Jordanischer Prinz fordert Marshall-Plan für Nahost
Prinz Hassan war vor einer Woche mit etwa dreissig anderen Engagierten des interreligiösen Gesprächs zu Besuch im Vatikan
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Weltkonferenz für den Frieden
Die Hauptlast der Konflikte im Nahen Osten tragen nicht Deutschland oder die EU, sondern die Nicht-Öl-Länder der Region, allen voran Jordanien und der Libanon. Darauf macht der jordanische Prinz Hassan bin Talal aufmerksam. „Was Jordanien betrifft – wir waren im Jahr 1991 etwa zweieinhalb Millionen Menschen. Jetzt sind wir über neun Millionen! Wir hatten ungefähr alle zehn Jahre einen Krieg: 1948, ’56, ’67, ’73, und die Liste setzt sich fort mit den Irak-Kriegen und dem Krieg zwischen Irak und dem Iran. Jeder dieser Kriege bedeutete, dass vor allem Jordanien und der Libanon die Rechnung bezahlt haben – durch die Migration (von Menschen aus den Konfliktgebieten) und zuvor schon durch die palästinensische Migration… Im Augenblick geht die christliche Bevölkerung in der ganzen Region deutlich zurück, was ziemlich alarmierend ist.“
Prinz Hassan ist der Bruder des verstorbenen jordanischen Königs Hussein und ein Vetter des jetzigen Herrschers Abdullah II. Der polyglotte und vielfältig engagierte Muslim, der übrigens auch hebräisch spricht, ist ein Schwergewicht im Dialog der Religionen; eines seiner vielen Ämter ist das des Moderators der „Weltkonferenz Religionen für den Frieden“. Er bittet die internationale Gemeinschaft, speziell Jordanien und dem Libanon bei der Aufnahme von Hunderttausenden von Syrien- und auch Irak-Flüchtlingen zu helfen.
„Ich glaube, es wird einmal die Zeit kommen, da wir Flüchtlinge allmählich als das wahrnehmen, was sie wirklich sind: Opfer nämlich und nicht etwa Gewalttäter. Aber ich finde auch, es ist zu viel verlangt, dass gerade die ärmsten Länder der Region, vor allem die nicht-Öl-produzierenden, die grössten Lasten wegen der Verrücktheiten anderer tragen müssen.“
Eine Londoner Konferenz hat Anfang Februar mehr als elf Milliarden US-Dollar zusammengebracht, mit denen Syrien-Flüchtlingen in der Region selbst geholfen werden soll. Hassan hofft, dass sich die Geber an ihre Versprechungen halten. „Ob man diese Gelder nun in Infrastruktur, Schulbildung, Jobs oder die Wirtschaft steckt – sie sollten einen regionalen Stabilitätsplan ergeben. Es hat mich ziemlich beeindruckt, dass der US-Senator Lindsey Graham einen Marshall-Plan (für den Nahen Osten) gefordert hat. Ich hoffe, dass man diese Idee ernstnehmen wird… Um noch etwas weiterzugehen: Ich finde, dass man auf die Einrichtung einer Regionalbank für Wiederaufbau und Entwicklung hinarbeiten sollte. Es lässt sich nicht begreifen, warum unsere Region die einzige der Welt ist, wo es keine derartige Regionalbank gibt, so dass wir immer nur auf die Initiative anderer von ausserhalb unserer Region antworten können.“
„Den Blick nicht verengen“
Prinz Hassan war vor einer Woche mit etwa dreissig anderen Engagierten des interreligiösen Gesprächs zu Besuch im Vatikan. Er nahm hinter verschlossenen Türen am Dialog zwischen dem Vatikan und dem Königlichen Institut für Interreligiöse Studien aus Amman teil, auch den Papst hat er getroffen. Mit Franziskus ist er sich darin einig, dass Muslime und Christen in schwierigen Zeiten versuchen sollten, „Aufbauer“ zu sein. „Einfach gesagt: konstruktive Werte entwickeln. Ausführlicher gesagt: psychologisch und faktisch unsere Einstellung zu Territorium, Identität und Migration neu aufbauen. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen: Wie sehen wir auf die Menschenwürde ohne Diskriminierung und ohne Verengung unseres Blicks?“
In dieser Hinsicht erreicht der interreligiöse Dialog jetzt schon „einiges“, findet Hassan bin Talal. „Dazu gehört die praktische Arbeit, die Akademiker tun, welche genau beobachten: Wie sehen sich arabische Christen und Muslime heute gegenseitig? Und die mit Europa bzw. dem Westen reden: Wo können wir uns in der Mitte treffen, was Freiheiten, was eine gute Nachbarschaftspolitik, was auch die europäische Politik dem Nahen Osten gegenüber betrifft?“
rv 11.05.2016 sk
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