Ende der Plattheiten

Der Dresdner Politologe Professor Werner Patzelt hat eine Studie über Pegida-Demonstranten vorgestellt

Politologe Werner Patzelt kritisiert den Umgang der Politik mit Pegida, fordert inhaltliche Auseinandersetzung und sieht die Bewegung vor dem Aus

Die Tagespost, 04. Februar 2015

Von Markus Reder

Der Dresdner Politologe Professor Werner Patzelt hat eine Studie über Pegida-Demonstranten vorgestellt. Der Politik rät Patzelt zu kommunizieren und zu diskutieren und Pegida zu konkreten Forderungen zu veranlassen.

Herr Professor Patzelt, Sie haben am Dienstag in Dresden eine Studie über die Anhängerschaft der Pegida-Bewegung vorgestellt. Wie lässt sich das Ergebnis Ihrer Untersuchung “Was und wie denken Pegida-Demonstranten” zusammenfassen?

Zunächst hat sich im Wesentlichen bestätigt, was auch frühere Untersuchungen bezüglich der sozialen Zusammensetzung der Pegida-Demonstrationen herausgefunden haben. Sodann: Der Kern der Pegida-Proteste ist nicht Ausländer- oder Islamfeindlichkeit, sondern Verdrossenheit über unsere Parteien und Politiker. Diese Verdrossenheit entzündet sich allerdings am Thema Einwanderung, und dabei spielt die in den vergangenen Jahren verstärkte Einwanderung von Menschen aus dem islamischen Kulturkreis eine besondere Rolle. Das war vorher schon bekannt, ist durch unsere Studie aber jetzt bestätigt worden.

Was sagt Ihre Studie konkret zum Thema Ausländerfeindlichkeit unter Pegida-Demonstranten?

Pegida-Demonstranten sind nicht ausländerfeindlich, sondern “einwandererfürchtig”. Ungefähr zwei Drittel meinen, Deutschland solle weiterhin Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge aufnehmen. Es gibt aber zwei Aspekte, welche die Demonstranten erzürnen und bei denen sie Handlungsbedarf sehen. Das eine ist der grosse Zustrom von Asylbewerbern. Hier sind viele Demonstranten der Meinung, dass nicht wenige Asylbewerber ohne wirklichen Verfolgungsgrund zu uns kommen. Genau diese von ihnen als “Wirtschaftsflüchtlinge” bezeichneten Asylbewerber sorgen für grossen Unmut, wie viele Diskussionen im Rahmen unserer Beobachtungsstudie zeigen. Zweitens haben viele eine tiefsitzende Angst vor dem Islam. Nicht einmal ein “Islam so friedlich wie das Christentum” wird von einem grossen Teil der Demonstranten für mit Deutschland kompatibel gehalten, zumal sich viele gar nicht vorstellen wollen, dass es einen solchen Islam überhaupt geben könnte. Diese differenzierte Aufhellung der so plakativ vorgebrachten Anliegenbereiche “Ausländer und Islam” gehört zu den wesentlichen Ergebnissen unserer Studie.

Aus welchen Interessengruppen setzt sich die Pegida-Bewegung zusammen?

Mit unserer Studie können wir erstmals jene Einstellungskomponenten unterscheiden, die dem zugrunde liegen, was die Leute auf die Strasse treibt. Davon ausgehend können wir zudem eine grobe Schätzung der unterschiedlichen Demonstrantengruppen vornehmen. Es gibt im Wesentlichen drei Einstellungskomponenten. Das eine ist “rechtsnationale Xenophobie”. Die beiden anderen Einstellungskomponenten tragen die Überschrift “Gutwilligkeit”. Doch unter diesen gutwilligen Demonstranten gibt es zwei Gruppen.

Welche sind das?

Die deutlich grössere Gruppe sind “besorgte Gutwillige”, besorgt nämlich über die Zukunft unserer Einwanderungsgesellschaft. Das andere sind “empörte Gutwillige“, die sich solidarisieren, weil Politik und Medien inadäquat auf die Demonstranten und ihre Anliegen reagiert haben.

Was können Sie über die Grössenordnung dieser verschiedenen Gruppen sagen?

Die “rechtsnationalen Xenophoben” machen ungefähr ein Viertel bis ein Drittel der Demonstranten aus, die “empörten Gutwilligen“ ungefähr ein Zehntel. Der Rest, also die Masse der Demonstranten, sind “besorgte Gutwillige”.

Welche praktischen Folgen ergeben sich aus dieser Untersuchung für den Umgang mit Pegida?

Man darf Pegida nicht dadurch stärken, dass man immer noch mehr trotzige Solidarisierungen auslöst, indem man weiterhin behauptet, da marschierten lauter Nazis und Faschisten. Das stimmt ja nachweislich nicht. Entsprechende Einschätzungen und Aufrufe von Politikern waren kontraproduktiv. Vielmehr muss man die Sorgen der gutwilligen Pegida-Demonstranten ernst nehmen und sich inhaltlich damit auseinandersetzen. Diese Sorgen drehen sich um das Einwanderungsgeschehen in einer Einwanderungsgesellschaft ohne klare Einwanderungspolitik.

Was raten Sie der Politik?

Kommunizieren und diskutieren! Wenn wir ein Einwanderungsland sind, müssen wir darüber reden, welche Einwanderungspolitik wir brauchen und wie sich diese in Gesetzesform giessen lässt. Ein weiterer Ratschlag lautet: Aus der grossen Pegida-Menge in Dresden kleinere Teile machen, also Pegida spalten.

Wie geht das?

Dadurch, dass man Pegida veranlasst, konkrete Forderungen zu formulieren. Bislang fanden die Demonstrationen so viel Zulauf, weil zwar einzelne konkrete Forderungen erhoben, doch nie in ein insgesamt stimmiges Politikvorhaben einbettet wurden. Manches war ohnehin Konsens, etliches ziemlich platt. Und sobald Pegida konkret wird, spaltet es sich in Radikale und Vernünftige.

Sie sehen die Pegida-Bewegung vor dem Zerfall. “Mit der Entstehung von Pegida in Dresden ist ein Vulkan explodiert. Jetzt regnet es nur noch Asche” haben Sie gesagt. Was macht Sie da so sicher?

Die Organisatoren haben sich bereits getrennt. Die Radikalen wollen am Montagabend weitermachen, die anderen wollen am Sonntagnachmittag etwas aufziehen. Die Radikalen werden sehr wenige sein, und die Demonstration am Sonntag – das ist meine Prognose – wird sich als Flopp erweisen.

Dann sehen Sie keine Zukunft für die dialogbereiten Teile der Bewegung, die sich von Pegida abgespalten haben?

Das hängt davon ab, wie Politik und Öffentlichkeit darauf reagieren. Diese Leute setzen ihre Hoffnungen im Wesentlichen auf die AfD. Folglich hängt alles davon ab, ob die AfD sich zu einer stabilen Partei entwickelt, in der sich diese Leute vertreten fühlen. Entwickelt sich die AfD zu einer stabilen Partei, wird sie deren parlamentarischer Arm. Wenn die AfD sich selber zersplittert, im Führungsstreit ihre Leute vergrault und programmatisch nichts auf die Reihe bringt, dann haben wir diese Leute im Lager der Nichtwähler, die innerlich nicht nur den politischen Parteien, sondern auch der Demokratie gekündigt haben. Diese Gruppe der frustrierten Nichtwähler ist jederzeit zu grosser Mobilisierung bereit, sobald wieder ein Thema aufkommt, das in ihr Schema passt.

An welche Themen denken Sie da?

Die Einwanderungsgesellschaft ist und bleibt so ein Thema, aber auch die Währungsstabilität, also der Wert der eigenen Ersparnisse und Rentenanwartschaften. Mit solchen Themen lässt sich mobilisieren. Was daraus wird, hängt dann davon ab, wie glaubwürdig die jeweiligen Führungsfiguren sind.

Wie bewerten Sie den Umgang der Politik, der etablierten Parteien mit dem Phänomen Pegida

Am Anfang aus Unwissenheit falsch, anschliessend aus Verstocktheit falsch, und inzwischen an manchen Stellen differenziert richtig.

Hat die Auseinandersetzung um Pegida das politische Klima in Deutschland in irgendeiner Weise verändert?

Man sollte nicht gleich von ganz Deutschland reden. In Dresden, wo die grössten Demonstrationen stattgefunden haben, hat sich das Klima sehr verändert. Es gibt kaum jemanden, der nicht irgendeine Haltung zu den Demonstrationen hat. Es sind Familien- und Freundeskreise darüber auseinandergerissen worden. In Sachsen, wo es auch in Leipzig nennenswerte Pegida-Veranstaltungen unter anderem Namen gab, dürfte das ähnlich sein. Bundesweit hat das Phänomen Aufsehen erregt und folglich auch Stellungnahmen und innere Positionierungen ausgelöst. Unterm Strich wird es so sein, dass das Thema Einwanderung und Einwanderungspolitik jetzt einen anderen Stellenwert in der öffentlichen Diskussion hat als vorher. Die politischen Parteien haben bereits begonnen, sich dazu einzulassen, ob wir ein Einwanderungsgesetz bräuchten, und wenn Ja, welches. Das ist wichtig, denn natürlich brauchen wir die Diskussion über Einwanderung und Einwanderungspolitik. Wenn sich diese Diskussion konstruktiv fortsetzt und am Ende zu Ergebnissen führt, wird man einräumen müssen, dass sie letztlich durch Pegida angestossen wurde.

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