“Tourismus und gemeinschaftliche Entwicklung”

Welttag des Tourismus 2014, 27. September 2014

Vatikanstadt, 26. September 2014, zenit.org, Redaktion

Wir übernehmen in einer offiziellen Übersetzung die Botschaft vom Päpstlichen Rat der Seelsorge für Migranten und Menschen unterwegs  zum Welttag des Tourismus 2014, der am kommenden Sonntag, dem 27. September, gefeiert wird.

“Tourismus und gemeinschaftliche Entwicklung”

1. “Tourismus und gemeinschaftliche Entwicklung“ heisst der Leitfaden des Welttags des Tourismus, der am 27. September gefeiert werden wird und der, wie jedes Jahr, von der Welttourismusorganisationen (UNWTO) gefördert wird. Der Heilige Stuhl ist sich der sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung des Tourismus, gerade in der heutigen Zeit, bewusst und möchte diesen Bereich im entsprechenden eigenen Zusammenhang unterstützen, insbesondere im Rahmen der Evangelisierung.

In ihrem Globalen Ethikkodex für den Tourismus sagt die Weltorganisation, dass der Tourismus ein für alle involvierten Gemeinschaften positives Element zu sein hat: “Die örtliche Bevölkerung sollte in die touristischen Aktivitäten eingebunden werden und einen gerechten Anteil an den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Vorteilen geniessen, die durch diese Aktivitäten entstehen; das gilt insbesondere im Hinblick auf die Schaffung von direkten und indirekten Arbeitsplatzen im Bereich Tourismus”.1 Dies bedeutet, dass diese Realitäten eine Reziprozität anstreben sollten, die zu gegenseitiger Bereicherung führt.

Die Auffassung von “gemeinschaftlicher Entwicklung“ ist eng verbunden mit einem weiter gefassten, der Soziallehre der Kirche eigenen Begriff, nämlich mit der “ganzheitlichen Entwicklung des Menschen“ auf der die “gemeinschaftliche Entwicklung“ gewissermassen aufbaut. Diesbezüglich sind auch die Worte von Papst Paul VI. bezeichnend, der in der Enzyklika Populorum progressio folgendes feststellt: “Entwicklung ist nicht einfach gleichbedeutend mit ‘wirtschaftlichem Wachstum’. Wahre Entwicklung muss umfassend sein, sie muss jeden Menschen und den ganzen Menschen im Auge haben”.2

Wie kann Tourismus nun zu dieser Entwicklung beitragen? Um auf diese Frage antworten zu können, muss die “ganzheitliche Entwicklung des Menschen“, und demzufolge auch die gemeinschaftliche Entwicklung im Bereich Tourismus, das Erlangen eines ausgewogenen, nachhaltigen Fortschritts anstreben, der dreierlei Bereiche berücksichtigt: den wirtschaftlichen, den sozialen und den umweltbezogenen Bereich, wobei mit Letzterem sei es Ökologie wie auch Kultur gemeint sind.

2. Tourismus ist ein grundlegender Motor der Wirtschaftsentwicklung, aufgrund des bedeutenden Beitrags zum BIP (zwischen 3% und 5% auf Weltebene), zur Beschäftigung (zwischen 7% und 8% der Arbeitsplätze) sowie im Export (30% des Weltexports im Bereich Dienstleistung) 3.

In der heutigen Zeit, in der wir eine grosse Diversifizierung der Reiseziele beobachten, kann jeder Ort des Planeten zu einem potentiellen Reiseziel werden. Deshalb erweist sich der Touristiksektor als eine der wirksamsten und nachhaltigsten Optionen zur Minderung der Armut in rückständigen, benachteiligten Gebieten. Wird er in angemessener Weise entwickelt, kann er zu einem wertvollen Instrument des Fortschritts, der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Entwicklung von Infrastrukturen und des Wirtschaftswachstums werden.

Wir sind uns bewusst, dass – wie Papst Franziskus gesagt hat – “die Würde des Menschen mit der Arbeit verbunden ist“ und dass wir aufgerufen sind, das Problem der Arbeitslosigkeit mit den “Mitteln der Kreativität und der Solidarität“4 zu bewältigen. In diesem Sinne erscheint der Tourismus als ein Sektor, der grössere Möglichkeiten bietet “kreative“ und diversifizierte Beschäftigung zu schaffen, also Beschäftigungsmöglichkeiten, die ohne grosse Schwierigkeiten auch den benachteiligsten Gruppen zugute kommen können, wie Frauen, junge Menschen und einige ethnische Minderheiten.

Wesentlich ist auch die Voraussetzung, dass die wirtschaftlichen Vorteile des Tourismus alle Bereiche der lokalen Gesellschaft erreichen und den Familien direkt zugute kommen. Dazu sollen alle lokalen Humanressourcen bestmöglich genutzt werden. Um diese Vorteile zu erlangen ist es ebenso grundlegend, ethischen Kriterien zu folgen, die vor allem den Menschen achten, sei es auf gemeinschaftlicher Ebene wie auch jeden Einzelnen. Man muss Abstand nehmen von einer “wirtschaftlich geprägten Auffassung der Gesellschaft, die egoistisch nur den Profit sucht, jenseits aller Parameter sozialer Gerechtigkeit”5. Niemand darf den eigenen Wohlstand auf Kosten anderer verwirklichen.6

Die Vorteile eines Tourismus zu Gunsten der “gemeinschaftlichen Entwicklung“ dürfen nicht nur auf den wirtschaftlichen Aspekt eingeschränkt werden, denn es gibt weitere Dimensionen, gleicher oder grösserer Bedeutung. Dazu gehören unter anderem die kulturelle Bereicherung, die menschliche Begegnung, das Aufbauen von “Beziehungsgütern“, die Förderung der gegenseitigen Achtung und der Toleranz, die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen, die Potenzierung der Sozial- und Verbandsnetze, die Verbesserung der sozialen Bedingungen einer Gemeinschaft, die Anregung zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung sowie die Förderung der Berufsausbildung junger Leute, um nur einige Bereiche zu nennen.

3. Bei der Entwicklung des Tourismus soll die lokale Gemeinschaft zum Protagonisten werden; sie muss sich diese Entwicklung mit Hilfe der sozialen und institutionellen Partner und der Zivilbehörden zu Eigen machen. Von grösster Bedeutung ist es, angemessene Strukturen zur Beteiligung und Koordinierung zu schaffen, den Dialog zu fördern indem Verpflichtungen übernommen werden; es müssen die Bemühungen integriert und gemeinsame Ziele ausgemacht werden, sowie auf Konsens basierende Lösungen angeboten werden. Es geht nicht darum Etwas “für“ die Gemeinschaft zu tun, sondern “mit“ der Gemeinschaft.

Ausserdem sind nicht nur eine schöne Landschaft oder eine komfortable Infrastruktur ein angemessenes touristisches Ziel; es geht vor allem um eine lokale Gemeinschaft, um ihr Umfeld und ihre Kultur. Es soll ein Tourismus gefördert werden, der sich harmonisch, im Einklang mit der aufnehmenden Gemeinschaft und mit dem Umfeld entwickelt, die traditionellen und kulturellen Aspekte, das kulturelle Erbe und den Lebensstil wahrend. Im Rahmen einer so gearteten Begegnung vermögen die lokale Bevölkerung und die Besucher einen fruchtbaren Dialog aufzubauen, der auf Toleranz, Achtung und gegenseitigem Verständnis basiert.

Die lokale Gemeinschaft muss sich ausserdem aufgerufen fühlen das eigene Natur- und Kulturerbe zu schützen. Sie sollte es gut kennen, stolz darauf sein, es schützen und aufwerten, damit sie es mit den Touristen gemeinsam erleben und den zukünftigen Generationen vererben kann.

Schliesslich sollten auch die Christen vor Ort fähig sein, ihre Kunst, ihre Traditionen, die Geschichte, die moralischen und spirituellen Werte hervorzuheben, vor allem jedoch den Glauben zu bezeugen, der allem zu Grunde liegt und Sinn gebend ist.

4. Auf diesem Weg, der eine umfassende und gemeinschaftliche Entwicklung anstrebt, will auch die Kirche, als Experte in Sachen Menschlichkeit, ihren Beitrag leisten indem sie ihren christlich geprägten Entwicklungsgedanken einbringt, “das, was ihr allein eigen ist, eröffnend: eine umfassende Sicht des Menschen und des Menschentums.“ 7

Ausgehend von unserem Glauben können wir den Sinn für den Menschen, den Gemeinschafts- und Brüderlichkeitssinn beitragen, den Sinn für Solidarität, für Gerechtigkeit, uns als Hüter (und nicht als Besitzer) der Schöpfung erlebend. Und mit Hilfe des Heiligen Geistes können wir dazu beitragen, an Christi Werk weiterzuarbeiten.

Den Worten folgend mit denen sich Papst Benedikt XVI. an diejenigen wendet, die in der Pastoral des Tourismus arbeiten, müssen wir uns unermüdlich darum bemühen “dieses Phänomen mit der Soziallehre der Kirche zu beleuchten. Dabei ist eine Kultur des ethischen und verantwortungsvollen Tourismus zu fördern, so dass dieser immer mehr die Würde der Menschen und der Völker respektiert, allen zugänglich als auch gerecht, nachhaltig und ökologisch ist”.8

Mit besonderer Freude erleben wir wie, in verschiedenen Teilen der Welt, die Kirche die Potentialität das Touristiksektors erkannt hat und viele einfache, aber sehr wirksame Projekte ins Leben gerufen hat.

Immer mehr christliche Verbände organisieren Reisen im Sinne eines verantwortungsvollen Tourismus, in Gegenden, die sich in Entwicklung befinden. Auch sind jene Verbände immer zahlreicher, die den so genannten “solidarischen oder Volontariatstourismus“ fördern, der den Menschen die Möglichkeit gibt, während ihrer Ferienzeit, an Kooperationsprojekten in den Entwicklungsländern teilzunehmen.

Bemerkenswert sind auch jene Programme solidarischen und nachhaltigen Tourismus, die von den Bischofskonferenzen, den Diozösen oder von Glaubenskongregationen in benachteiligten Gebieten organisiert werden. Sie unterstützen die lokalen Gemeinschaften und helfen ihnen, Bereiche der Einkehr zu schaffen, Bildung und Selbstbestimmung fördernd; sie beraten und nehmen an der Ausarbeitung von Projekten teil, den Dialog mit den Behörden und anderen Gruppen anregend. Dies hat zur Entstehung eines Touristikangebotes geführt das, mit Hilfe von Verbänden und Kleinstunternehmen (Unterkünfte, Restaurants, Führungen, Handwerk, usw.), von den lokalen Gemeinschaften selbst verwaltet wird.

Sehr zahlreich sind die Pfarreien in touristischen Gebieten, die den Besucher aufnehmen und ihm liturgische, bildende und kulturelle Anregungen bieten, mit dem Wunsch, “die Christen bei ihrem Urlaub und ihrer Freizeit zu begleiten, so dass sie ihren menschlichen und spirituellen Wachstum nutzen, in der Überzeugung, dass auch in dieser Zeit Gott niemals vergessen werden darf, der unser nie vergisst“9. So sind diese Pfarreien bemüht, eine “Pastoral der Liebenswürdigkeit“ zu gestalten, die es ermöglicht, offen und brüderlich aufeinander zuzugehen, das Antlitz einer lebendigen, aufnehmenden Gemeinschaft offenbarend. Damit die Hospitalität noch wirksamer sei, ist eine konkrete Zusammenarbeit mit allen weiteren involvierten Bereichen erforderlich.

Diese seelsorgerisch geprägten Vorschläge werden jeden Tag bedeutsamer, vor allem angesichts der Tatsache, dass sich die Gestalt des “Erlebnistouristen“ immer weiter herauskristallisiert. Ein Tourist, der bemüht ist Verbindungen zur lokalen Bevölkerung aufzubauen und sich als Mitglied der aufnehmenden Gemeinschaft empfinden möchte indem er an deren täglichem Leben teilnimmt, die Begegnung und den Dialog schätzend.

Die kirchlichen Bemühungen im Bereich des Tourismus haben also in vielerlei Projekten konkrete Gestalt angenommen. Es sind Projekte, die aus einer Vielzahl von Erfahrungen entstanden sind, aus dem Einsatz, dem Enthusiasmus und der Kreativität vieler Priester, Geistlicher und Laien, die auf diese Weise an der sozialwirtschaftlichen, kulturellen und spirituellen Entwicklung der lokalen Gemeinschaft mitwirken möchten und sie darin unterstützen möchten, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken.

Im Bewusstsein der Tatsache, dass ihre vorrangige Aufgabe die Evangelisierung ist, möchte die Kirche ihre, meist bescheidene, Mitarbeit zur Verfügung stellen, um auf konkrete Bedürfnisse der Völker einzugehen, insbesondere der Bedürftigsten. Sie tut dies aus der Überzeugung heraus, dass “wir auch dann Evangelisieren, wenn wir uns den verschiedenen Herausforderungen stellen, die auftauchen können.” 10

Vatikanstadt, 1. Juli 2014

Antonio Maria Card. Vegliò
Vorsitzender
+ Joseph Kalathiparambil
Sekretär

*

FUSSNOTEN

1 Welttourismusorganisation, Globaler Ethikkodex für den Tourismus, 1. Oktober 1999, art. 5 § 1.
2 Paul VI, Enzyklika Populorum progressio, 26. März 1967, n. 14.
3 Vgl. Welttourismusorganisation (UNWTO) und Weltrat für Reisen und Tourismus (WTTC), Offener Brief an die Staats-und Regierungschefs zum Thema Reisen und Tourismus.
4 vgl. Franziskus, Ansprache an die Führungskrafte und Arbeiter der Stahlwerke in Terni und der Diozöse von Terni-Narni-Amelia, 20. März 2014.
5 vgl. Franziskus, Generalaudienz, 1. Mai 2013.
6 “Die reichen Länder haben bewiesen, dass sie die Fähigkeit haben materiellen Wohlstand zu schaffen, meist jedoch auf Kosten des Menschen und der schwächeren sozialen Gruppen” (vgl. Päpstlicher Rat Justitia et Pax, Kompendium der Soziallehre der Kirche, 2. April 2004, n. 374).
7 Paul VI, Enzyklika Populorum progressio, 26. März 1967, n. 13.
8 Benedikt XVI, Botschaft anlässlich des VII Weltkongresses für Tourismusseelsorge, Cancún (Mexiko), 23-27 April 2012.
9 Vgl. VII. Weltkongress für Tourismusseelsorge,, Schlusserklärung, Cancún (Mexiko), 23-27 April 2012.
10 Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 24. November 2013, n. 61.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel