Abtreibung als Menschenrecht?

In Strassburg stehen zwei Texte zur Debatte, die Abtreibung und die Fremdbetreuung von Kleinkindern propagieren

 Heilige Familie Von Stephan Baier

Die bayerische SPD-Abgeordnete Maria Noichl und der belgische Sozialist Marc Tarabella kämpfen im Europäischen Parlament für Abtreibung als Menschenrecht.

Strassburg, Die Tagespost, 25. Februar 2015

Die Anerkennung der Abtreibung als Frauenrecht steht auf der Agenda von Linken und Liberalen im Europäischen Parlament seit jeher weit oben. Der jüngste Versuch, ein solches “Recht“ zu proklamieren, der Bericht der portugiesischen Sozialistin Edite Estrela, wurde nach monatelanger Kontroverse am 10. Dezember 2013 im Plenum des Europaparlaments mit hauchdünner Mehrheit abgelehnt. Jetzt aber sind zwei Berichte in Vorbereitung, die Abtreibung zum Menschenrecht erklären wollen und einen leichteren Zugang von Frauen zu Abtreibungen fordern.

Am 9. März wird im Plenum des Europäischen Parlaments in Strassburg ein Bericht des belgischen Sozialisten Marc Tarabella “über die Gleichstellung von Frauen und Männern in der EU” zur Debatte und anschliessend zur Abstimmung stehen. In dem Berichtsentwurf, der vom zuständigen “Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter” bereits verabschiedet wurde, wird behauptet, “dass Frauen insbesondere durch den einfachen Zugang zu Empfängnisverhütung und Abtreibung die Kontrolle über ihre sexuellen und reproduktiven Rechte haben müssen”.

Das Europäische Parlament unterstütze daher “Massnahmen und Strategien zur Verbesserung des Zugangs von Frauen zu Dienstleistungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und zu ihrer besseren Information über ihre Rechte und die verfügbaren Dienstleistungen“. Der Bericht behauptet, “dass die sexuellen und reproduktiven Rechte grundlegende Menschenrechte sind”, obwohl Abtreibung in mehreren EU-Mitgliedstaaten strafbar, in anderen zwar unter bestimmten Bedingungen straffrei, aber jedenfalls kein Recht – erst recht kein Menschenrecht – ist.

Tarabellas Argumentation übernimmt fast wortgleich ein Bericht der bayerischen SPD-Europaabgeordneten Maria Noichl “über die Strategie der EU für die Gleichstellung von Frauen und Männern nach 2015“, der im Mai im zuständigen Ausschuss und im Juni im Plenum des Europaparlaments zur Abstimmung stehen soll. Beide Berichte liegen dieser Zeitung vor.

Im Noichl-Berichtsentwurf wird die EU-Kommission aufgefordert, “die Mitgliedstaaten bei der Sicherstellung von qualitativ hochwertigen, geografisch angemessenen und niedrigschwellig zugänglichen Diensten im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte, sicherer und legaler Abtreibung und Verhütungsmittel sowie der allgemeinen Gesundheitsversorgung zu unterstützen”. Sollte diese Forderung eine Mehrheit im Europaparlament finden, würde somit die EU-Kommission aufgefordert, unmittelbar in einen Rechtsbereich zu intervenieren, der unumstritten nicht in die europäische, sondern in die nationalstaatliche Gesetzgebung fällt.

In der Begründung zum Noichl-Berichtsentwurf wird die ideologische Sicht deutlich: “Die derzeitigen, rückwärtsgewandten Tendenzen in der europäischen Gesellschaft wirken sich auch auf die Gesundheit und die damit verbundenen Rechte von Frauen und Männern aus. Für ein verantwortungsvolles und sicheres Sexualleben muss jedoch der Zugang zu Information und Vorsorge sowie zu sicherer, effektiver und erschwinglicher Verhütung, sicherer und legaler Abtreibung und Sterilisation sowie die Unterstützung bei Adoption gesichert sein.”

Noichl wie Tarabella chiffrieren ihr Abtreibungsplädoyer mit der Formel “sexuelle und reproduktive Gesundheit”. So heisst es im Noichl-Entwurf – ganz im Widerspruch zur Rechtslage in den meisten EU-Mitgliedstaaten – zweimal, “dass der allgemeine Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und den damit verbundenen Rechten ein grundlegendes Menschenrecht ist“. Mit dieser Argumentation wird die EU-Kommission hier auch – sprachlich verschlüsselt – aufgefordert, die europäische Entwicklungshilfe mit der Abtreibungsfreigabe zu verknüpfen: Brüssel solle dafür sorgen, dass “bei der europäischen Entwicklungszusammenarbeit ein auf den Menschenrechten basierender Ansatz verfolgt wird”, heisst es in dem Text, der gezielt in diesem Kontext die “Wichtigkeit von Familienplanungsdiensten” betont.

Männer “müssen” in die Hausarbeit eingebunden sein

Die offensive, auf eine Umerziehung zielende Gesellschaftspolitik der beiden noch nicht verabschiedeten Texte richtet sich aber vor allem auf die europäischen Gesellschaften. Bereits im Tarabella-Bericht, der am 10. März in Strassburg zur Abstimmung kommen soll, werden die EU-Kommission und die 28 Mitgliedstaaten aufgefordert, “die geschlechtsspezifische Perspektive und die Rechte der Frauen bei der Ausarbeitung ihrer politischen Massnahmen und der Aufstellung ihrer Haushaltspläne (…) zu berücksichtigen, indem systematisch geschlechtsspezifische Folgenabschätzungen vorgenommen werden”. Neben einigen sinnvollen Massnahmen zur Gewalt gegenüber Frauen und zu deren Diskriminierung im Berufsleben widmet sich der Bericht der Eingliederung von Frauen in den Arbeitsprozess. So heisst es hier etwa, “dass die Aufteilung der Verantwortung in Familie und Haushalt zwischen Frauen und Männern (…) eine unabdingbare Voraussetzung für die Verwirklichung der Gleichstellung von Frauen und Männern darstellt”. Der Bericht kritisiert in seinen Begründungen, dass sich die Erwerbsquote von Frauen zu langsam erhöhe: von 58 Prozent im Jahr 2002 auf 62,8 Prozent. Fazit: “Die Teilhabe von Frauen auf dem Arbeitsmarkt muss somit unter allen Umständen und schnellstmöglich erhöht werden.”

Nicht nur die Rechte der Frauen und der “Familien Alleinerziehender” sind im Blick des Tarabella-Berichts, sondern auch die Fremdbetreuung der Kleinkinder. So werden die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, “insbesondere für Kleinkinder unter drei Jahren einen systemischeren und besser zwischen den nationalen und den lokalen Behörden abgestimmten Ansatz für Bildung und Vorschulbetreuung zu verfolgen”. Die EU-Kommission solle die Staaten finanziell unterstützen, “damit den Eltern erschwinglichere Betreuungsmöglichkeiten angeboten werden können”. In der Begründung schreibt der belgische Sozialist: “Um ihren Beruf angemessen ausüben und somit gebührend zum Wachstum in Europa beitragen zu können, müssen Eltern Zugang zu hochwertigen Betreuungseinrichtungen haben, in denen die Kinder ganztägig betreut werden.”

Diese Linie führt der Noichl-Entwurf weiter, der die Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit nicht länger der Freiheit der Paare überlässt, sondern “konkrete Ziele und Sanktionen” seitens der EU-Kommission fordert. Wörtlich heisst es da: “Um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erreichen, müssen darüber hinaus Männer stärker in Betreuungs- und Haushaltsarbeiten eingebunden werden.” Kinder kommen in diesem Text nur an einer Stelle vor: bei der Forderung nach “erschwinglicher Kinderbetreuung mit angemessenen Betreuungszeiten”.

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