Deutschland

Parlament beschliesst Verbot geschäftsmässiger Suizidhilfe

Die Erschaffung des Menschen 2Bundestag stimmt mit 360 gegen 233 Stimmen für Brand/Griese/Frieser-Entwurf – Kusch’s Verein kündigt Klage an.

Berlin, DT/dpa/kna/reh, 06. November 2015

Die auf Wiederholung angelegte, sogenannte geschäftsmässige Beihilfe zum Suizid ist in Deutschland künftig verboten. Der Bundestag beschloss am Freitag in Dritter Lesung einen entsprechenden, von einer Gruppe um die Abgeordneten Michael Brand (CDU), Kerstin Griese (SPD) und Michael Frieser (CSU) vorgelegten Gesetzentwurf mit 360 gegen 233 Stimmen. Neun Abgeordnete enthielten sich der Stimme. 28 hatten an der Abstimmung gar nicht erst teilgenommen. Vereine oder Einzelpersonen, die Beihilfe zum Suizid als Dienstleistung offerieren, drohen künftig bis zu drei Jahre Haft, wenn sie einem Suizidwilligen Beihilfe zur Selbsttötung leisten.

Zuvor hatte sich der Gesetzentwurf in Zweiter Lesung gegen drei andere Gesetzentwürfe durchgesetzt. Weil die Initiatoren aller vier Gesetzentwürfe sich zuvor nicht auf die Reihenfolge hatten einigen können, in der diese im Parlament zur Abstimmung zu stellen seien, wurde über sie – abweichend von der üblichen Geschäftsordnung des Bundestags – im sogenannten Stimmzettelverfahren abgestimmt. Dabei entfielen auf den Gesetzentwurf der Abgeordneten Brand, Griese, Frieser und anderen 309 der 599 gültig abgegebenen Stimmen. Der Entwurf der Gruppe um die Abgeordneten Peter Hintze (CDU), Karl Lauterbach und Carola Reimann (beide SPD), der die Einführung des ärztlich assistierten Suizids in Deutschland zur Folge gehabt hätte, erhielt 128 Stimmen. 52 Parlamentarier stimmten für den Gesetzentwurf der Gruppe um die frühere Verbraucherministerin Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) und die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linken, Petra Sitte. Der vor allem von Lebensrechtlern favorisierte Gesetzentwurf einer Gruppe um die CDU-Abgeordneten Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger und Hubert Hüppe, der ein Verbot jedweder Beihilfe zur Selbsttötung vorsah, erhielt 37 Stimmen.

In der mehr als dreistündigen, oft leidenschaftlich geführten Debatte wurde mit harten Bandagen gekämpft. Gegner einer Strafbarkeit der Suizidhilfe betonten, das Recht auf Selbstbestimmung müsse auch am Ende des Lebens gelten und warnten vor einer Kriminalisierung der Ärzte. Befürworter des Verbots verwiesen auf den Schutzauftrag des Grundgesetzes und warnten vor wachsendem Druck auf Schwerkranke, Alte und Depressive bei einem Regelangebot von Beihilfe.

Brand sagte, Kernanliegen seines Gesetzentwurf sei es “Hilfen auszubauen und den Missbrauch zu stoppen“. Es gehe nicht nur um Verbot, sondern um Schutz vor gefährlichem Druck. Griese betonte, die vom Bundestag jetzt beschlossene Regelung ändere nichts an der derzeitigen Situation der Palliativmedizin. Sie wandte sich aber gegen einen assistierten Suizid als ärztliche Regelleistung oder frei verfügbares Angebot. Es solle sich niemand “dafür entschuldigen müssen, dass er noch leben will“.

Hintze forderte hingegen, Ärzten müssten im “extremem Notfall“ auch wiederholt Suizidbeihilfe leisten können. Der Staat dürfe sie nicht bevormunden. Um einen Scharlatan zu erwischen, würden “tausende verantwortliche Ärzte mit Strafe bedroht“. Kern der Menschenwürde sei die Selbstbestimmung.

Künast betonte, es gehe um den Respekt vor der Freiheit des anderen, seinen eigenen Weg zu gehen. Auch Sitte sah keinen Grund für einen “Eingriff in die Souveränität“ des Bürgers. Sterbehilfevereine wie der von Kusch seien schon jetzt streng reguliert. Sie warf den Verbotsvertretern vor, ihre religiöse und weltanschauliche Mindermeinung einem säkularen Staat aufzudrängen.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) wies diesen Vorwurf zurück. Es gehe um die “Verteidigung der Rechtsschutzorientierung unserer Verfassung“. Sensburg betonte, “nicht durch die Hand, sondern an der Hand eines anderen soll der Mensch sterben“. Die Herbeiführung des Todes sei keine Sterbebegleitung. Die Gesundheitspolitikerin Elisabeth Scharfenberg (Bündnis 90/Die Grünen) betonte: “Es gibt kein würdeloses Leben. Es ist nicht würdelos, auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Es ist nicht würdelos, sich pflegen zu lassen.” Die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) sagte, drei der vier Gesetzentwürfe hätten verfassungsrechtliche Mängel. Jeder würde eine Klage nach sich ziehen, wenn er Gesetz würde.

Unmittelbar vor Abstimmung des hatte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Frank Ulrich Montgomery, an die Abgeordneten appelliert, einer Neuregelung der Sterbehilfe zuzustimmen. Die Haltung “besser keine Neuregelung als eine Strafverschärfung“ sei keine Lösung, sagte Montgomery. “Ich bin erschüttert über so viel Verantwortungslosigkeit. Die Erfinder dieser Idee führen das parlamentarische System ad absurdum. Es ist kindischer Trotz, gar keine Regelung zu bevorzugen, wenn man sich mit der eigenen Meinung nicht durchsetzen kann.“ Die Debatte hatte zuletzt deutlich an Schärfe zugenommen. Montgomery wies auch den Vorwurf zurück, der Gesetzentwurf der Abgeordneten um Brand, Griese und Frieser kriminalisiere Ärzte und beeinträchtige das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. “Die Debatte um die Kriminalisierung der Ärzte ist eine Scheindebatte, die Ärzte und Parlamentarier verunsichern soll“, sagte der BÄK-Präsident.

Der Verein Sterbehilfe Deutschland teilte mit, er werde “nach dem 30. November keine Suizidbegleitungen mehr ermöglichen“ und kündigt an, “nach Inkrafttreten des Gesetzes“ Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zu erheben.

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