Abhängig von Ankara?

Im Vorjahr wurde Angela Merkel in Griechenland zum Feindbild erklärt, nun könnte sie zur Schutzpatronin aufsteigen

stephan baierVon Stephan Baier

Die Tagespost, 9. März 2016

Im Vorjahr wurde Angela Merkel in Griechenland zum Feindbild erklärt, nun könnte sie zur Schutzpatronin aufsteigen. Es war die deutsche Kanzlerin, die am Montag einem grossen Deal mit der Türkei den Weg bereitete und damit die Türe für eine bilaterale Kooperation zwischen den Erbfeinden Ankara und Athen aufstiess. Ohne das umfassende Angebot der Türken, alle irregulären Migranten, die über die Ägäis nach Europa gelangen, im Gegenzug für eine geordnete Migration syrischer Flüchtlinge nach Europa zurückzunehmen, würde Griechenland rasch im Flüchtlingschaos ertrinken. Spätestens seit Mittwoch Null Uhr – seit Skopje, Belgrad, Zagreb und Ljubljana ihre Grenzen für den Flüchtlingsstrom dicht machten – ist klar, dass nur ein Deal mit Ankara die Griechen noch retten kann.

Die Risiken und Nebenwirkungen des auf dem Verhandlungstisch liegenden Deals mit der Türkei sind mit freiem Auge zu erkennen: Die geforderten sechs Milliarden Euro gehen nicht an die Türkei, sondern an die Flüchtlinge und stürzen Europa nicht in Armut. Schwieriger sind die Visa-Liberalisierung und die Dynamisierung des EU-Beitrittsprozesses, die die Illusion einer Annäherung der Türkei ans vereinte Europa nähren und künftigen Frustrationen Vorschub leisten. Noch fataler ist das Signal, Europas Wohl und Wehe hänge ganz von Ankaras Gnade ab. Indem Europa seine Probleme und den Schutz seiner Aussengrenzen an einen Nachbarn „outsourced“ (wie Liberalen-Chef Verhofstadt formuliert), zeigt es sich erpressbar. Das ist immer riskant, besonders aber gegenüber dem selbstbewussten Erdogan, der zunehmend autoritär agiert und seinem Land eine dominante Rolle in der Region sichern will. Der Preis, den die Türkei in Brüssel für die Rücknahme der Flüchtlinge auf den Tisch gelegt hat, ist hoch, aber möglicherweise verhandelbar. Der Preis einer dauerhaften Abhängigkeit Europas von den Launen und den Interessen der Türkei ist dagegen sicher unbezahlbar. Für den Moment braucht die EU einen Deal mit der Türkei. Auf Dauer führt kein Weg daran vorbei, den Schutz der Aussengrenzen Europas in europäische Hände zu nehmen.

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