Das Parlament orientiert sich

Der Bundestag debattiert über die Zukunft der “Sterbebegleitung”

Barmherziger Jesus– Eindrücke und Anmerkungen.

Von Stefan Rehder

Die Tagespost 2014, 14. November 2014

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) hätte wohl Gefallen an der von Vielen seit Wochen mit Spannung erwarteten Debatte im Plenarsaal des Reichstagsgebäude gehabt, die Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) am Donnerstag kurz nach neun Uhr mit der Bemerkung eröffnete, “mit diesem Tagesordnungspunkt beginnen wir vielleicht das anspruchsvollste Gesetzgebungsverfahren der gesamten Legislaturperiode.” Schrieb der Dichterfürst doch in “Dichtung und Wahrheit”: “Selbstmord ist ein Ereignis der menschlichen Natur, welches mag auch darüber schon so viel gesprochen und gehandelt sein, als da will, doch einen jeden Menschen zur Teilnahme fordert, in jeder Zeitepoche wieder verhandelt werden muss.”

In Abwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich auf den Weg zum G20-Gipfel in Brisbane gemacht hatte, debattierten die Abgeordneten des Deutschen Bundestags fast viereinhalb Stunden lang über die Zukunft der “Sterbebegleitung” in Deutschland. Und dies, obwohl es in der sogenannten “Orientierungsdebatte” – einem Novum in der Bundestagshistorie – noch keine ausgearbeiteten Gesetzentwürfe zu beraten, sondern lediglich Positionen vorzustellen gab. Für Viele war das offenbar zu lang. Denn nach zwei Stunden intensiver Debatte begannen sich die Reihen im Plenarsaal und auf der Regierungsbank spürbar zu leeren. Als am Ende mit dem gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Jens Spahn (CDU) der Letzte von insgesamt 46 Abgeordneten das Wort ergriff, waren kaum noch mehr als ein Viertel der Stühle besetzt.

Man kann Angela Merkel um ihr Kabinett nur beneiden. Die Fähigkeit, mehrere anspruchsvolle Tätigkeiten zur gleichen Zeit ausüben zu können, ist unter ihren Ministern und Staatssekretären offenbar besonders hoch ausgeprägt. Mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, Familienministerin Manuela Schwesig (beide SPD) und Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) sassen gleich drei Ressortchefs auf der Regierungsbank, die nicht nur die Debatte aufmerksam verfolgten, sondern parallel dazu auch intensives Aktenstudium betrieben und über ihr Smartphone kommunizierten. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) sind scheinbar nicht ganz so begabt. Sie begnügten sich damit, ihr Tablet beziehungsweise Notebook zu bedienen, während sie den Reden ihrer Abgeordnetenkollegen lauschten. Nur Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) kann offenbar noch weniger. Er beschränkte sich ganz aufs Zuhören.

Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass Glaube und Vernunft keinen prinzipiellen Gegensatz darstellen, dann lieferte diesen ausgerechnet eine Abgeordnete der Partei “Die Linke“. “Das Recht auf Leben“ sei, “wahrscheinlich das grundlegendste Menschenrecht; denn es ist die Voraussetzung dafür, dass wir andere Menschenrechte überhaupt wahrnehmen können“, vermerkte Kathrin Vogler, die Wert auf die Feststellung legt, dass sie “keiner Religionsgemeinschaft” angehöre. Für Menschen wie sie erwachse aus dem “Recht auf Leben” zwar noch “keine Pflicht zum Leben”. Doch gebe es “auch andererseits keine Verpflichtung der Gesellschaft, den Tod für Sterbewillige zu einer möglichst leicht erreichbaren Dienstleistung zu machen”. Sie wolle, so die Gesundheitspolitikerin weiter, “nicht in einer Gesellschaft leben, in der Menschen ihren Lebenssinn oder gar ihren Lebensunterhalt daraus gewinnen, anderen den Tod zu bringen”. Vogler kritisierte nicht nur, dass das deutsche Gesundheitssystem in den letzten Jahren “mehr und mehr in einen profitorientierten und wettbewerbsgetriebenen Wirtschaftszweig umgebaut” worden sei, sie stellte auch die Frage – wenn auch ohne eigens Suizidhilfeorganisationen oder den Wunsch nach einer Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids zu nennen – “nun auch noch der wortwörtlich letzte Markt erschlossen” werden solle? Die Abgeordnete, deren fünfminütige Rede mehrfach mit dem Beifall der Abgeordneten aus allen Fraktionen bedacht wurde, forderte, den Tod durch Suizid “nicht zu verklären”. “Wenn wir das täten”, so Vogler weiter, “liefen wir Gefahr, Menschen in Not nicht das Recht auf bestmögliche Hilfe zum Leben zuzusprechen; sondern dass ihnen eines Tages mehr oder weniger subtil vermittelt wird, wann es für sie Zeit wird, freiwillig sterben zu wollen.”

Einigkeit herrscht bei den Abgeordneten des Parlaments darüber, dass die Palliativmedizin ausgebaut werden müsse und die Hospizbewegung gestärkt werden solle. So gut wie kein Redner kommt ohne diesen Hinweis aus. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hatte entsprechende Pläne bereits im Vorfeld der Debatte angekündigt. Oppositionsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken kündigen an, Gröhe an seinen Taten messen zu wollen. Wenn die Debatte tatsächlich dazu führt, dass Bund und Länder hier mehr Mittel zur Verfügung stellen, dann hätte sie in jedem Fall auch dann gelohnt, wenn der Bundestag am Ende gar kein Gesetz beschliessen würde.

Der Gesundheitsexperte der SPD Karl Lauterbach gibt gern den Intellektuellen. Er forderte unter Bezugnahme auf den Philosophen Ludwig Wittgenstein, die Entscheidung, was Ärzte tun und lassen sollen, nicht den “Ärztefunktionären” zu überlassen. Mit anderen Worten, ob Ärzte bei einem Suizid assistieren können sollen oder nicht, dürfe nicht im Standesrecht, sondern müsse vom Gesetzgeber geregelt werden. “Wenn wir die Sterbehilfeorganisation verbieten, müssen wir Angebote schaffen.” Hier sei der Punkt erreicht, “wo, wie Wittgenstein sagen würde, sich der Spaten dreht”. Peinlich, peinlich. Denn einen unpassenderen Kronzeugen als Wittgenstein hätte sich der Arzt und Professor für Gesundheitspolitik und -management für sein Plädoyer für eine Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids nun wirklich nicht aussuchen können. So notierte der Philosoph, der drei seiner sieben Geschwister durch Suizid verlor, in seinem Tagebuch mit Datum vom 10. Januar 1917: “Wenn der Selbstmord erlaubt ist, dann ist alles erlaubt” und bekräftigt seine These hernach, ins Negative wendend: “Wenn etwas nicht erlaubt ist, dann ist der Selbstmord nicht erlaubt (…) Denn der Selbstmord ist sozusagen die elementare Sünde.”

Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) ist in seinem Element. Die “Wahrheit” sei “konkret”, behauptet er und malt mit Worten ein “Mundbodenkarzinom, das stinkend aus dem Kopf herauswächst” an die Wand des Plenarsaals. Er halte es “für unvereinbar mit der Menschenwürde, wenn aus dem Schutz des Lebens ein Zwang zum Qualtod” würde. “Leiden” sei, so der ehemalige evangelische Pastor, “immer sinnlos”. Dann zitiert er aus der Offenbarung des Johannes “Kein Leid, kein Geschrei, kein Schmerz wird mehr sein”. Es sei die grosse christliche Hoffnung, dass es einmal ein Leben ohne Leiden gibt. Dass sich diese Hoffnung aber ausschliesslich auf das Leben nach dem Tod bezieht, sagt er nicht.

Katherina Reiche (CDU) trägt ein Kreuz um den Hals, als sie an das Rednerpult tritt. Doch was die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur dort zu sagen hat, widerspricht im Ergebnis nicht nur diametral der christlichen Lehre, sondern in entscheidenden Teilen auch dem gesunden Menschenverstand. “Zu einen würdevollen Leben gehört auch ein würdevolles Sterben.” Auch gebe es ein “Recht auf ein selbstbestimmtes Leben”, beginnt die Potsdamer CDU-Abgeordnete ihre Rede. Und weil offenbar auch für Reiche das Sterben zum Leben gehört, gehöre “zu einem selbstbestimmten Leben auch ein selbstbestimmtes Sterben”. Doch wer nur einen Moment über das Dahingesagte nachdenkt, dem fällt schnell auf, dass das, was Menschen in ihrem Leben selbstbestimmen können, bei Licht betrachtet gar nicht so viel ist. So gehört etwa auch die Geburt von Menschen zum Leben. Dennoch sucht sich kein Mensch seinen Geburtsort oder den Zeitpunkt aus, zu dem er das Licht der Welt erblickt will. Widerspricht eine derartige Fremdbestimmung wirklich der “Würde des Menschen”? Und wenn dies beim Eintritt in diese Welt nicht der Fall ist, warum sollte es dann bei Austritt aus ihr eigentlich anders sein.

Johannes Singhammer (CSU) trägt weder Kreuz, noch zitiert er aus der Offenbarung des Johannes. Dafür ist er der Einzige, der den Abgeordneten in der Debatte den Eid des Hippokrates in Erinnerung brachte: “Ich werde niemandem (…) ein tödlich wirkendes Gift geben und auch keinen Rat dazu erteilen.” Der Katholik wirbt für ein “umfassendes und strafbewehrtes Verbot der organisierten und geschäftsmässigen Sterbehilfe im Strafgesetzbuch” und will “ein Werbeverbot dafür anstreben”. Seine Begründung dafür ist so einleuchtend wie unideologisch. Das “Leben miteinander zu gestalten bis zuletzt” sei einfach “besser, als Sterben zu organisieren”.

Niemand in Deutschland wolle die aktive Sterbehilfe, wie sie in den Niederlanden praktiziert wird heisst es. Wirklich niemand? Die Abgeordnete Petra Sitte von der Fraktion “Die Linke” hält sogar ein flammendes Plädoyer für die Einführung der “Tötung auf Verlangen” in Deutschland. Soll doch niemand glauben, dass sie allein bliebe, wenn der Bundestag den Ärzten gestatten würde, bei einem Suizid zu assistieren. Von dem Bereitstellen eines tödlichen Cocktails bis zur eigenhändigen Verabreichung desselben ist es nur ein kleiner Schritt. Zumal auch das erwünschte Ergebnis das Gleiche wäre.

Der Bundestagabgeordnete Hubert Hüppe (CDU) präsentiert Zahlen aus dem von Vielen als Vorbild bezeichneten US-Bundesstaat Oregon. Danach können 53,2, Prozent derjenigen die einen ärztlich assistierten Suizid in Anspruch nehmen, nur noch eine medizinische Mindestversorgung in Anspruch nehmen. Während diese zahlreiche Therapien ausschliesst, wird der ärztlich assistierte Suizid immer bezahlt.

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