“Zukunft von Religion und Kirche”
Eine Kämpferin in der Männerkirche
Porträt: Die feministische, lesbische Theologin Susanne Birke ist enttäuscht, dass die katholische Kirche den Reformkurs stoppte. Das wird ihr Engagement aber nur bestärken.
Will den Papst beim Wort nehmen: Theologin Susanne Birke.
Zu Beginn der Bischofssynode von letzter Woche weilte Susanne Birke ein paar Tage in Rom. Zusammen mit anderen Reformkatholiken als Beobachterin. Zurück in der Schweiz, fällt ihre Bilanz nüchtern aus: “Schaut man sich das Schlussdokument an, drängt sich das Wort Rückschritt auf”, meint die 46-Jährige. “Es ist das, was wir immer hatten. Dass wir nach so vielen Jahren nicht weiter sind, ist für mich nicht nur Stillstand, sondern Rückschritt.”
Birkes Aussagen mögen noch so niederschmetternd sein, die zierliche Frau befreit sich mit einem herzhaften Lachen aus der drohenden Resignation. Frustriert wirkt die Leiterin der katholischen Frauenstelle Aargau nicht. Als feministische und lesbische Theologin arbeitet sie seit über 20 Jahren in der Männerkirche, Konflikte und Rückschläge ist sie gewohnt.
Die Negativbilanz der Bischofssynode wird Birke nicht von ihren basiskirchlichen Aktivitäten abhalten, im Gegenteil. Sie ist in der Kerngruppe der Deutschschweizer Pfarreiinitiative engagiert, die gegen den seelsorgerlichen Ausschluss von Wiederverheirateten, Homosexuellen, Laien und Frauen kämpft. Auch beruflich setzt sich die in Ulm aufgewachsene Deutsche mit Integrations- und Gleichstellungsanliegen auseinander. Die katholische Frauenstelle, die sie seit 2003 leitet, ist in der Schweizer Kirche die zweitletzte ihrer Art. Im Zug der Frauenkirchenbewegung entstanden, wurden die meisten wieder abgebaut. Im Rahmen eines 50-Prozent-Pensums ist es Birkes Aufgabe, Frauen innerhalb der Landeskirche zu unterstützen, feministisch-theologische Anliegen aufzugreifen oder Massnahmen gegen sexuelle Ausbeutung vorzuschlagen.
Zur Aussprache zitiert
Zum internationalen Tag gegen Trans- und Homophobie im Mai hat Birke zusammen mit einem Katecheten die erste Aargauer Segens- und Solidaritätsfeier für gleichgeschlechtlich Liebende durchgeführt. Ohne dass sich die Teilnehmer outen mussten, hat sie ihnen den liturgischen Segen erteilt. Birke selber hat sich in dem Zusammenhang hochoffiziell im Aargauer Pfarrblatt als “Frauen liebend” geoutet. “Es gab viele gute Reaktionen, keine allerdings aus dem höheren Klerus.” Vom Basler Bischof, Felix Gmür, zu dessen Bistum sie gehört, hat sie nichts gehört. Von diesem ist sie bisher ein einziges Mal zu einer Aussprache zitiert worden – so wie alle, welche die Pfarreiinitiative unterzeichnet haben.
Wie in der Frauenkirchenbewegung seit langem üblich, feiert die Theologin mit Basisfrauen in Aarau und Baden Frauengottesdienste. Bis vor kurzem lud sie in Aarau zu Agapefeiern ein, bei der sie um den Segen von Brot und Traubensaft bat. Sie unterstützt auch Frauen, die das Priestertum anstreben. Sie findet allerdings, dass sich das Priesteramt grundlegend wandeln muss. Stark inspiriert von der asiatisch-feministischen Befreiungstheologie, ist Birke mit Theologinnen auf den Philippinen verbunden. Befreiungstheologie heisst für sie, mit den Ärmsten den Weg der Befreiung zu gehen und ihnen zu helfen, handelnde Subjekte zu werden. Von daher glaubt sie, dass Franziskus mit seinem Bekenntnis zu den Armen und seinem neuen Stil der Bescheidenheit der Kirche guttut. In Frauen- oder Familienfragen aber sei er sehr konservativ. Die Hoffnung vieler Bischöfe, dass die nun in den Bistümern angesagte Diskussion die Synode im nächsten Jahr doch noch zu Reformen beflügeln wird, teilt sie nicht. “Da bin ich sehr skeptisch.”
Den Papst beim Wort nehmen
Schliesslich stand Birke in Rom, wo sie sich während der Bischofsversammlung als Privatperson der Reformgruppe International Movement We Are Church anschloss, auf verlorenem Posten: Wie ihre Kollegen war sie in der Synodenaula bei den Bischöfen nicht willkommen. Um ihren Anliegen trotzdem Gehör zu verschaffen, organisierten die Basiskatholiken eine Medienkonferenz. “Im Grunde hatte ich nicht viel von der Synode erwartet.” Immerhin: Die Umfrage, mit der Rom im Vorfeld den Puls der Basis in Sachen Familie und Sexualität fühlen wollte, hat sie gefreut: “Das hat Diskussionen in Gang gebracht.” Positiv überrascht war sie, dass plötzlich mehr möglich schien als erwartet.
Der Satz im Zwischenbericht, Homosexuelle könnten die christliche Gemeinschaft bereichern, enthielt für sie eine ungewohnt neue Tonalität jenseits der Floskeln. Doch auf die Frage, wie reagiert die andere Seite, kam die Antwort wie gehabt und knüppeldick: Homosexuelle Partnerschaften hätten keinerlei Ähnlichkeit mit der gottgewollten Ehe, dekretierte das Schlussdokument.
In diesem sei die Doppelzüngigkeit geradezu perfektioniert. “Zuerst ein paar beschönigende Worte, dann der mantraartige Verweis, dass die Lehre nicht geändert werden kann. Zumal schöne Worte noch lange keine diskriminierungsfreie Praxis bedeuten”, meint Birke. Das Einzige, was ihr ein bisschen Hoffnung macht, sind die Abstimmungen, welche die Mehrheit der Liberalen offenbarten, jedoch die notwendigen Zweidrittelmehrheiten verfehlten. Nur: In einer Oligarchie, womit sie den vatikanischen Hofstaat meint, bewirkten einfache Mehrheiten nichts.
Ob Franziskus selber wirklich Reformen wünscht, ist für Birke nicht klar: “Er ist ein guter Pokerspieler, der sich nicht in die Karten schauen lässt. Ich glaube nicht, dass er diesbezüglich der grosse Reformer ist.” Im Zweifelsfall aber will sie ihm die Offenheit zugestehen, dass er den Diskussionsprozess ernst nimmt und gegebenenfalls Schlüsse daraus zieht. Sie selber will den Papst beim Wort nehmen, der sagt, das Schlusswort zu Ehe und Familie sei noch nicht formuliert, es solle jetzt debattiert werden.
Tages-Anzeiger, 24.10.2014
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