Die Rolle der Christen

Patriarch Louis Raphael I. Sako in New York

Patriarch Louis Raphael SakoVon Oliver Maksan

Es war die ganz grosse Bühne, die dem chaldäischen Patriarchen Louis Raphael I. Sako am Freitag in New York geboten worden war. Auf Initiative des ständigen Mitglieds Frankreich sprach das Oberhaupt der mit Rom unierten chaldäischen Kirche vor dem UN-Sicherheitsrat über die Lage der Christen im Irak. Im Mittelpunkt seiner Ansprache stand aber nicht nur die Klage über die in ihrer Existenz bedrohte irakische Christenheit sowie anderer religiöser Gemeinschaften, beispielsweise der unglücklichen Jesiden. Der Patriarch der grössten Einzelkirche des Landes versuchte vielmehr, Massnahmen aufzuzeigen, die dem Schutz der verbliebenen Christen – vielleicht 300 000 – helfen und den im Gang befindlichen Exodus aufhalten würden.

An erster Stelle betonte der Patriarch die militärische Befreiung Mossuls und der Ninive-Ebene, von wo im vergangenen Jahr über 120 000 Christen flüchteten. Zudem appellierte er an den Sicherheitsrat, den internationalen Schutz der befreiten Gebiete zu garantieren. Aber er räumte gleichzeitig ein, dass Waffengewalt allein die Ursache der Probleme nicht lösen könnte: die extremistische Denkweise religiöser Fanatiker, die Anderssein nicht aushält. Es sei im Grunde eine ideologische Krise. Sako plädierte deshalb für eine Bildungsoffensive. Ausserdem müsse die Verfassung so verändert werden, dass echte staatsbürgerliche Gleichberechtigung aller Iraker garantiert sei. Religiöse, sprich muslimische Führer seien zudem in der Pflicht, einen moderaten Diskurs zu führen.

Die dem Patriarchen lauschenden westlichen Staaten begannen im Grunde erst mit dem Vordringen des “Islamischen Staats” und seinem kalkulierten Terror zu verstehen, welche Rolle der religiöse Faktor im ethnisch und religiös zersplitterten Nahen Osten spielt. Westlicher Menschenrechtsuniversalismus übersah gerne die Bedeutung religiöser Partikularismen. Besonders die europäische Linke weigerte sich lange, dies zur Kenntnis zu nehmen aus Furcht, als neo-koloniale Schutzmacht orientalischer Christen zu erscheinen. Aber eine derartige, am 19. Jahrhundert orientierte, Rolle ist gar nicht nötig. Denn wem an Menschenrechten gelegen ist, wer eine pluralistische Gesellschaft gleichberechtigter Bürger will, wer Befürworter der Koexistenz mit dem gemässigten Islam sucht, der hat im Nahen Osten einen natürlichen Verbündeten: die christlichen Gemeinschaften. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte braucht nämlich Menschen, die sie umsetzen. Es ist deshalb im Einklang mit der Menschenrechtsagenda des Westens, diese Gemeinschaften zu unterstützen. Ihre Christen und Muslimen gleichermassen dienenden Schulen, ihre Dialogbemühungen, die Sunniten und Schiiten zusammenführen, sind Pfunde, mit denen die Christen wuchern müssen. Viele Christen haben verständlicherweise den Glauben an ihre muslimischen Nachbarn verloren. Es ist deshalb die Aufgabe ihrer Führer, sie zu ermutigen, sich trotz der erlittenen Enttäuschungen nicht in der Nische zu verschliessen, sondern gerade jetzt weiterzumachen.

Dieser Rolle kann die christliche Gemeinschaft etwa des Irak aber nur gerecht werden, wenn die gegenwärtige Flüchtlingskrise überwunden ist und wieder ein Mindestmass an Stabilität einkehrt. Hierbei steht die Weltgemeinschaft in der Pflicht.

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