Zu spät für Syriens Rettung
Syriens Präsident Baschar al-Assad scheint ein Überlebenskünstler zu sein
Die Tagespost, 11. September 2015
Syriens Präsident Baschar al-Assad scheint ein Überlebenskünstler zu sein: Unzählige Dschihadisten-Gruppen von der “Freien Armee“ über Al-Nusra bis zum IS wollen seinen Sturz, zwei von drei Regionalmächten (Saudi-Arabien und die Türkei) setzen seit 2011 auf sein Ende, zwei von vier Weltmächten (USA und EU) arbeiten seit Jahren am Regimewechsel in Damaskus. Und doch scheint im fünften Jahr des blutigen Kriegs eine “Lösung ohne Assad” unwahrscheinlicher denn je. Mit dem Wiener Atom-Deal hat sich der Iran – Assads grosser Verbündeter in der Region – aus seinem jahrzehntelangen Paria-Status befreit und ist wieder ein attraktiver Gesprächspartner für den Westen und seine nach lukrativen Investitionen lechzende Wirtschaft. Bei einem Besuch in Teheran brach Österreichs Aussenminister Sebastian Kurz das Tabu und sprach offen davon, dass Assad ein Verbündeter im Kampf gegen den IS sein könne.
Schliesslich stehe Assad in dieser Frage auf der gleichen Seite. Spaniens Aussenminister José Manuel Garcia-Margallo pflichtete bei: Zur Lösung des Konflikts sei ein Dialog mit Assad nötig. Sogar Britanniens Aussenminister Philip Hammond wirbt britisch-pragmatisch für eine Regierung der nationalen Einheit, in der Assad zunächst im Amt bleiben könne: “Wir sagen nicht, dass Assad und alle seine Gefolgsleute am Tag eins gehen müssen.”
Angesichts dieser Wendezeiten ging nun Assads weltpolitischer Verbündeter aus der Deckung. Als Washington in dieser Woche Russland vorwarf, Soldaten und Rüstungsgüter nach Syrien zu bringen, zuckte Moskau nur mit den Achseln: Russlands Aussenministerium konterte, Moskau mache kein Geheimnis daraus, Waffen und Rüstungstechnik im Rahmen geltender Gesetze nach Syrien zu liefern. Alle Waffen seien für den Kampf gegen den Terrorismus und für den Schutz der Grenzen gedacht, ergänzte der Chef einer russischen Rüstungsfirma. Damit ist die von Anfang an absurde These, in Syrien herrsche ein Bürgerkrieg, endgültig als Märchen entlarvt. Um Syrien tobt seit 2011 ein Stellvertreterkrieg von Regional- und Weltmächten, denen die Vorherrschaft in der Region wichtiger ist als die Menschen Syriens – einschliesslich ihrer Rechte auf Leben, Heimat, Religionsfreiheit und Selbstbestimmung.
In Washington hält man daran fest, Saudi-Arabiens Zugriff auf das nahöstliche Kernland zu unterstützen, doch in Europa dämmert einigen Politikern langsam, dass in Damaskus (um Churchill zu zitieren) “das falsche Schwein geschlachtet” werden soll. Nein, Europas Aussenpolitiker sahen den Widersinn des westlichen Kurses nicht, als ihre dschihadistischen Verbündeten christliche Dörfer stürmten und Priester ermordeten. Auch nicht, als Syrien im Chaos versank und Millionen Menschen vor den mörderischen “Rebellen” eine Zuflucht suchten. Nicht einmal, als der IS sein Kalifat ausrief und mordete, wo immer seinem pseudo-islamischen Totalitarismus nicht bedingungslos gehuldigt wurde. Sie erwachen jetzt, weil die syrischen Flüchtlingsströme über die Grenzen der Türkei nach Europa schwappten. Jetzt aber ist es zu spät für einen “Wandel durch Annäherung” des Assad-Regimes, zu spät für die friedliche Reform Syriens, zu spät für die Rettung der Einheit des Landes. Und leider auch zu spät für viele arabische Christen, die als Minderheit verwundbarer waren als andere – und nun am Verbluten sind.
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