“Fragt die Gläubigen”

“Fragt die Gläubigen” – Studenten nehmen Papst ernst

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Drei Studenten aus Deutschland versuchen beinahe 10.000 Gläubigen eine Stimme im Vatikan zu geben.

Der vatikanische Fragebogen vor der Synode zur Ehe- und Familienpastoral zerstört das Anliegen und verkehrt es in das Gegenteil. Das hat das Bistum Erfurt in seiner Auswertung der eingegangenen Antworten auf den Fragebogen an die Deutsche Bischofskonferenz geschrieben. Die Zahlen belegen die Kritik, nur wenige im Bistum Erfurt haben den Fragebogen ausgefüllt. Anders sieht es bei drei Studenten von der Uni Münster und der Freien Universität Berlin aus. Sie haben den Aufruf von Papst Franziskus “Fragt die Gläubigen” ernst genommen und in die Tat umgesetzt. Und zwar, indem sie einen eigenen Fragebogen erstellten, der noch bis zum 20. März online ist.

Alle drei studieren Theologie und Sozialwissenschaft, aber sogar sie haben sich mit den Formulierungen der Fragen aus Rom schwer getan. Als angehende Sozialwissenschaftler ist für sie nicht nur die nur schwer verständliche Sprache ein Problem des Fragebogens, sondern auch die Frage, wie werte ich die Ergebnisse aus. Offene Fragen lassen sich nämlich aus akademischer Sicht schlecht auswerten, erklärt Sarah Delere aus Berlin: “Und das ist natürlich ein Punkt, wo es sehr hilfreich ist, wenn man einen sozialwissenschaftlichen Hintergrund hat. Wie formuliere ich eine Frage präzise, auf den Punkt, dass sie allgemein verständlich ist und wir sicher sein können, die ist nicht zweideutig so gestellt, dass die Ergebnisse nicht mehr analysierbar sind.”

In Eigenregie haben die drei Studenten ihr Forschungsprojekt auf die Beine gestellt. Sarah Delere hat aus Berlin das Administrative organisiert, Anna und Tobias Roth sind mit einem Studienschiff durch die Welt gereist, haben Fragebögen verteilt und Interviews geführt. Unterstützung und Finanzierung zu finden, war während der Durchführung schwer, doch interessiert an den Ergebnissen sind jetzt viele, sagt Tobias Roth:

“Das ist interessant. Es gibt ganz klar einen Unterschied zwischen der Durchführung, da war es sehr schwierig, wirklich Unterstützer zu finden, die ganz konkret Fragebögen mitnehmen und sie verteilen – also innerkirchlich. Aber was die Ergebnisse betrifft, da sind alle hochinteressiert – innerkirchlich, aber auch ausserkirchlich, Medien usw., da gibt es eine grosse Nachfrage, was habt ihr jetzt eigentlich rausgefunden?”

Kulturelle Unterschiede

Auch die Reaktionen auf Anna und Tobias Roth vor Ort können nicht unterschiedlicher sein. Während viele Gemeinden, die Sarah Delere vorher kontaktiert hatte, die beiden mit offenen Armen empfangen haben, war es bei anderen schwerer, erzählt Anna: “Zum Beispiel war es in Marokko sehr spannend, da haben wir mit einem Priester gesprochen, der uns fast rausgeschmissen hätte, weil er uns gefragt hatte, wie wir uns anmassen könnten, das alles die Christen in Marokko zu fragen. Dass für sie zudem viel wichtiger ist, wie islamisch-christliche Familien zusammenleben, als die Frage nach wiederverheirateten Geschiedenen.”

Und in Brasilien, so lernen die Studenten, heisst verheiratet nicht gleich verheiratet. Obwohl viele im Fragebogen “verheiratet” angeben, sind sie es gar nicht. Paare, die zusammenleben und sich eine traditionelle Hochzeit nicht leisten können, kreuzen dennoch “verheiratet” im Fragebogen an, weil sie ihre Lebensform so verstehen. Diese interkulturellen Unterschiede, dass haben die drei gelernt, kann man nur identifizieren, wenn man sich wirklich vor Ort die Lebenswirklichkeit der Gläubigen anschaut und mit ihnen ins Gespräch kommt.

Während Anna und Tobias Roth weiter die Länder bereisen, kommen bei Sarah Delere in Berlin immer mehr Briefumschläge an. Die Vorbereitungen haben sich für die Studenten gelohnt. Anna und Tobias gehen mit vorbereiteten Fragebögen und frankierten Briefumschlägen in die Gemeinden, und diese mussten sie einfach nur noch abschicken. “Und das hat funktioniert,” berichtet Sarah Delere “Man glaubt es kaum, es hat wirklich funktioniert, dass Gemeinden mitmachen. Man muss sich das echt vor Augen führen: Die machen mit bei einem Forschungsprojekt von drei Studierenden aus Deutschland, und plötzlich kommen bei mir in Berlin dicke Fragebogenumschläge an von Leuten, die sich als Gemeinde darüber verständigt haben, die sich hingesetzt haben, ganz viele und breite Gruppenfächerungen – von 14-Jährigen bis 84-Jährigen. Die sind dann alle per Brief nach Berlin geschickt worden, als Anna und Tobi schon lange wieder weg waren. Und das funktioniert!”

Verantwortung für jeden Umfragebogen

Dass die Tausenden von Stimmen nun im Vatikan Gehör finden, dafür arbeiten die drei Studenten nun auf Hochtouren. Ein Schreiben mit Zwischenergebnissen an die Deutsche Bischofskonferenz wurde bereits abgeschickt, und Anna und Tobias Roth, die momentan für ein Semester in Rom studieren, versuchen vor Ort Kontakte zu nutzen. Denn allen dreien ist klar: Jeder Fragebogen bedeutet eine individuelle Lebensgeschichte. Und Lebensgeschichten in den Händen von drei ambitionierten Studenten, das bedeutet Verantwortung, weiss Sarah Delere.

“Diese Verantwortung möchten wir entsprechend unseren Möglichkeiten wahrnehmen, denn Menschen haben uns ein extremes Vertrauen geschenkt. Ein Vertrauen, dass uns alle drei in dieser Form überrascht hat. Das sie so offen ihre Geschichte erzählt haben, etwas Existenzielles – wie lebe ich in Beziehungen, was gibt es für Beziehungen und gerade dann, was passiert, wenn mein Lebensentwurf scheitert.”

Dieser Verantwortung wollen sie gerecht werden und ihre Auswertungen den Verantwortlichen ans Herz legen. Denn der Aufruf von Papst Franziskus ist aus ihrer Sicht für jeden Einzelnen der Befragten von Bedeutung. Anna Roth verdeutlicht das mit einem Erlebnis aus Brasilen, wo eine junge Frau einer Blinden geholfen hat, den Fragebogen auszufüllen, damit auch ihre Stimme zählt.

“Das Strahlen in ihren Augen zu sehen und die Dankbarkeit, dass sie mal gefragt wird und dass ihr Lebensweg interessiert, obwohl Rom so weit weg ist und der Papst eine Figur ist, die nicht greifbar ist… Das fasst ganz viele Momente und Blicke zusammen, wo Menschen uns einfach in die Augen geschaut haben und gesagt haben: Danke, dass mein Leben zählt und dass ihr uns fragt.”

rv 18.03.2015 pdy

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