“Der Papst hat dem Nahen Osten viel zu geben”

Vorurteile gegenüber der Kirche abbauen:

Vorurteile gegenüber der Kirche abbauen: Der israelische Journalist Hernrique Cymerman über sein Interview und die Treffen mit Papst Franziskus.

Die Tagespost, 01. Dezember 2014

Von Oliver Maksan

Es war eine Premiere, als Israels grosse Tageszeitung “Jediot Ahronot” am Freitag ein langes Interview mit Papst Franziskus veröffentlichte. Nahost-Konflikt und Anti-Semitismus standen im Mittelpunkt des Gesprächs, aber auch die Rolle Pius’ XII. während des Holocaust – “man muss das Handeln des Papstes aus seiner Zeit heraus beurteilen“ – oder wie es sich anfühlt, Papst einer Weltkirche zu sein – “wissen Sie, was der Unterschied zwischen Terrorismus und Protokoll ist? Mit Terrorristen können Sie verhandeln”.

Geführt hatte es der 1959 in Portugal geborene Israeli Henrique Cymerman, der seit vielen Jahren für die portugiesisch- und spanischsprachige Welt aus dem Nahen Osten berichtet. “Mein Kontakt zu Papst Franziskus kam über seinen Freund aus argentinischen Zeiten zustande, Rabbi Abraham Skorka”, berichtet Cymerman. “Skorka fragte mich, ob ich ihn mit zum Papst begleiten würde, um eine Botschaft an das jüdische Volk aufzunehmen. Natürlich ging ich mit. Wir hatten im Juni 2013 dann ein langes Gespräch mit Papst Franziskus in Santa Marta. Dabei sprachen wir nicht nur über Fussball, für den sich der Papst bekanntlich leidenschaftlich interessiert, sondern mehrere Stunden auch über den Konflikt in Nahost. Der Papst wusste, dass ich zwar Jude und Israeli bin, aber gleichzeitig enge Kontakte in die arabische und palästinensische Welt habe. Er fragte uns: Was kann ich für den Nahen Osten tun? Skorka und ich schlugen ihm vor, Israel seinen ersten offiziellen Besuch zu widmen. Er fragte mich dann, ob ich ihm dabei helfen würde. Begeistert und geehrt sagte ich ihm zu. Den Ausschlag für den Besuch gab dann aber letztlich Peres bei seinem Besuch im Vatikan wenige Tage später.”

Irgendwann sei der Papst dann mit der Bitte auf ihn zugekommen, ihm bei der Umsetzung seiner Gebetsinitiative zu helfen, die Israelis und Palästinenser zusammenführen sollte. “Ursprünglich sollte das Treffen von Papst, Abbas und Peres während des Nahost-Besuchs im Mai diesen Jahres stattfinden. Der Papst dachte an Jerusalem. Israels Staatspräsident Peres und auch Palästinenserpräsident Abbas sagten zu. Aber im April diesen Jahres begannen die Dinge schiefzugehen. Es war die Zeit, als die Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern zusammenbrachen. Die Palästinenser waren deshalb nicht mehr bereit, nach Jerusalem zu kommen. Sie hatten Angst. Abbas fürchtete, bei der Einreise nach Jerusalem demütigender Behandlung unterzogen zu werden.“ Der Papst bat Cymerman um Hilfe. “Der Papst hatte mich eingeladen, ihn auf dem Flug nach Nahost zu begleiten. Kurz vor dem Abflug rief er mich dann auf dem Telefon an. Er sagte mir, dass die Palästinenser das Treffen offenbar nicht wollten. Ich solle ihnen deshalb mitteilen, so bat er mich, dass er bereit sei, es überall während seines Besuchs durchzuführen, in Amman, Bethlehem, in Jericho oder anderswo. Ich hing mich dann sieben Stunden ans Telefon, um die Palästinenser zu überzeugen. Aus Abbas’ Umgebung hiess es dann, dass das Treffen während des Besuchs nicht möglich sei. Aber ich wollte nicht aufgeben. Papst Franziskus hatte mir vorher gesagt, dass die Möglichkeit bestünde, es auch nach dem Nahost-Besuch im Vatikan durchzuführen. Ich schlug den Palästinensern diese Lösung vor. Sie sagten zu. Ich informierte den Papst umgehend. Er war enthusiastisch. Bei der Messe in Bethlehem gab er das Treffen dann offiziell bekannt. Es fand dann ja in den Vatikanischen Gärten statt und war aus meiner Sicht ein bedeutendes Ereignis.“

Am Tag nach dem Gebetstreffen habe ihn der Papst dann in den Vatikan eingeladen und sich bereit erklärt, ein Interview zu geben. “Am Morgen des vereinbarten Tages aber hörte ich, dass der Papst erkrankt war. Ich dachte, das Interview würde nicht zustande kommen. Aber er empfing mich dennoch in seiner Wohnung, die sehr klein und bescheiden ist. Wir hatten dort dann ein langes Gespräch, obwohl es ihm nicht gut ging. Seit Juni hatten wir zudem fünf Gespräche am Telefon, aus denen zusammen mit der Unterhaltung im Juni das aktuelle Interview entstand. Das letzte Gespräch liegt wenige Tage zurück. Der Papst rief mich immer wieder an, vor allem während des Gaza-Krieges. Er wusste, dass Raketen auf Tel Aviv fallen und ich dort lebe. Er wollte wissen, wie es mir geht. Der Papst ist wirklich eine beeindruckende und warmherzige Persönlichkeit. Ich war aber vor allem beeindruckt, wie genau er über die Vorgänge im Nahen Osten Bescheid weiss. Die Lage der Christen macht ihm grosse Sorgen. Er sagte mir, dass heute mehr Christen verfolgt würden als in den ersten Jahrhunderten. Ich habe den Eindruck, dass er nach ungewöhnlichen Wegen sucht, den Christen dort zu helfen.”

Ihm sei im Laufe seiner Gespräche klar geworden, so Cymerman, wie sehr er die Weltsicht des Papstes teile. “Ich bin Jude. Daran gibt es keinen Zweifel. Wir gehören zwei unterschiedlichen Religionen an. Aber ich fühle mich dem Papst sehr nahe. Ich habe ihm gesagt, ich sei ein Bergoglio-Jude. Er musste darüber sehr lachen. Er hat grosse Sensibilität für die Leiden des jüdischen Volkes. Ich habe ihm von anti-semitischen Erlebnissen während meiner Kindheit in Portugal berichtet. Er hat aufmerksam zugehört. Er hat mir deutlich gesagt, dass Anti-Semitismus eine Sünde sei. Die christlichen Anti-Semiten verstünden nicht, dass die, die gegen das Judentum seien, auch gegen das Christentum seien.”

Cymerman ist es wichtig, diese Botschaft des Papstes in die jüdische Welt zu transportieren. “Ich hoffe, dass dieses Interview hilft, die Haltung des Oberhaupts der katholischen Kirche zum Judentum bekannter zu machen. Die Elite in Israel weiss, wie der Papst denkt. Ob es beim Volk auch so ist, weiss ich nicht. Aber ich hoffe, helfen zu können, Vorurteile auf der jüdischen Seite gegenüber der katholischen Kirche abzubauen. Sie müssen sehen, dass es Vorbehalte gegen die Kirche gibt. Ich hoffe, man erkennt auch in Israel, was dieser Papst der Welt und dem Nahen Osten zu geben hat.”

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