Selbstverständlich trete ich nicht für die Todesstrafe ein!

Stellungnahme von Bischof Huonder:

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Selbstverständlich trete ich nicht für die Todesstrafe ein! “Dennoch möchte ich mich bei allen Menschen entschuldigen, die sich durch meinen Vortrag verletzt gefühlt haben, besonders bei homosexuell empfindenden Menschen”.

Chur, kath.net, 13. August 2015

Bischof Vitus Huonder hat am Mittwoch am Abend in einem Schreiben an die Mitbrüder und Mitarbeiter des Bistums Chur noch einmal zu seinem Vortrag in Fulda Stellung genommen, der von einigen Medien verzerrt dargestellt wurde.

Kath.net dokumentiert das Schreiben im Wortlaut:

Zum Vortrag in Fulda vom 31. Juli 2015

Liebe Mitbrüder im priesterlichen und diakonalen Dienst
Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge

Ich schreibe Ihnen in einer bedauerlichen Angelegenheit, von der auch Sie mittelbar betroffen sind. Wie Sie den Medien entnehmen konnten, wurden zwei Zitate meines Vortrags in Fulda vom 31. Juli 2015 als “Hetze” gegen homosexuell empfindende Menschen verstanden. Meine Stellungnahme vom 3. August 2015 konnte daran leider wenig ändern.

Selbstverständlich trete ich nicht für die alttestamentarische Forderung nach der Todesstrafe für homosexuell empfindende Menschen ein. Auch dann nicht, wenn dies fachtheologisch ummäntelt daherkäme, wie man mir zu unterstellen scheint. Die gewählten Zitate sind nicht Ausdruck meiner Gesinnung, sondern vielmehr meiner Überzeugung, dass im Rahmen einer theologischen Reflexion keine Textstellen aus der Heiligen Schrift verschwiegen werden dürfen, nur weil sie im heutigen Kontext Schwierigkeiten bereiten. Ich habe einen 22seitigen Text verfasst, mit 16 teils umfangreichen Fussnoten, Literaturhinweisen und Belegstellen. Insgesamt werden 11 Texte aus dem Alten und Neuen Testament ausführlich zitiert und dann jeweils kurz erläutert. Diese Ausführlichkeit der Zitierung schien mir geboten, da es erstens ein mündlicher Vortrag war und da ich zweitens das Alte Testament nicht zensurieren wollte. Deshalb habe ich an sechster Stelle auch die alttestamentlichen Stellen Levitikus (Lev) 18,22 und 20,13 vollständig zitiert.

Die Erläuterung dieser Stellen habe ich nach einem einleitenden Satz in zwei Teile gegliedert. Der erste spricht von der theologischen Bewertung homosexueller Handlungen im Rahmen des Alten Testamentes, der zweite vom Handeln der Kirche aus heutiger, christlicher (neutestamentlicher) Sicht.

Die theologische Bewertung homosexueller Handlungen ist bekanntlich derzeit in der katholischen Kirche Gegenstand von Diskussionen. Hierbei ist vom Erfordernis einer “pastoralen Wende” die Rede, etwa im Vorbereitungsdokument für die kommende Bischofssynode (Fragen im Hinblick auf die Rezeption und die Vertiefung der Relatio Synodi, Einleitung vor den Fragen 23ff:
http://www.vatican.va/roman_curia/synod/documents/rc_synod_doc_20141209_lineamenta-xiv-assembly_ge.html). Darauf spielte ich mit der im ausserkirchlichen Kontext nicht verständlichen und damit wohl unglücklichen Formulierung an, die beiden zitierten Bibelstellen würden genügen, “der Frage der Homosexualität aus der Sicht des Glaubens die rechte Wende [ = gesprochenes Wort; Manuskript: Wendung] zu geben”. Damit wollte ich nicht sagen, diese Bibelstellen seien für die Kirche eine Anweisung für ihr Handeln, so dass wir Christen uns von der Gesinnung her an diesen Passagen zu orientieren hätten. Ich wollte zeigen, dass es in Levitikus eine drastische Ablehnung homosexueller Handlungen gibt, und dass wir uns als Christen dessen bewusst sein müssen. Wenn in der Kirche eine pastorale Wende gesucht wird, dann ist eine unzensierte Reflexion auch in Bezug auf das Alte Testament angebracht – nicht zuletzt um deutlich zu machen, was Christus, was das Neue Testament und was die Überlieferung der Kirche uns gebracht haben.

Erst nach diesen theologischen Überlegungen bin ich im darauffolgenden Absatz auf das Handeln der Kirche, die Seelsorge, zu sprechen gekommen. Dort sage ich, dass sich dieses Handeln nach der göttlichen Ordnung richten müsse. Es gehe darum, “in pastoraler Liebe” die Menschen aus dem Zustand der gefallenen Natur zu befreien zum Leben als Kinder des Lichtes (Eph 5,8). Dazu sei der Glaube für alle, auch für homosexuell empfindende Menschen, eine Hilfe.

Aufgrund dieser Zweiteilung des Gedankengangs in theologische Reflexion und Aussagen über das kirchliche Handeln war für mich klar, dass das kirchliche Handeln immer Hilfe zum Leben ist und nicht den Tod bringt. Dieses kirchliche Handeln besteht in Mitgefühl und Takt, nicht in Herabsetzung. Dies entspricht auch dem “Katechismus der Katholischen Kirche” (Nr. 2357-2359), den ich in der Anmerkung 10 in diesem Zusammenhang zitiere.

Inzwischen sehe ich, dass man die Levitikus-Stellen als meine persönliche Gesinnung missverstehen kann, und dass man auf den Gedanken kommen kann, ich wolle als Bischof die Todesstrafe für homosexuelle Handlungen wieder einführen. Dabei war es für mich natürlich immer klar, dass die drastische Rede von der Todesstrafe die alttestamentarische Ablehnung einer Handlung aufzeigt, und dass diese Rede nicht als Anleitung für unser pastorales kirchliches Handeln zu verstehen ist.

Schliesslich sind wir als Christen dazu angehalten, das Alte Testament aus der Sicht der Erfüllung in Christus zu interpretieren. Und für mich als Bischof gibt es selbstverständlich die grundlegende Unterscheidung zwischen der theologischen Bewertung einer menschlichen Tat und dem seelsorgerlichen Handeln der Kirche. Dies ist eine Unterscheidung, an der ich festhalte, mit dem “Katechismus der katholischen Kirche”, zu dem auch alle Bischöfe in der Schweiz stehen. Auch in Bezug auf die Homosexualität macht der Katechismus nämlich diese Unterscheidung, wenn er einerseits festhält, homosexuelle Handlungen seien “in keinem Fall zu billigen” (kirchliche Bewertung, Nr. 2357), und andererseits betont, wir sollten uns hüten, solche Menschen “in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen” (kirchliches Handeln, Nr. 2358). Und es ist für mich völlig klar, dass mit der Spannung zwischen der theologischen Bewertung von Handlungen und dem pastoralen Handeln der Kirche so umzugehen ist, wie es in der im Vortrag zitierten Stelle aus dem Epheserbrief (5,8) heisst: Die Kirche will allen Menschen, in welcher Lage auch immer sie sich befinden, dazu verhelfen, als Kinder des Lichtes zu leben. Dem entsprechend heisst es auch im “Katechismus der katholischen Kirche” (Nr. 2359): “Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit gerufen. Durch die Tugenden der Selbstbeherrschung, die zur inneren Freiheit erziehen, können und sollen sie sich − vielleicht auch mit Hilfe einer selbstlosen Freund-schaft −‚ durch das Gebet und die sakramentale Gnade Schritt um Schritt, aber entschieden der christlichen Vollkommenheit annähern”.

Dennoch möchte ich mich bei allen Menschen entschuldigen, die sich durch meinen Vortrag verletzt gefühlt haben, besonders bei homosexuell empfindenden Menschen. Diesen möchte ich versichern, dass die Kirche niemanden ausgrenzen, sondern für alle im oben beschriebenen Sinn da sein will. Obwohl mein Vortrag vor einem kirchlich sozialisierten und theologisch versierten Publikum gehalten wurde, war es falsch, bei der Konzeption des Textes und der Einschätzung seiner möglichen Wirkung nur an die akademisch-reflexive Ebene zu denken, oder an einen innerkirchlichen Fachdiskurs in Bezug auf die Bischofssynode. Ich hätte auch die aktuelle gesamtgesellschaftliche Situation präsenter haben müssen, etwa die Gräueltaten des “Islamischen Staates” oder die Verbrechen anderer Gruppen, die sich auf brutale Weise nicht nur gegen Christen und Andersdenkende richten, sondern auch gegen Homosexuelle. Es war auch ein Fehler, dass ich den Vortrag während den Sommerferien erarbeitet und deshalb niemandem zum Gegenlesen gegeben habe. Gewiss hätten mich meine Mitarbeiter auf die Gefahren aufmerksam gemacht.

Liebe Mitbrüder im priesterlichen und diakonalen Dienst, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge: Ich bitte für die kommende Bischofssynode, für deren Teilnehmer und vor allem für Papst Franziskus um Ihr Gebet, so dass sich alle dem Wirken des Hl. Geistes in neuer Weise öffnen. So wird die Kirche auch angesichts der anstehenden schwierigen Fragen Mittel und Wege finden, das ihr von unserem Herrn Jesus Christus geschenkte Evangelium in unserer Zeit umfassend und verständlich neu zu sagen.

Ich grüsse Sie, verbunden mit meinen besten Segenswünschen, herzlich

+ Vitus Huonder
Bischof von Chur

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