Die Menschen ertragen das Elend nicht mehr
Die Menschen ertragen das Elend nicht mehr – Für soziale Gerechtigkeit und Brüderlichkeit unter den Menschen
Wir sagen Nein zu allen Formen der Kolonialisierung
KathTube: Papst Franziskus beim zweiten weltweiten Kongress der Volksbewegungen in Santa Cruz/Bolivien (in voller Länge ohne Überrsetzung)
Ansprache von Papst Franziskus beim II. Welttreffen der Volksbewegungen in Santa Cruz
Rom, Britta Dörre
Papst Franziskus nahm gestern am späten Nachmittag in Santa Cruz am II. Welttreffen der Volksbewegungen auf dem Messegelände “Expo Feria” teil. In seiner sehr eindrinlichen und offenen Ansprache erinnerte der Papst an ihre letzte Begegnung in Rom und an Gefühle wie “Geschwisterlichkeit, Charisma, Engagement, Durst nach Gerechtigkeit”, die er auch heute wieder empfinde.
Mit Freude stellte Papst Franziskus die Vielzahl der Menschen fest, die sich in den Volksbewegungen engagieren und bestärkte “Bischöfe, Priester und Laien gemeinsam mit den sozialen Einrichtungen der städtischen und ländlichen Randgebiete” in ihrem Engagement.
Grund und Boden, Wohnung und Arbeit bezeichnete der Papst als unantastbare Rechte und ging damit auf die sozialen Missstände in Lateinamerika ein. Es bedürfe einer Veränderung. Die Probleme müssten von allen Lateinamerikanern gemeinsam gelöst werden. Papst Franziskus listete die einzelnen Problemkreise auf: Campesinos, die ohne Grund und Boden leben, obdachlose Familien, Arbeitslose, Arbeiter ohne Rechte, Bandenkriege und Umweltprobleme. So unterschiedlich die Probleme im Einzelfall seien, erklärte der Papst, läge doch allen Fällen ein System zugrunde. Ursache für die Probleme sei die Gewinnsucht, die dazuführe, dass Menschen aus dem sozialen System ausgeschlossen und die Natur zerstört würden. Daher sei eine Veränderung der Strukturen unabdingbar. Mensch und Erde ertrügen diesen Zustand nicht mehr. Globale Antworten seien erforderlich, eine Globalisierung der Hoffnung.
Papst Franziskus legte mit deutlichen Worten das Übel in der Welt dar, an dem alle Menschen litten: die Macht des Geldes statt der Dienst am Gemeinwohl. Die Menschen versklavten sich, die Brüderlichkeit werde zerstört und gefährde das Ganze Haus. Jeder könne einen Beitrag zur Veränderung leisten: “die Unbedeutendsten, die Ausgebeuteten, die Armen und Ausgeschlossenen, können viel und tun viel”. Wichtig sei, dass ein “Wandlungsprozess” “mit einer aufrichtigen Umkehr des Verhaltens und des Herzens” einhergehe. Die Volksbewegungen seien durch Bruderliebe motiviert, sich gegen die soziale Ungerechtigkeit aufzulehnen. Wer den betroffenen Menschen in die Augen schaue, handle nicht nur mit dem Verstand, sondern mit einem “Mehr an Sinngehalt”. Aus diesen Samen der Hoffnung, die in der Peripherie gesät würden, wüchsen grosse Bäume, “dichte Wälder der Hoffnung”. Papst Franziskus ermahnte die Anwesenden, bei ihrer Arbeit nie “die Verwurzelung im Naheliegenden” zu verlieren. Ihre Arbeit müsse auf “soliden Fundamenten”, „”auf den realen Bedürfnissen und der lebendigen Erfahrung Ihrer Brüder und Schwestern” aufbauen. Die Kirche unterstütze die Arbeit nach Kräften.
Papst Franziskus entwarf anschliessend ein Programm, wie der “Plan der Geschwisterlichkeit und Gerechtigkeit” umgesetzt werden könne. Weder er noch die Kirche besässen jedoch ein Rezept. Es gebe aber drei Aufgaben, die von den Menschen umzusetzen seien. Als ersten Punkt nannte der Papst das Verhältnis des Menschen zum Geld. Der Mensch und die Natur dürften nicht im Dienst des Geldes stehen. Ein klares Nein sei der Wirtschaft der Ausschliessung und der sozialen Ungerechtigkeit zu erteilen. “Eine wirklich gemeinschaftliche Wirtschaft – eine christlich inspirierte Wirtschaft, würde ich sagen – muss den Völkern Würde garantieren, ‘Wohlstand in seinen vielfältigen Aspekten'”. Eine gerechte Wirtschaft müsse die Bedingungen dafür schaffen, “dass jeder Mensch eine Kindheit ohne Entbehrungen geniessen, während der Jugend seine Talente entfalten, in den Jahren der Aktivität einer rechtlich gesicherten Arbeit nachgehen und im Alter zu einer würdigen Rente gelangen kann. Es ist eine Wirtschaft, in der der Mensch im Einklang mit der Natur das gesamte System von Produktion und Distribution so gestaltet, dass die Fähigkeiten und die Bedürfnisse jedes Einzelnen einen angemessenen Rahmen im Gemeinwesen finden.”
Das System, das die Mutter Erde schädige und “weiterhin Milliarden unserer Brüder und Schwestern die elementarsten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte” versage, verstosse gegen den Plan Jesu, stellte Papst Franziskus fest. “Die gerechte Verteilung der Früchte der Erde und der menschlichen Arbeit” sei eine moralische Pflicht, für einen Christen ein Gebot. Die universale Bestimmung der Güter gehe dem Privateigentum vor. Den Volksbewegungen komme deshalb eine wesentliche Rolle, weil sie schöpferisch tätig seien: “Arbeitsbeschaffer, Wohnungsbauer, Lebensmittelproduzenten – vor allem für diejenigen, die vom Weltmarkt ausgeschlossen sind”. Der Papst zählte einige Genossenschaften auf, denen es gelungen, den Menschen Arbeit zu geben. Auch die Regierung müsse die “Formen von volksnaher Wirtschaft und Gemeinschaftsproduktion fördern”. Auf diese Weise herrschten die Prinzipien der Solidarität und Subsidiarität.
Als zweiten Punkt nannte Papst Franziskus den Weg des Friedens und der Gerechtigkeit. Neue Formen von Kolonialismus seien zu bekämpfen, da sie die Achtung der Menschenrechte und den Respekt vor den Rechten der Völker missachteten. In Lateinamerika hätten die Länder für ihre Unabhängigkeit und Souveränität kämpfen müssen. Für Frieden und Gerechtigkeit müsse die Einheit bewahrt werden, betonte der Papst. Die lateinamerikanischen Bischöfe hätten im Dokument von Aparecida eindeutig die Missstände dargelegt: “Finanzinstitutionen und transnationale Konzerne entwickeln eine solche Macht, dass sie sich die jeweilige lokale Wirtschaft untertan machen, vor allem aber die Staaten schwächen, die kaum noch die Macht haben, Entwicklungsprojekte zugunsten ihrer Bevölkerungen voranzubringen.” Der Papst warnte vor dem ideologischen Kolonialismus und berief sich auf die Bischöfe von Afrika, die beklagten, dass oft versucht werde, “die armen Länder zu ‘Rädern eines Mechanismus, zu Teilen einer gewaltigen Maschinerie’ zu machen”.
“Der neue wie der alte Kolonialismus, der die armen Länder zu blossen Rohstofflieferanten und Zulieferern kostengünstiger Arbeit herabwürdigt, erzeugt Gewalt, Elend, Zwangsmigrationen und all die Übel, die wir vor Augen haben… und zwar aus dem einfachen Grund, weil er dadurch, dass er die Peripherie vom Zentrum abhängig macht, ihr das Recht auf eine ganzheitliche Entwicklung verweigert. Das ist soziale Ungerechtigkeit, und die erzeugt eine Gewalt, die weder mit polizeilichen, noch mit militärischen oder geheimdienstlichen Mitteln aufgehalten werden kann. Wir sagen Nein zu den alten und neuen Formen der Kolonialisierung. Wir sagen Ja zur Begegnung von Völkern und Kulturen. Selig, die für den Frieden arbeiten.”
Papst Franziskus bat um Vergebung für das Unrecht der Kirche gegen die Ureinwohner Amerikas: “Ich sage Ihnen mit Bedauern: Im Namen Gottes sind viele und schwere Sünden gegen die Ureinwohner Amerikas begangen worden. Das haben meine Vorgänger eingestanden, das hat die CELAM gesagt, und auch ich möchte es sagen. Wie Johannes Paul II. bitte ich, dass die Kirche ‘vor Gott niederkniet und von ihm Vergebung für die Sünden ihrer Kinder aus Vergangenheit und Gegenwart erfleht’. Ich will Ihnen sagen – und ich möchte dabei ganz freimütig sein, wie es der heilige Johannes Paul II. war –: Ich bitte demütig um Vergebung, nicht nur für die von der eigenen Kirche begangenen Sünden, sondern für die Verbrechen gegen die Urbevölkerungen während der sogenannten Eroberung Amerikas. Desgleichen bitte ich Sie alle – Gläubige und Nichtgläubige –, sich an die vielen Bischöfe, Priester und Laien zu erinnern, welche die Frohe Botschaft Jesu mutig und sanftmütig, respektvoll und friedlich verkündet haben und verkünden; die auf ihrem Weg durch dieses Leben bewegende Werke der menschlichen Förderung und der Liebe hinterlassen haben, oft gemeinsam mit den einheimischen Bevölkerungen oder indem sie deren Volksbewegungen begleiteten, sogar bis zum Martyrium.”
Papst Franziskus wandte sich den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Welt zu und erinnerte an die Völkermorde. “Und wir müssen es auch anprangern: In diesem dritten Weltkrieg ‘in Raten’, den wir erleben, ist eine Art Völkermord im Gange, der aufhören muss.” Der Papst ging anschliessend noch einmal auf Multikulturalität der Südamerikaner ein: “Die erneute Bekräftigung der Rechte der Urbevölkerungen mit der Achtung gegenüber der territorialen Ungeteiltheit der Staaten” stärke alle.
Abschliessend befasste sich Papst Franziskus mit dem Thema des Umweltschutzes. “Unser aller gemeinsames Haus wird ungestraft ausgeplündert, verwüstet und misshandelt. Die Feigheit bei ihrer Verteidigung ist eine schwere Sünde.” Internationale Gipfeltreffen blieben ohne Ergebnisse, obgleich es “ein klares, definitives und unaufschiebbares ethisches Gebot, zu handeln, das nicht befolgt wird”, gebe. Daher seien Völker und Bewegungen aufgerufen, zu handeln und Massnahmen einzufordern.
Papst Franziskus appellierte an die Verantwortung eines jeden einzelnen: “Die Zukunft der Menschheit liegt nicht allein in den Händen der grossen Verantwortungsträger, der bedeutenden Mächte und der Eliten. Sie liegt grundsätzlich in den Händen der Völker; in ihrer Organisationsfähigkeit und auch in ihren Händen, die in Demut und mit Überzeugung diesen Wandlungsprozess ‘begiessen’. Ich begleite Sie.” Der Papst sprach gemeinsam mit den Anwesenden: “Sprechen wir gemeinsam aus vollem Herzen:
keine Familie ohne Wohnung,
kein Campesino ohne Grund und Boden,
kein Arbeiter ohne Rechte,
kein Volk ohne Souveränität,
kein Mensch ohne Würde,
kein Kind ohne Kindheit,
kein Jugendlicher ohne Möglichkeiten,
kein alter Mensch ohne ein ehrwürdiges Alter.“
Papst Franziskus ermutigte die Anwesenden auf ihrem Weg, versicherte ihnen seine Gebete und bat sie darum, für ihn zu beten.
Abschliessend erteilte Papst Franziskus seinen Segen.
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