ist. Noch kurz vor dem Konklave besuchte ich Kardinal Ratzinger in seiner Wohnung in Rom und brachte ihm eine kleine Marienikone, die man bequem in die Tasche stecken konnte. Ich erinnerte ihn daran, dass er in seiner Lebensbeschreibung seine Mutter als eine “Alleskönnerin” beschreibt. So etwas kann man auch von Maria sagen: Sie ist mit der Gnade Gottes eine “Alleskönnerin”. Ich sagte ihm, dem Kardinal, er solle sich diese kleine Ikone in die Soutanentasche stecken. Wenn dann im Konklave eine Mehrheit für ihn deutlich werden sollte, dann möge er uns nicht weglaufen, sondern er möge dann mit der Hand in die Tasche seiner Soutane greifen, um die Marienikone anzufassen und sich vergewissern: Joseph, du bist nicht allein, ganz im Gegenteil! Von diesen beiden Müttern umgeben und gehalten von ihren beiden guten Händen sollte er dann – wenn es Gott fügt – ein herzhaftes “Ja” sagen zu dem, was im Konklave geschehen wird. Gott hat es so gefügt, und Kardinal Ratzinger hat “Ja” gesagt, und es wurde uns Papst Benedikt XVI. geschenkt.

Die Päpste haben im Laufe der Geschichte wichtige Mariengnadenorte der Welt durch die Verleihung der Goldenen Rose geehrt. Nun bringe ich von Papst Benedikt XVI. die Goldene Rose zu Unserer Lieben Frau in sein geliebtes Altötting. Hier ist Maria den Bayern eine Bayerin und den Deutschen eine Deutsche. Sie gehört zu uns und wir zu ihr. Und indem der Heilige Vater ihr die Rose schenkt, sind wir alle mit beschenkt und ausgezeichnet. Nachdem der Papst bei seinem Besuch in Altötting vor beinahe zwei Jahren der Muttergottes seinen Bischofsring geschenkt hat und einen goldenen Rosenkranz, kommt nun als Drittes die Goldene Rose von ihm dazu. Das erinnert an das Magnifikat, in dem Maria sagt: “Der Herr hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig” (Lk 1,49). Er hat in Papst Benedikt XVI. auch Großes an euch Bayern und an unserem Vaterland getan. Erweisen wir uns dessen würdig!

Bei der Abschlussaudienz des neu gewählten Papstes Johannes Paul II. für seine polnischen Landsleute im Jahre 1978 sagte der polnische Primas Kardinal Wyszynski: “Heiliger Vater, wenn wir nun in die Heimat zurückkehren, werden wir – und das versprechen wir hier feierlich – niederknien und für Sie Löcher in die Steine beten.” Das sollten wir für Papst Benedikt XVI. auch tun!

Als der Abt von Heiligenkreuz in Österreich nach dem Papstbesuch vor einem Jahr gefragt wurde, worin der Grund liege, dass sein Kloster so viele geistliche Berufungen und die klösterliche Fakultät so viele Priesteramtskandidaten zur Ausbildung habe, antwortete er schlicht: “Wir tun eigentlich nichts Besonderes. Aber drei Dinge tun wir ganz selbstverständlich. Wir schämen uns unserer Berufung nicht. Darum tragen wir das Ordensgewand immer und überall, wo wir auch sind. Wir verehren die Muttergottes im Rosenkranzgebet, und wir verteidigen den Papst.” Das wäre eine gute Antwort der bayerischen Christen auf die Verleihung der Goldenen Rose: Wir bemühen uns um einen “unverschämten” Glauben, wir beten täglich den Rosenkranz, und wir verteidigen den Papst, wo immer er angegriffen wird.

Maria definiert sich als Magd des Herrn und nicht als Dame von Nazareth. Der Engel jedoch kennzeichnet ihr Wesen aus der Perspektive Gottes ganz anders, indem er sagt: “Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir” (Lk 1,28). Die Kirche feiert heute Maria als die von Christus glorreich in den Himmel Aufgenommene. Wer sich wie Maria Gott überlässt, der wird auch von Gott ganz übernommen. Wer sich wie Maria als Magd oder Knecht Gottes versteht, wird von Gott erhöht, wie er Maria groß gemacht und zu sich in den Himmel aufgenommen hat. Wo der Mensch Gott in seinem Leben Gott sein lässt, dort wird der Mensch groß. Wo aber der Mensch sich selbst zum Gott macht, dort verliert er Wert und Würde. “Er stürzt die Mächtigen vom Thron” (Lk 1,52), singt Maria im Magnifikat. Haben wir das nicht alle in den letzen zwanzig Jahren in Mittel- und Osteuropa erlebt, wo man eine Zivilisation ohne Gott aufbauen wollte und der Mensch dabei verloren ging?

Ich werde nicht vergessen: Als ich mit Papst Johannes Paul II. 1991 nach Tirana, der Hauptstadt Albaniens, reiste, wurden wir in der dortigen Nuntiatur aufgenommen. Über der Tür entdeckte ich das Wappen der DDR. Auf meine erstaunte Frage bekam ich die Antwort: “Bis vor einem Jahr war dieses Haus noch die Botschaft der DDR.” Jetzt aber ist es die päpstliche Botschaft. “Er stürzt die Mächtigen vom Thron”, so deutlich wie hier habe ich das nirgendwo erlebt. Damals hatte der Mensch weithin seine Krone als Kind Gottes und seine Würde als Bruder und Schwester Jesu Christi verloren und galt nur noch als Funktionär einer Ideologie, die den Menschen verachtete, weil sie Gott nicht kannte. Darum kennt Maria so genau die Menschen, weil sie so intensiv und umfassend Gott kennt. Deswegen kommen seit Jahrhunderten die Menschen nach Altötting mühselig und beladen mit ihren Sorgen und Bitten zu Maria. Hier wissen sie sich verstanden, hier wissen sie sich angenommen, hier wissen sie sich geliebt.

Marias Weg ist das Nachgehen der Fußspuren Christi. Als Gottesknecht begann er Weihnachten seinen Weg auf Erden, und als Herr und König der Welt vollendet er Ostern sein Werk. Mariens Weg ist daher auch unser Weg. Er hat für uns normativen Charakter. Am Anfang unserer Nachfolge Christi müsste ebenfalls – wie bei Maria – unsere ehrliche Selbsterkenntnis stehen: “Ich bin die Magd, ich bin der Knecht des Herrn”. Hier steht neben Maria in Altötting der hl. Bruder Konrad, der kleine Mann der kleinen Leute und zugleich der große Verehrer der Mutter Christi. Das hat ihn groß gemacht. Welche Antwort gibt der Mensch auf die Frage: “Wer bin ich? Magd des Herrn oder Knecht Gottes?” Die einen behaupten: Mein Leben gehört mir ganz allein, und spielen sich dabei als Herren über Tod und Leben ihrer ungeborenen Kinder auf. Andere reden davon, dass sie selbst ihr Leben in die Hand nehmen, ohne Gott und damit ohne Gnade, und dass sie ihr Leben dann auch wieder wegtun und wegwerfen, wenn sie es nicht mehr leben wollen. Mein Leben gehört allein mir: Abtreibung und Euthanasie sind die Symbole europäischer Lebensverhältnisse geworden, die man wohl nicht mehr Zivilisation nennen darf, als ob sich der Mensch selbst sein Leben gegeben hätte. Die so genannte Emanzipation von Gott hat aus der Magd und dem Knecht des Herrn die Herren über Leben und Tod gemacht. Gnade ist für einen Herrn keine Frage mehr. Sein Dasein steht dann unter der gnadenlosen Devise: “Was du nicht bis zu deinem Tod erjagt hast, ist für immer für dich verloren”. Von der Angst vor diesem Verlust werden die Menschen in einen unbarmherzigen Stress getrieben. Ohne Himmel ist der Mensch hoffnungslos überfordert.

Das Leben Mariens aber entlastet den Menschen. Das Fest ihrer Aufnahme in den Himmel zeigt, dass Gott alles vollendet, was in unserem Leben bruchstückhaft und unvollendet geblieben ist. Wir sollen nur tun, was wir können. Das aber wirklich und ganz. Alles andere dürfen wir dann getrost Gott überlassen. Es gibt eine Selbstüberforderung des Menschen, die purer Unglaube ist. Weil wir Menschen ohne Gott auf zweitrangige Ziele hin leben müssen, bleiben viele eigene Fähigkeiten und Energien unangefordert und ungenützt.

Damit werden wir zu schwach, um wirklich zu leben, zu schwach, Kraft und Einsatz für längst fällige Lebensentscheidungen zu erbringen. Dann stellt sich der Seelenkrebs ungelebten Lebens ein, d.h. konkret: Unlust, Missmut, Müdigkeit, Hoffnungslosigkeit, Pessimismus, Zweifel, eine Art Angefressenheit der Seelensubstanz. Dann greifen die Menschen zur Droge. Zu Gott gibt es keine Alternative! Der Mensch lebt nicht von Produktionsziffern und von Prozenten des Bruttosozialproduktes, der Mensch braucht Höhe, er braucht den Allerhöchsten wie Maria; der Mensch braucht Horizont, er braucht den Himmel wie Maria.

Was schenkt uns Maria, wenn wir nach Altötting kommen? Maria übergibt uns ihren Sohn, und zwar nicht irgendeinen blassen, aus den Evangelientexten herausdestillierten, so genannten historischen Jesus, sondern den ganzen Jesus Christus in seiner Fülle mit Gottheit und Menschheit, weil Maria ja die Gottesmutter ist. Mit Jesus bringt uns Maria die Kirche ins Haus, die ja Christi Leib ist, der fortlebende Christus. Maria ist darum auch gleichzeitig die Mutter der Kirche. Maria bewahrt uns vor einem Auswahlchristus nach unserem Geschmack. Ein Auswahlchristus wäre kein Christus, sondern eine rein menschliche Schöpfung, die ohne Bedeutung für das Heil des Menschen wäre. Damit bewahrt uns Maria zugleich vor einer Auswahlkirche, die keine Kirche ist, sondern höchstens eine Sekte, die ebenfalls ohne jede Bedeutung für das Heil der Welt wäre. Maria bringt uns den ganzen Glauben, den ganzen Christus, die ganze Kirche ins Haus und damit Glanz und Gloria in unser Leben.

Das Kennwort unter katholischen Christen heißt “ganz”. Katholizität heißt die Ganzheit des Glaubens. “Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken” (Mt 24,37). Maria garantiert uns die Katholizität. Katholisch sein heißt ganz und alles. Maria schützt uns so vor Einseitigkeiten und Sektierertum. Ist das Anwachsen der Sekten nicht eine Folge der Abwesenheit Marias im Volke Gottes? Marienverehrung ist für uns nicht eine Frage des Frömmigkeitsgeschmacks, sondern eine Existenzfrage für die Katholizität unserer Kirche.

Wo die Erde an den Himmel angekoppelt bleibt und der Mensch an Gott, dort erhält die Erde etwas vom Glanz Gottes, und sie bleibt bewohnbar für den Menschen. Wo der Mensch an Gott gebunden ist, dort erhält er schon auf Erden die Krone seiner Gottebenbildlichkeit und als Christ die Krone seiner Gotteskindschaft zurück. Was wir sind, Bürger dieser Erde, war einmal Jesus Christus und in seiner Nachfolge Maria. Was Maria heute ist, das dürfen wir mit der Gnade Gottes einmal sein: Freunde Gottes im Reiche Gottes! Wer sich Gott ganz übergibt – wie Maria – wird auch von Gott ganz übernommen. Wer keine Herkunft hat, der hat auch keine Zukunft. Wo kommen wir her? Von Gott selbst – wie Maria. Und wo gehen wir hin? Zu Gott – wie Maria. Und darum hat niemand in unserem schönen, gesegneten Land eine so faszinierende Zukunft wie wir als Christen, nämlich den Himmel. Als Erster ist Christus dort hingegangen. Gemäß seiner Weisung: Wo ich bin, dort sollt auch ihr sein (vgl. Joh 14,3), hat er Maria als zweiten Menschen nachgezogen. Und weil alle guten Dinge drei sind, bist du und bin ich der Dritte, den er nachzieht. Diese Zukunft dürfen wir heute feiern am Fest der Aufnahme der allerseligsten Jungfrau Maria in den Himmel.

Altötting gehört zu den großen europäischen Wallfahrtsorten. Europa lebt bis heute noch von Jesus Christus, den uns Maria gebracht hat. Nehmen wir aus Europa all das weg, was noch an Christus erinnert, die Kathedralen und Basiliken, die Kirchen und Klöster, die Wallfahrtsorte und Gnadenstätten, nehmen wir aus unseren Kirchen und Museen all die Bilder und all die Statuen heraus, die auf Christus und Maria hinweisen, nehmen wir die christlichen Krankenhäuser, Altenheime und Kinderheime weg, was bleibt dann von Europa noch übrig? Die schönsten Menschenbilder Europas sind Marienbilder. Europa ist dabei, sich von seinen Wurzeln abzuschneiden. Was bleibt dann noch übrig? Es vertrocknet, es verdorrt. Ist das nicht ein Bild für unsere Gesellschaften in Europa? Hölderlin sagt: “Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.” Der Mensch als Ebenbild Gottes braucht Gott, damit er nicht missbraucht und manipuliert wird. Menschlichkeit ohne Göttlichkeit verkommt im Chaos. Das heutige Fest der Aufnahme der allerseligen Jungfrau Maria in den Himmel ist das Programm Gottes für ein schon auf Erden gesegnetes Leben des Menschen. Maria in ihrer Vollendung ist die Einladung Gottes an uns. – Wohlan, nehmen wir sie an!
Amen.

Joachim Kardinal Meisner
Erzbischof von Köln

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