“Die Kirche ist sichtbar geworden”
Mit gestärktem Selbstbewusstsein empfangen Kubas Katholiken den Heiligen Vater als “Missionar der Barmherzigkeit”.
Havanna, Die Tagespost, 19. September 2015
Vatikan: Apostolische Reise von Papst Franziskus nach Kuba, in die Vereinigten Staaten von Amerika und Besuch der Vereinten Nationen aus Anlass der Teilnahme am 8. Weltfamilientreffen in Philadelphia
Überlebensgross schaut das Bildnis des Revolutionärs Che Guevarra über den Platz der Revolution in Havanna, das Herz der Millionenmetropole. “Immer dem Sieg entgegen”, steht unter dem Bild des Mannes, der zur weltweit bekannten Pop-Ikone des revolutionären Kuba geworden ist. Die kulturellen und politischen Institutionen der kommunistischen Insel umstehen den Platz. Da ist die Parteizentrale oder der Sitz der kommunistischen Zeitung Granma. Neuerdings hängt an einem der Gebäude ein anderes Bild, das nicht unbedingt aus dem marxistischen Ikonen-Fundus stammt – das des barmherzigen Jesus.
“Kommt zu mir”, steht darunter. Kubas Revolutionär und der Erlöser der Welt in Sichtweite: Deutlicher lässt sich der Wandel nicht veranschaulichen, den die Stellung der Kirche im öffentlichen Leben Kubas in den letzten Jahren durchgemacht hat.
“Noch in meiner Jugend wäre das undenkbar gewesen”, meint der 41-jährige Antonoine Sedeno. Der Mann bereitet für die Erzdiözese Havanna, die am heutigen Samstag bereits den dritten Papst in nur 17 Jahren begrüssen kann, den Papstbesuch mit vor. “Vor dem Besuch Johannes Pauls II. 1998 hatten wir Angst, uns zum Glauben zu bekennen. Seither hat sich viel zum Besseren gewendet. Die Kirche ist sichtbar geworden. Sie ist aus der Sakristei gekrochen.” Etwa eine Million Menschen erwartet die Kirche am Sonntag zur Messfeier auf dem Platz der Revolution, auf dem auch Johannes Paul II. und Benedikt XVI. schon die Messe feierten. “Ob es wirklich so viele werden, hängt natürlich auch vom Wetter ab”, meint Antoine. “Wenn es sehr heiss ist oder regnet, dann können es auch weniger Menschen sein. Aber in jedem Fall wird es ein gewaltiges Ereignis.”
Seit Wochen bereits ist der Papst allgegenwärtig auf der Insel. Poster und Plakate heissen den Stellvertreter Christi willkommen. Neben die am Strassenrand allgegenwärtigen kommunistischen Plakatparolen – “Vereint im Aufbau des Sozialismus”, “Mit Mut in die Zukunft”, “Wir verwirklichen unsere Träume” – sind Willkommensgrüsse an den “Missionar der Barmherzigkeit” getreten. Diesen Titel hat Kubas Kirche dem Papst verliehen. Seit Wochen sendet das Staatsfernsehen Dokumentationen über Papst Franziskus, die von der Kirche erarbeitet wurden. Und erstmals in ihrer Geschichte hat die Parteizeitung Granma eine Botschaft der Bischöfe Kubas anlässlich des Papstbesuchs veröffentlicht.
Als Geste guten Willens vor dem Besuch hat der Staat vergangene Woche zudem die Freilassung von über 3 500 Häftlingen bekannt gegeben. Ausgenommen sind neben Schwerverbrechern allerdings auch solche, die die “Staatssicherheit” gefährdet hätten – ein Hinweis auf die politischen Häftlinge des Regimes. Raúl Castro hatte in einer ähnlichen Geste bereits zum Besuch Benedikts 2012 2 900 Häftlinge amnestiert. Sein Bruder Fidel liess zum Besuch Johannes Pauls II. 1998 immerhin 300 frei.
“Für uns ist der Besuch eine wunderbare pastorale Möglichkeit”, meint der Jesuit Juan Miguel Arregui Echeverria, der die kubanische Ordenskonferenz leitet. “Dieser Besuch, so hoffen wir, ist ein wichtiger Schritt, um die Situation der Kirche auf Kuba zu normalisieren. Bis vor gar nicht langer Zeit konnte die Kirche nur innerhalb des Kirchengebäudes wirken.”
Normal ist die Lage der Kirche trotz der allgemeinen Papstbegeisterung und dem Wandel der letzten Jahre aber noch immer nicht. Der Kirchenbau ist praktisch noch immer unmöglich. Die praktizierenden Katholiken sind dort, wo es keine Kirchen gibt, die vor der Revolution gebaut wurden, auf Messfeiern und Versammlungen in Privatwohnungen angewiesen. Nur manchmal gewährt der Staat eine Baugenehmigung wie etwa in Guiteras, einem Vorort Havannas. Dort überliess Staatschef Raúl Castro der Kirche nach dem Besuch Benedikts ein Grundstück. Doch der Bau der dem heiligen Johannes Paul II. geweihten Kirche stockt wegen des Mangels an Baugerät und Material. Katholische Schulen gibt es auf Kuba ebenfalls keine mehr. Fidel Castro, einst selbst Schüler einer kirchlichen Schule, verbot sie nach der Revolution und liess viele Gebäude beschlagnahmen.
“Von den Ereignissen der sechziger Jahre hat sich die Kirche nur langsam erholt”, meint ein kubanischer Geistlicher, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen will. “Die Revolution hat damals wirklich gewütet. Wer beruflich etwas werden wollte, wer wollte, dass seine Kinder studieren und etwas werden können, der konnte nicht in der Kirche sein. Viele Priester und Bischöfe wurden ins Gefängnis gesteckt. Zahlreiche Orden mussten die Insel verlassen. Es war wirklich eine schwere Zeit.” Der Besuch Johannes Pauls II. habe dann eine grosse Änderung gebracht. Weihnachten wurde wieder ein Feiertag, nachdem Fidel ihn in den sechziger Jahren abgeschafft hatte. Der Besuch Benedikts 2012 hatte weniger spürbare Effekte, das hatte der Besuch von 1998 schon besorgt. Aber immerhin wurde damals der Karfreitag wieder zum Feiertag. “Und anlässlich der 400-Jahr-Feier der Nationalheiligen, der Gottesmutter von El Cobre, bejubelten Millionen Kubaner eine durch das Land tourende Replik der hochverehrten Figur. Auch das hatte es seit 1959 nicht gegeben”, so der Geistliche.
“Heute versucht die Kirche, einerseits ihr neu gewonnenes pastorales Selbstbewusstsein zu leben, gleichzeitig aber nicht die roten Linien des Staates zu übertreten und sich direkt politisch zu betätigen”, fasst der Priester die pastorale Strategie der Kirche zusammen. Denn der Staat wache im Bereich Bildung und Medien misstrauisch über sein Monopol. Die Kirche wolle vor allem über soziale und Bildungsprojekte das Vertrauen der Kubaner gewinnen, an denen trotz einer natürlichen Religiosität fünfzig Jahre kommunistische Erziehung nicht spurlos vorbeigegangen seien. “Das öffentliche Schulwesen ist lausig. Wir bieten deshalb Nachhilfekurse, Englisch- und Computerkurse an. Viele junge Leute nehmen das dankbar an. Sie sagen, dass ihre Vorurteile der Kirche gegenüber verschwunden seien.” Tatsächlich nehmen Beobachter der Situation auf Kuba eine verstärkte Hinwendung zum Glauben wahr. Viele lassen sich oder ihre Kinder taufen. Von einem kleinen Glaubensfrühling sprechen manche deshalb. Den soll Papst Franziskus jetzt mit seinem Besuch richtig zum Blühen bringen.
“Natürlich weiss nur Gott, welche Früchte dieser Besuch haben wird”, meint Pater Sergio Cabrera vom Vorbereitungskomitee für den Papstbesuch. “Aber es ist wichtig, dass der Papst Kuba eine Botschaft der Barmherzigkeit bringt, die uns hier so oft fehlt.” Spurlos, da ist er sich mit Blick auf den Besuch Johannes Pauls II. sicher, wird der Besuch von Franziskus an Kubas Kirche jedenfalls nicht vorübergehen. “Ich stand 1998 auf diesem Platz als junger Mann, der sich mit der Idee auseinandersetzte, Priester zu werden. Ich war mir aber nicht sicher. Nach der Messe mit Johannes Paul aber gab es für mich keine Zweifel mehr. Insofern hat der Besuch mein Leben verändert, aber auch das der Kirche auf Kuba. Das wird diesmal nicht anders sein.”
Auf dem Platz der Revolution üben sie noch am Donnerstagabend. Ein Orchester junger kubanischer Talente wird die Papstmesse begleiten. Dirigent Jose Antonio Mendez leitet die Musiker an. “Ich bin selbst kein Katholik und glaube nicht. Aber dass ich hier bin, zeigt, dass wir in Frieden zusammen leben können.” An Kubas Kirche jedenfalls dürfte das zuletzt scheitern.
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