Wie 93 Flüchtlinge eine „unsichtbare Mauer“ überflogen

Das Leben riskieren um es zu retten: Bootsflüchtlinge auf dem Mittelmeer, an der “unsichtbaren Mauer”

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Sie kamen nicht per Boot, sondern ganz legal mit dem Flugzeug: Seit Montag sind 93 syrische Flüchtlinge in Rom. Ihnen kam ein humanitärer Korridor zugute, der erste dieser Art im Europa der Grenzzäune. Organisiert hat den Transfer unter anderen die römische Basisgemeinschaft Sant’ Egidio.

Paolo Morozzo della Rocca ist Experte für Einwanderungsrecht in Urbino; er arbeitet für Sant’ Egidio. „In den Jahren der Berliner Mauer hatten wir einige Dutzend Menschen, die von den Grenztruppen getötet wurden. Aber an der unsichtbaren Mauer quer durch das Mittelmeer ist es binnen kurzer Zeit zu 25.000 Toten gekommen! Man sollte also alles tun, um das Sterben auf hoher See und auch in der Wüste zu verhindern. Wir wollen Flüchtlingen eine Möglichkeit der legalen Migration eröffnen, die aus einer Region mit vielen kriegerischen Auseinandersetzungen kommen.“

Die Neuankömmlinge von diesem Montag sind zur Hälfte Kinder; sie kommen aus dem libanesischen Flüchtlingslager Tell Abbas. Die meisten stammen ursprünglich aus der syrischen Stadt Homs. Morozzo della Rocca ist sehr besorgt über die jüngsten Unruhen unter Flüchtlingen an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien. „Es ist traurig, zu denken, dass Flüchtlinge zunächst in die Ecke gedrängt werden, und sobald sie sich aus Verzweiflung dagegen wehren, machen sie der öffentlichen Meinung gleich Angst. Wenn man sie aufnimmt, stellt man schnell fest: Diese Kinder sind wie unsere. Diese Eltern sind wie unsere – sie sind wie wir.“

Pilotprojekt

Insgesamt soll das Pilotprojekt binnen zweier Jahre tausend Menschen nach Italien bringen; das Visum gilt nur für Italien und nicht für die gesamte EU, das ist eines der Details, auf die sich Sant’ Egidio und weitere Verbände mit der italienischen Regierung verständigt haben. Künftige Bedürftige sollen nicht nur in Flüchtlingslagern im Libanon ausgesucht werden, sondern auch in Marokko und in Äthiopien.

„Man muss sagen: Das ist eine Aktion, die wir zusammen mit den evangelischen Kirchen Italiens und der Waldenserkirche auf die Beine gestellt haben. Das ist also ein Beispiel für Ökumene, ein Beispiel dafür, wie christliche Kultur zu Politik werden kann… Ich finde, die Barmherzigkeit muss Aktion werden, sie muss auch zu Politik werden! Das Gegenteil von Krieg ist nicht etwa ‚kein Krieg’, sondern es ist Barmherzigkeit. Wenn wir Solidarität herstellen, können wir auch Frieden halten.“

Sant’ Egidio und seine Mitstreiter sind stolz darauf, dass sie gezeigt haben: Humanitäre Korridore für Flüchtlinge sind möglich. „Ich bin optimistisch, was die Menschen betrifft, die wir jetzt aufnehmen. Ich bin auch optimistisch für die, die noch kommen werden. Ich hoffe aber auch, dass das Modell einer dezentralen, familiären Aufnahme – also nicht in grossen Lagern, wo es schwer ist, die Menschenrechte komplett zu respektieren – Schule macht.“

rv 03.03.2016 sk

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