Missionarische Wegweisung
Der Papst “vom anderen Ende der Welt” wurde am anderen Ende der Welt – beides von Rom aus betrachtet – wie in einem Triumphzug gefeiert
Die Tagespost, 19. Januar 2015
Von Stephan Baier
Doch bei aller kindlichen Verehrung, Bewunderung und Zuneigung, mit der die Filipinos Papst Franziskus anhimmelten, an sich drückten und küssten, mit der Kleriker und Laien überschwängliche Liebeserklärungen formulierten, verdeckte die Gestalt des Papstes doch keinesfalls die Botschaften, die er brachte. Gerade in jenen leidenschaftlichen Momenten, in denen Franziskus den vorbereiteten englischen Redetext verliess und frei in der “Sprache seines Herzens“ redete, wurde er zum väterlichen Mahner. Der Papst redete mit der politischen Klasse Klartext, als er die himmelschreiende Ungerechtigkeit in einer Gesellschaft anprangerte, deren Korruption politisch protegiert statt bekämpft wird, und in der Kinder hungrig auf der schmutzigen Strasse schlafen, während im bewachten Park nebenan Golf gespielt wird.
Ja, dieser Papst will einen radikalen Wandel der Gesellschaft, weil er das Unrecht mit der Wurzel ausreissen will. Er warnt zugleich vor den Trugbildern falschen Fortschritts, den die Filipinos in Europa, mehr aber noch in den Vereinigten Staaten von Amerika wähnen. Da war geradezu heiliger Zorn zu spüren, als Franziskus vor einem ideologischen Kolonialismus warnte, der darauf ziele, die Familien zu zerstören. Bei der Verteidigung der Familie setzt Franziskus jedenfalls nicht auf Appeasement gegenüber dem Zeitgeist, soviel ist nun klar.
Nach seiner Philippinen-Reise darf man die schon vorher nicht besonders kluge Frage, ob Franziskus ein konservativer oder ein progressiver Papst sei, endgültig ad acta legen. Er ist katholisch. Und ein kraftvoller Vollblut-Seelsorger, der zupackt, wo er Not und Leid, Trauer und Unrecht sieht. Geradezu magnetisch zieht es ihn zu den Armen, Unterdrückten, Traurigen, Verwundeten, Vergessenen, Schwachen. Nicht zuletzt deshalb flogen ihm auf den Philippinen die Herzen der Menschen zu. Der lateinamerikanisch geprägte Stil dieses überaus haptischen Papstes kam in dem am meisten von Spanien und Lateinamerika beeinflussten Land Asiens gut an. Spürbar wurde aber auch, dass die Filipinos sich vom Papst nicht nur trösten und bestätigen lassen wollen. Eine Sehnsucht nach Wegweisung für Kirche und Gesellschaft war allerorten wahrnehmbar, von Manilas populärem Kardinal Luis Antonio Tagle sogar eingefordert. Und der Papst gab Wegweisung, indem er die Missionierung Asiens zur Berufung der Philippinen erklärte.
Während sich die philippinische Kirche auf die 500-Jahr-Feier der Christianisierung ihres Archipels durch spanische Missionare vorbereitet, leben rund zehn Prozent der Filipinos in der Diaspora, die meisten von ihnen in Asien und in arabischen Ländern. Gerade wegen ihrer Diskriminierung dort sind Glaube und Kirche für sie oft die einzige Heimat. Im wahhabitisch-totalitären Saudi-Arabien etwa besteht die katholische Untergrundkirche fast ausschliesslich aus Filipinos. Wie das Leben in der Fremde und in prekären Situationen den Glauben vieler Filipinos nicht verflüchtigte, sondern vertiefte, bedarf auch die bunte Volksfrömmigkeit im Land selbst wohl einer Reinigung, die zur Glaubensstärkung wird. Heute stellt sich auf den Philippinen die Frage, ob es – anders als in Europa – ein authentisches Aggiornamento der Kirche ohne destruktive Subjektivismen und neue Häresien geben kann. Davon hängt auch ab, ob es eine echte Modernisierung der Gesellschaft ohne Säkularisierung geben wird. Der Papstbesuch war jedenfalls ein kraftvoller Impuls für diesen Weg.
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