Die Rückkehr des Naturrechts

Eine interreligiöse Konferenz im Vatikan über die gegenseitige Ergänzung von Mann und Frau in der Ehe

Johann_Christoph_ArnoldBruderhof – Gemeinschaft

Von Guido Horst

Papst Franziskus unterstrich das traditionelle Eheverständnis.

Rom, Die Tagespost, 21. November 2014

Das vielleicht gewichtigste Kompliment hat am Ende der Erzbischof von Philadelphia, Charles Chaput, gemacht: Zum Abschluss des dreitägigen interreligiösen Kolloquiums zu Ehe und Familie in der Synodenaula des Vatikans am Mittwochnachmittag stellte der Kapuziner-Bischof das kommende Welttreffen katholischer Familien vor, dessen Gastgeber seine Erzdiözese im September 2015 sein wird.

Er sei nun 44 Jahre Priester, 26 Jahre Bischof und habe viel erlebt. Aber das Treffen, an dem er jetzt drei Tage teilgenommen habe, “war das interessanteste Kolloquium meines Lebens”, bekannte Chaput. Zu Beginn der Tagung hatte Papst Franziskus am Montagmorgen in der Synodenaula persönlich angekündigt, dass er zum Weltfamilientreffen nach Philadelphia reisen werde. Bisher, so kommentierte Chaput, habe man mit fünfzehntausend Teilnehmern gerechnet, jetzt erwarte man eine Million. Eine gewaltige Herausforderung, wie der Erzbischof anfügte.

Es war tatsächlich eine interessante Tagung, die da jetzt im Vatikan stattgefunden hat. Und ungewöhnlich war sie auch: Treffen der Religionen für den Frieden in der Welt hat es schon zahlreiche gegeben. Aber das jetzt sei weltweit die erste interreligiöse Konferenz, die sich der Ehe von Mann und Frau widme, meinte ein Mitarbeiter der Glaubenskongregation am Rande des Treffens. Das präzise Thema des Kolloquiums: “Humanum: Interreligiöses Kolloquium über die Komplementarität von Mann und Frau”.

Der von Kardinal Gerhard Ludwig Müller geleiteten Kongregation kam bei der Ausrichtung der Tagung eine Schlüsselrolle zu: Zusammen mit den Päpstlichen Räten für die Ökumene, für den interreligiösen Dialog und für die Familie hatte sie die Ausrichtung des Treffens übernommen, das sich bescheiden als “Kolloquium” ausgab, aber immerhin um die vierhundert Teilnehmer aus allen Teilen der Welt zusammenführen, unterbringen und verpflegen musste. Vertreter von vierzehn Religionen und zahlreichen christlichen Konfessionen hatte man eingeladen, etwa dreissig Referenten waren im Vorfeld ausgewählt worden. Für manche logistische Meisterleistung zeichnete der amerikanische Prälat Steven Lopes verantwortlich, der in der Glaubenskongregation arbeitet.

Ungewöhnlich auch die Qualität der Referenten. Das ehemalige Heilige Offizium und die drei Päpstlichen Räte müssen ihren gesamten Sachverstand und ihre Kontakte gebündelt haben, um eine beachtliche Liste von Rednern und Rednerinnen zusammenzustellen, die von katholischen und anglikanischen Bischöfen über baptistische Geistlichen bis hin zu Religionswissenschaftlern und einem Oberrabbiner reichte. Eine weitere Besonderheit war dem Programm nicht auf den ersten Blick zu entnehmen: In der Synodenaula sprachen mehr Referenten, die sich der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) zugehörig fühlen, als katholische Redner. Wie der Vorsitzende der Theologischen Kommission der WEA, der Bonner Religions-Professor Thomas Schirrmacher, gegenüber dieser Zeitung sagte, “explodiert” der Dialog zwischen Evangelikalen und dem Vatikan, seitdem Papst Franziskus die Tür zu dieser christlichen Denomination aufgestossen hat, für die Rom bisher das reinste Babylon und der Papst die Ausgeburt des Antichristen war.

In weiten Teilen trug das Treffen eine angelsächsische Handschrift. Tagungssprache war weitgehend Englisch und die vier vatikanischen Dikasterien hatten den Impuls für dieses Kolloquium von einigen katholischen “Think Tanks” in den Vereinigten Staaten erhalten. So etwa dem “Witherspoon Institute” an der Universität von Princeton, das von dem amerikanischen Philosophen Robert George geleitet wird. Dieser hat zwei wichtige Bücher zur christlichen Ehe verfasst: “The meaning of marriage” (2006) und “What is marriage? Man and woman: A defense” (2012). George war auf der Tagung anwesend, sprach aber nicht als Referent.

Auch manche Geldströme müssen über den grossen Teich geflossen sein. Von der “Papal Foundation” und den “Knights of Columbus” war am Rande des Kongresses die Rede, aber auch jüdische Geldgeber sollen das Treffen möglich gemacht haben. Dennoch machte der Vatikan deutlich, dass er nicht einfach einem interreligiösen Forum zu Ehe und Familie seine Synodenaula zur Verfügung gestellt hat, sondern selber der Veranstalter war. Gemeinsam mit Papst Franziskus hat Kardinal Müller das Kolloquium am Montag eröffnet, im weiteren Verlauf übernahmen die Spitzen der beteiligten Dikasterien das Präsidium in der Aula: Kardinal Kurt Koch vom Ökumene-Rat, Kardinal Jean-Louis Tauran vom Rat für den interreligiösen Dialog sowie die beiden Sekretäre der Glaubenskongregation, die Erzbischöfe Joseph Augustine Di Noia und Luis Ladaria.

Das Ungewöhnlichste aber war die grosse Einigkeit, die unter den anwesenden Katholiken und Protestanten, Anglikanern und Baptisten, Juden und Muslimen sowie Buddhisten, Hindus, Taoisten, Mormonen und Sikhs zum Thema Ehe und Familie herrschte. Nachdem Erzbischof Ladaria am Mittwochnachmittag die abschliessenden Worte gesprochen hatte, lag sich das bunt gewürfelte interreligiöse Präsidium der Versammlung in den Armen: Katholische Bischöfe umarmten eine hinduistische Sanskrit-Gelehrte, ein Baptisten-Paar den amerikanischen emeritierten Kurienkardinal James Francis Stafford, der Dauergast bei dem Kolloquium war. Höchste Einheit und Einigkeit genau an dem Ort, wo die ausserordentliche Bischofssynode einen Monat zuvor zum gleichen Thema Ehe und Familie in einer gewissen Zerrissenheit und mit manch unguten Gefühlen auseinandergegangen war.

“Unser Kolloquium”, so hatte Kardinal Müller in seinem Eröffnungsreferat erklärt, “geht von einer elementaren Feststellung aus, die sich dem Geheimnis Gottes öffnet.” Das eigene Mann- oder Frau-Sein genüge nicht sich selbst. Jeder Mensch fühle sich hilfsbedürftig und suche nach einer Ergänzung. Müller sprach von einer Unzulänglichkeit der individualistischen Kultur von heute. Dennoch sei jedem “in den Wurzeln unseres Ichs eine natürliche Neigung eingeschrieben, die dieser in weiten Teilen der Welt verbreiteten Mentalität widerspreche”. “Von daher die Frage: Welche Bedeutung hat dann das Studium der Komplementarität von Mann und Frau für die Beziehung des Menschen zu Gott? Das ist die Frage, auf die zu antworten jede einzelne unserer kulturellen und religiösen Kulturen eingeladen ist.”

Zuvor hatte Papst Franziskus bei seiner Begrüssungsansprache erklärt, dass die Kirche, wenn sie vom Verhältnis von Mann und Frau zueinander spreche, den Begriff der Komplementarität verwende, also der sich ergänzenden Gegensätzlichkeit. “Über die Komplementarität nachzudenken ist nichts anderes, als über die dynamische Harmonie nachzudenken, die im Zentrum der Schöpfung liegt. Und das ist der Schlüsselbegriff: Harmonie. Alle sich ergänzenden Gegensätzlichkeiten hat der Schöpfer geschaffen, damit der Heilige Geist, der Urheber der Harmonie, diese Harmonie schaffen kann.” Diese Komplementarität sei die Basis für Ehe und Familie, so der Papst, sie sei die “erste Schule”, in der wir Menschen lernen, die eigenen Gaben und die der anderen wertzuschätzen und die “Kunst des Zusammenlebens” zu üben. “Aber wie wir wissen”, sagte der Papst weiter, “ist die Familie gleichzeitig auch Ort von Spannungen, etwa der zwischen Egoismus und Selbstlosigkeit, zwischen Vernunft und Leidenschaft, zwischen spontanen Wünschen und langfristigen Überlegungen und so weiter. Die Familie bildet aber auch den Ort, an dem diese Spannungen gelöst werden, das ist wichtig.” So werde die Komplementarität zu einem grossen Reichtum. Franziskus sprach auch davon, dass sich Ehe und Familie in einer Krise befänden. Die “Kultur des Provisorischen” und die daraus resultierenden Folgen für die Moral würden zwar unter der Flagge der Freiheit antreten, hätten aber in Wirklichkeit geistliche und geistige Verwüstung gebracht, vor allem für die Schwächsten. Und diese Krise weite sich aus, so Papst Franziskus.

Die Kurzreferate der Religions-Vertreter trugen teilweise sehr persönliche Züge. Sie stellten durchweg heraus, dass die traditionelle, auf der dauerhaften Ehe zwischen einem Mann und einer Frau basierende Familie noch vor jedem Bekenntnis zu einer bestimmten Religion in der Natur des Menschen begründet ist. Das Naturrecht war das Band, das die Anwesenden in der Synodenaula verband. Aufrecht wie ein Stock sass am ersten Vormittag neben Kardinal Müller ein rüstiger Greis am Präsidiumstisch. Es war Johann Christoph Arnold, Senior-Pastor der Bruderhof-Gemeinschaft, eine den Hutterern verwandte Bewegung, die vor knapp hundert Jahren in Deutschland gegründet worden war und später mehrheitlich in die Vereinigten Staaten auswanderte. Das Zeugnis Pastor Arnolds hat viele Teilnehmer des Kolloquiums bewegt. “Wir leben in tumultartigen Zeiten”, sagte der alte Mann, so wie 1920, als seine Grosseltern, Eberhard und Emmy Arnold, die erste Bruderhof-Gemeinschaft gründeten, die sich an der Lehre Jesu und dem Leben der ersten Christen orientiert. Prägend sei für ihn selbst das Vorbild seiner Eltern gewesen, die während ihrer 46-jährigen Ehe “unglaubliche Hindernisse” zu überwinden hatten, aber nie ins Wanken gerieten. “Solche Beispiele werden heute gebraucht”, sagte der Pastor. “Wir müssen mutiger werden, so wie die frühe Kirche. Wir brauchen eine Gegenkultur der Einfachheit und der praktischen Hilfe, in der wir mit unserer ganzen Energie darum bemüht sind, Gottes Reich aufzubauen und nicht so sehr den Dingen dieser Welt hinterherzujagen.” Die ersten Christen, so Arnold, hätten die römische Welt erobert, weil Väter und Mütter treu im Glauben zueinander und zu ihren Kindern standen, was die Heiden nicht für möglich hielten. “Mit Gottes Hilfe können wir heute dasselbe tun.”

„Standing ovations“ gab es für den wuchtigen Vortrag des ehemaligen Oberrabbiners von England und des Commonwealth, Lord Jonathan Sacks, der heute Jüdisches Denken an der New York University lehrt. Lord Sacks sprach über die biblischen Wurzeln der jüdischen Tradition, ausgehend von der Berufung des Abraham, der von Gott nicht den Auftrag erhalten habe, ein Königreich zu beherrschen oder als Prophet zu den Völkern zu gehen, sondern Vater zu sein.

Doch nicht nur die Vertreter verschiedener Religionen sprachen zu den Teilnehmern, sondern auch sechs kurze Filme, die im Verlauf der drei Tage immer wieder eingestreut wurden. Ein Filmteam hatte sämtliche Kontinente bereist und Stimmen von Philosophen, Gelehrten und Geistlichen verschiedenster Kulturen und Religionen eingefangen. Immer zum Thema Mensch, Mann und Frau, Familie und Ehe. Diese etwa fünfzehnminütigen Videos, die nicht zuletzt durch brillante Naturaufnahmen beeindruckten, sind im Internet unter www.humanum.it anzuschauen. Sie belegen zudem, dass ein ordentliches Budget zur Verfügung gestanden haben muss, um das Kolloquium vorzubereiten.

Nachdem Christen, Muslime, Juden und Vertreter der Sikhs, des Taoismus oder Buddhismus zu den Teilnehmern gesprochen hatten, trug ein farbiges Baptisten-Paar am Ende eine „Abschließende Bekräftigung“ vor. Betrachtet den Mann und die Frau zusammen, hieß es in dem Zeugnis. „Es sind nicht nur zwei Personen. Er ist für sie da, sie ist für ihn da; das ist ihren Körpern eingeschrieben. Ihre Verbindung bringt das Leben hervor, das die Familien eint und zusammenhält. Sie bringt den Glauben zum Wachsen und hilft der Menschheit und den verschiedenen Kulturen der Welt, wieder aufzublühen.“ Der traditionellen Ehe stehe heute eine „Armee von Ablenkungen“ gegenüber, beklagt der Text. Daher würden Heiraten und Geburten weniger. Schuld am Niedergang von Ehe und Familie seien aber auch Armut und Krieg in der Welt. Die Religionen hätten in der Vergangenheit nicht genug für den Schutz von Ehe und Familie unternommen. Aber die Ehe sei nicht nur ein Symbol des Erfolgs. „Sie ist das Fundament, die solide Basis, von der aus eine Familie und über sie eine Gemeinschaft aufgebaut werden kann.“ Es sei die Aufgabe der Religionen, zur Ehe zu ermutigen und diese zu feiern.

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