“Die Welt darf nicht wegschauen”

Ostern mit Papst Franziskus in Rom stand ganz im Zeichen der verfolgten Christen

Von Guido Horst

Rom, Die Tagespost,  07. April 2015

Die Welt leidet. Der Anschlag auf eine Schule in Kenia und die grausame Ermordung von mindestens 147 Schülern hat seine Schatten auf das Osterfest geworfen. Zumindest in Rom, wo das Gedenken an die Hinrichtung und die Auferstehung Jesu Christi mit dem nächtlichen Kreuzweg im Kolosseum beginnt und mit der Ostermesse auf dem Petersplatz endet. Im Kolosseum haben die Christen der frühen Kirche während der Verfolgungswellen im Römischen Reich ihr Blut gelassen. Und auch der Petersdom geht auf ein Martyrium zurück – das des heiligen Petrus, der im Circus des Nero seinen Glauben bezeugte und mit seinem Grab das Fundament der Petersbasilika legte.

Unter grauem Himmel und bei immer wieder einsetzendem Regen hatte Papst Franziskus am Ostersonntag zum Segen “Urbi et orbi” an die Krisen- und Kriegsgebiete erinnert, in denen das Leiden dieser Welt seinen blutigsten Ausdruck findet: Syrien, Irak, Libyen, Jemen, den Süd-Sudan, Nigeria, Kongo und das Heilige Land. Aber immer wieder richtete sich der Blick des Papstes besonders auf die bedrängten Christen in der Welt. Noch beim Gebet des “Regina coeli” auf dem Petersplatz am Ostermontag gedachte er der verfolgten, vertriebenen, getöteten und enthaupteten Brüder und Schwestern, denen dies nur deshalb geschehe, weil sie Christen sind. Das seien “unsere Märtyrer von heute”, sagte Franziskus, “und wir können sagen, dass sie zahlreicher sind als in den ersten Jahrhunderten”. Und er wünschte, dass die internationale Gemeinschaft angesichts dieser nicht zu akzeptierenden Verbrechen nicht stumm und tatenlos bleibt und das Gesicht zur anderen Seite dreht. Bereits am Ende des Kreuzwegs im Kolosseum am Karfreitagabend hatte er zu Christus gebetet, dass “wir in Dir, göttliche Liebe, noch heute unsere für ihren Glauben an Dich verfolgten, geköpften und gekreuzigten Brüder sehen, unter unser aller Augen und oft mit unserem komplizenhaften Schweigen”. Vor allem die letzte Bemerkung von Franziskus, die über das Schweigen, das sich zum Komplizen macht, beherrschte am Morgen des Karsamstags die Seite Eins der Zeitungen und auch manchen Journalisten-Talk im Frühstücksfernsehen.

Die an Konflikten und blutigen Auseinandersetzungen leidende Welt war der rote Faden, der sich durch die Karwoche und Ostertage des Papstes zog. Nach der Chrisam-Messe mit zahlreichen Priestern der Diözese Rom am Morgen des Gründonnerstags im Petersdom hatte Franziskus am Nachmittag die Haftanstalt Rebibbia im gleichnamigen Stadtviertel im Nordosten Roms aufgesucht. Etwa dreihundert weibliche und männliche Häftlinge nahmen an der Messe “In Coena Domini” teil, zwölf von ihnen, Männern und Frauen, darunter eine junge Afrikanerin mit ihrem kleinen Kind, wusch der Papst die Füsse. In seiner Predigt erinnerte Papst Franziskus an die unendliche Liebe Jesu, die ohne Grenzen sei. “Die Liebe Christi zu uns hat keine Grenzen…, er wird nicht müde, zu lieben,” sagte Franziskus. Jesu Liebe sei so stark, dass er für jeden sein Leben hingegeben habe. Der Ritus der Fusswaschung sei zur Zeit Jesu durchaus üblich gewesen, meinte der Papst. Doch nicht der Hausherr wusch den Gästen die Füsse, sondern die Sklaven. Die Jünger Jesus hätten das nicht verstanden, erklärt Papst Franziskus. Wenn Jesus als Sklave die Füsse wüsche, dann würde er den gesamten Leib waschen und nicht nur die Füsse. “Auch ich habe es nötig, vom Herrn gewaschen zu werden, und ich bitte den Herrn während dieser Messe darum, weil ich sein Diener bin, so wie es Jesus war”, sagte der Papst.

Der Kreuzweg am Abend des Karfreitags im Kolosseum ist seit langem schon eine Veranstaltung, deren Gestaltung ganz in den Händen des Fernsehens liegt und in alle Welt ausgestrahlt wird. Wer sich dagegen aufmacht, bei der Betrachtung des Leidens und Sterbens Jesu am Kolosseum selber dabei zu sein, läuft Gefahr, nicht viel zu sehen. Die Texte zu den Kreuzwegstationen stammten in diesem Jahr von dem emeritierten Bischof Renato Corti; bis 2011 leitete er die Diözese Novara im norditalienischen Piemont und gilt als aussergewöhnlicher Prediger.

“Christus, der Kreuzweg ist die Synthese deines Lebensweges”, betete der Papst am Ende des Kreuzwegs. Still und meditierend war er der Feier gefolgt. In einem längeren Gebet wandte er sich direkt an den Gekreuzigten, er sprach von Befreiung und Erlösung, aber auch von der Sünde und Schuld, die durch das Kreuz erst sichtbar würden. “In deinem entstellten Leib erkennen wir die Brutalität unserer Sünden, in der Grausamkeit deines Leidens erkennen wir die Grausamkeit unseres Herzens und unseres Handelns.”

Im leidenden Jesus seien die vielen leidenden Menschen zu sehen, die um ihres Glaubens willen Verfolgten, sagte Franziskus. “Hilf uns, unsere Bekehrung durch Worte zu einer Bekehrung des Lebens und der Werke werden zu lassen”, betete er. “Zeige uns, dass das Kreuz der Weg zur Auferstehung ist, zeige uns, dass der Karfreitag der Weg zum österlichen Licht ist, zeige uns, dass Gott niemals eines seiner Kinder vergisst und niemals müde wird, uns in seiner unendlichen Barmherzigkeit zu vergeben.”

Nach der Betrachtung des Leidens und Sterbens Jesu Christi die Auferstehung. Bei der Feier der Ostervigil hielt Franziskus seinen meditativen Stil bei, er rief in der Predigt dazu auf, “in das Geheimnis einzutreten”. “Man kann Ostern nicht erleben, ohne in das Geheimnis einzutreten. Es ist keine intellektuelle Angelegenheit, es bedeutet nicht nur erkennen, lesen… Es ist mehr, viel mehr!” In das Geheimnis einzutreten verlange die Fähigkeit zum Staunen, zur Betrachtung; die Fähigkeit, in die Stille hineinzuhorchen und das klangvolle Säuseln zu hören, in dem Gott zu den Menschen spreche, meinte der Papst. In der Osternacht spendete Franziskus das Sakrament der Taufe und der Firmung einigen Erwachsenen, die sich in der zurückliegenden Fastenzeit auf den Empfang des Sakraments vorbereitet hatten.

Die Stuhlreihen auf dem Petersplatz waren wegen des schlechten Wetters am nächsten Morgen etwas schütter besetzt, als Franziskus im Freien die Ostermesse feierte. Freundlicher sah der Himmel aus, als der Papst am Ostermontag vor die Gläubigen trat, um mit ihnen das “Regina coeli” zu beten. Es waren ruhige Kartage in Rom, und es war eine Feier der Auferstehung, die ganz um das zentrale Geheimnis des Glaubens kreiste. Doch alles stand unter dem von Franziskus immer wieder formulierten Eindruck, dass die christliche Welt derzeit eine beispiellose Abfolge von Gewalt und Verfolgungen erlebt.

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