Fünf Jahre danach

Heute vor genau fünf Jahren zündete sich ein junger Mann in Tunesien selbst an

Von Oliver Maksan

Die Tagespost, 16. Dezember 2015

Heute vor genau fünf Jahren zündete sich ein junger Mann in Tunesien selbst an. Der Gemüsehändler Muhammad Bouazizi hatte der Demütigungen und der Polizeiwillkür genug, als er sich mit Benzin übergoss und in Brand steckte. Eine ganze Generation erkannte sich in ihm wieder. Das traurige, für den jungen Mann letztlich tödliche Ereignis war, wenn auch nicht Grund, so doch Anlass der Massenproteste, die folgten und bald “Arabischer Frühling“ genannt werden sollten. Wenige Wochen später bestieg Tunesiens Langzeitdiktator Ben Ali ein Flugzeug, das ihn nach Saudi-Arabien brachte. Als die tunesischen Proteste zu Beginn 2011 auch nach Ägypten überschwappten, war klar, dass ein Ereignis von regionalem Rang im Gange war. Mit dem Sturz Mubaraks, der das bevölkerungsreichste Land der arabischen Welt seit dreissig Jahren führte, zeichnete sich eine Zeitenwende ab. Als es dann auch noch zu einem Präsidentenwechsel im Jemen kam, als in Libyen ein Aufstand gegen Gaddafi losbrach und sich Syrien nach Jahrzehnten der Grabesruhe rührte, wurde deutlich, dass sich der arabische Raum fundamental veränderte. Die autoritären Staatsbildungsprojekte waren offensichtlich gescheitert. Staatsversagen führte vielerorts zu Staatszerfall. Es zeigte sich aber schnell: Es ist leichter, eine alte Ordnung abzuschaffen, als eine neue zu etablieren.

Von Anfang an war es indes falsch, zu glauben, eine demokratische Wüste würde durch Massenproteste über Nacht zu rechtsstaatlicher Blüte kommen. Anders als während des ungarischen oder während des Prager Frühlings fehlte jegliche demokratische Tradition, auf der man hätte aufbauen können. Vor allem fand die Neuordnung nicht in einem Vakuum statt. Die alten Regime gaben sich nicht einfach geschlagen – siehe Ägypten. Der unter Gaddafi eisern niedergehaltene Tribalismus begann, Libyen zu zerreissen. Dschihadisten witterten ihre Chance in Syrien, der politische Islam wollte Ägypten umwandeln. Und in Teheran, Riad und Ankara sah man die Stunde gekommen, die Karten in der Region insgesamt neu zu mischen.

Zu Recht darf man, was Dauer und Ausmass anlangt, von einem Dreissigjährigen Krieg sprechen, den die arabische Welt mit sich führt. Das Bündel aus Bevölkerungswachstum, dysfunktionaler Wirtschafts- und Staatsordnung, regionalem wie internationalem Hegemonialstreben, ethnischen Konflikten und religiösem Fundamentalismus a la “Islamischer Staat“ wird sich nicht schnell entwirren lassen. Hinzu kommt: In der arabisch-muslimischen Welt besteht schlicht kein Konsens über die Zukunft, nachdem sich die nationalistischen Utopien verbraucht haben. Von Tunesien abgesehen, das rohstoffarm, ethnisch und religiös homogen und am meisten verwestlicht ist, hat sich nirgends eine echte Alternative herausgebildet.

Sisi und IS bilden auf absehbare Zeit vielerorts die Enden des politischen Spektrums. Für die religiösen Minderheiten, die unter dem IS-Terror und dem islamischen Fundamentalismus insgesamt leiden, ist dies ebenso wenig ermutigend wie für die liberalen Kräfte, die sich wie eh und je staatlicher Repression ausgesetzt sehen. Dabei sind gerade sie es, die für die Durchsetzung von Pluralismus, Bürgergesellschaft und Freiheitsrechten dringend gebraucht würden.

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