“Menschen nicht in Schubladen einordnen”

Erzbischof: Aus den Fängen festgezimmerter Vorurteile befreien

HoffnungQuelle

Tiengen / Freiburg, 05. Juli 2015

Erzbischof Stephan Burger hat davor gewarnt, “Vorurteile zu schüren und Menschen in Schubladen einzuordnen”. In einer Predigt am Sonntag (5. Juli) zum so genannten “Schwyzertag” in Tiengen (Landkreis Waldshut, an der Grenze zur Schweiz) verwies Burger auf Beobachtungen in Kirche, Politik, Familie, Nachbarschaft und am Arbeitsplatz: “Wenn wir genau wissen, wie der andere ist, wenn wir für immer ein festes Urteil über andere gefällt haben. Dann hat der andere kaum eine Chance, sich aus den Fängen unserer festgezimmerten Einschätzungen und Urteile zu befreien. Dann wird das Leben starr und die Fronten verhärten sich. Dann gibt es nur noch schwarz und weiss. Und daraus entstehen Konflikte.”

“Kirchen und Kapellen wollen Denk-Mal sein”

So sei es auch vor 600 Jahren gewesen, als der Herzog von Urslingen einen Prozess vor dem Reichsgericht verloren hatte: “Er wollte Tiengen als seinen Besitz einklagen. Doch das rechtskräftige Urteil erkannte er nicht an. Er kannte nur seine eigene Meinung und schickte seine Söldner, um mit Gewalt Tiengen in seinen Besitz zu bringen. Doch die Tiengener gaben nicht klein bei. Sie unterwarfen sich nicht dem Unrechtsdenken des Herzogs. Sie waren bereit, sich auf die eigenen Füsse zu stellen und sich für Recht und Gerechtigkeit einzusetzen. Und das Beeindruckende: Dass sie sich behaupten konnten, schrieben sie nicht zuerst ihrer eigenen Leistung und Strategie, ihrem eigenen Können zu, sondern Gottes Hilfe und dem Beistand der Gottesmutter Maria. Sie vertrauten auf Jesus Christus und trauten ihm etwas zu.”

Burger lobte diese Vorfahren in Tiengen, “die mit einem beeindruckenden Gottvertrauen ihr Leben meisterten”. An dieses Leben aus dem Glauben und dieses Gottvertrauen erinnere nicht nur der “Schwyzertag” – daran erinnere auch die Kirche in Tiengen, die vor 250 Jahren (im Juli 1765) geweiht wurde. Solche Kirchen und Kapellen, Wegkreuze und Marienfiguren wollen nach den Worten von Stephan Burger “im tiefen Sinn des Wortes ein Denkmal sein”. Der Erzbischof von Freiburg erklärte am: “Sie sagen uns: Denk mal darüber nach, was Dir von Gott täglich alles Gutes getan wird.”

“Glaube füllt unsere enge Welt mit himmlischer Weite”

“Christus in cordibus – Christus in den Herzen” lautet der Wahlspruch von Erzbischof Stephan Burger. Dieser Wahlspruch wolle zunächst vor allem ihn selbst daran erinnern, “was das Wichtigste ist in meinem Leben und was mein Auftrag ist als Christ, Priester und Bischof: Christus in meinem Herzen Raum zu geben und in meinem Alltag Zeit zu schenken. Nicht nur am Sonntag im Gottesdienst, sondern jeden Tag.” Erzbischof Burger will nach eigenen Worten helfen, “dass Christus in den Herzen möglichst vieler Menschen zu Hause ist und wirken darf”. Oft stelle er sich in all den Sitzungen und Gesprächen die Frage: “Wie würde Jesus wohl handeln? Wie spricht er mich an, durch das Evangelium? Durch Menschen, denen ich begegne? Wie sehe ich die anderen, wenn ich versuche, sie mit den Augen und dem Herzen Jesu zu sehen?”

Wie Burger in seiner Predigt erklärte, staune er immer wieder darüber, was Gott den Mitmenschen alles an Fähigkeiten und Talenten geschenkt habe: “Und dann öffnet sich ein ganz neuer Raum, in dem nicht die Defizite, der Mangel und die Fehler beherrschend sind, sondern die Chancen und Möglichkeiten.” Der Erzbischof von Freiburg sagte wörtlich: “Der Glaube an Jesus Christus füllt unsere oft so enge Welt der eigenen Gedanken und Meinungen mit himmlischer Weite.”

“Konsumniveau senken: Gott traut uns etwas zu”

Die Botschaft des “Schwyzertags” bedeute “Ansporn und Ermutigung im Hier und Heute – Gott in unsere Herzen und in unser Leben zu lassen”. Erzbischof Stephan ist sicher: “Wir würden uns wundern, was alles möglich ist, wenn wir mit der Botschaft des Evangeliums ernst machen und unsere manchmal gehegten Vorurteile in eine Koalition der Liebe und Wertschätzung verwandeln, in ein Bündnis gegen Armut und soziale Ausgrenzung, in eine Offensive für mehr gelebte Solidarität im Alltag, die nicht zuerst danach fragt: Was kann die Stadt, das Land, der Staat und die Kirche für mich tun? Sondern: was kann ich für meinen Mitmenschen tun. Was kann ich persönlich zum Schutz der Umwelt und der Bewahrung der Schöpfung beitragen.”

Dazu zitierte der Erzbischof von Freiburg Papst Franziskus, der in seiner vor zwei Wochen veröffentlichen Enzyklika “Laudato si'” schreibt: “Wir wissen sehr wohl, dass es unmöglich ist, das gegenwärtige Konsumniveau der am meisten entwickelten Länder und der reichsten Gesellschaftsschichten aufrechtzuerhalten, wo die Gewohnheit, zu verbrauchen und wegzuwerfen, eine nie dagewesene Stufe erreicht hat.” Gott habe uns seine Schöpfung anvertraut, “um sie zu nutzen, aber nicht um sie auszunutzen”, erklärte Burger. Er warb für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Gütern dieser Erde: “Lassen wir uns von nichts und niemanden einreden, wir könnten ja doch nichts ändern. Gott traut uns etwas zu.” Christen könnten auf diesen Beistand Jesu vertrauen und die Erfahrung machen: “Wer sich von ihm führen lässt, dem wachsen Kräfte zu und Hoffnung und Zuversicht.”

“Schwyzertag“-Heimatfest feiert 600. Jubiläum

Das Heimatfest ist auf ein Gelöbnis zurückzuführen: Im Jahre 1415 belagerte der Herzog von Urslingen die Stadt Tiengen. Es gelang ihm, in die Stadt einzudringen und bis zum Marienbrunnen (Unteren Brunnen) vorzustossen. Er glaubte schon die Stadt erobert zu haben, als ihm viele Bürger mit aller Kraft entgegentraten und ihn aus der Stadt vertrieben. Zum Dank für Errettung aus grosser Not gelobten die ganze Gemeinde, jährlich ein Fest zu feiern, dass den Hochfesten der Kirche (Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Patrozinium) gleichzusetzen ist. Daraus hat sich der “Schwyzertag” entwickelt. Er wird immer am 1. Sonntag im Juli gefeiert.

In diesem Jahr ist der Schweizer Kanton URI zu Gast
(vgl.: http://www.tiengen.de/schwyzertag.html).

(rge)

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