Ortstermin in der Hölle

“Diener Gottes, die ihr Leben für Christus gaben – Märtyrer des Glaubens”

Mutter Teresa 1986Geschichte der kath. Kirche in Albanien
Albanien: Grosse Freude vor Papstbesuch

Die ehemaligen Strafgefangenen der kommunistischen Diktatur hoffen, dass Albanien und die Welt ihr schmerzensreiches Schicksal nicht vergessen – Albaniens Kirche hofft auf eine vatikanische Anerkennung ihrer zahlreichen Märtyrer noch in diesem Jahr.

Die Tagespost, Von Stephan Baier, 17. September 2014

Im vorderen rechten Seitenschiff des Stephansdoms von Shkodra (Skutari) befindet sich eine grosse Bildtafel mit vierzig schwarz-weissen Porträts. “Diener Gottes, die ihr Leben für Christus gaben – Märtyrer des Glaubens” steht darüber in albanischer Sprache. Einer von ihnen wurde von den Osmanen hingerichtet, ein zweiter unter dem schillernden König Zogu in der Zwischenkriegszeit aufgehängt. Die anderen jedoch wurden in der Zeit der kommunistischen Diktatur zu Tode gefoltert, darunter allein aus dem Franziskanerorden acht Patres und ein Erzbischof.

Es gibt aus diesem blut- und tränenreichen 20. Jahrhundert weit mehr albanische Märtyrer, die ihr Leben um des Glaubens an Christus willen gegeben haben. Doch für diese Vierzig existiert bereits eine kirchliche Dokumentation, die die albanische Bischofskonferenz der zuständigen vatikanischen Kongregation auf Albanisch wie auf Italienisch übermittelte. Erzbischof Angelo Massafra, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, hofft auf eine rasche kirchenoffizielle Anerkennung dieser Blutzeugen – noch nicht beim Papstbesuch am Sonntag, doch noch in diesem Jahr.

Luigj Mila, der dynamische Generalsekretär von “Justitia et Pax Albanien“, erzählt in Shkodras Kathedrale, die symbolträchtig nach dem Protomärtyrer Stephanus benannt ist, von beeindruckenden Persönlichkeiten. Von einem muslimischen Anwalt etwa, der sich für verfolgte Katholiken einsetzte und deshalb vom atheistischen Regime ermordet wurde, von der schönen Maria Tuci, einer jungen Katholikin, die von den kommunistischen Schergen vergewaltigt und zu Tode gefoltert wurde. Unzählige Lebens- und Leidensgeschichten gibt es aus jener dunklen Ära, als die roten Tyrannen Albaniens sich gegenüber dem Rest der Menschheit und aller Menschlichkeit verschlossen.

Vier Jahrzehnte herrschte hier der kommunistische Diktator und fanatische Atheist Enver Hoxha, und sein Name bleibt verbunden mit einem der grausamsten totalitären Regime in der Geschichte Europas. Der Atheismus war offizielle Politik. Jede Glaubensausübung, christlich oder muslimisch, wurde gnadenlos verfolgt.

“Den Marmor unserer Kirche haben die Kommunisten gestohlen und in den Palast des Diktators gebracht. Dort ist er noch immer”, erzählt der Jesuit Zef Bisha in der Herz-Jesu-Kirche der Hauptstadt Tirana. Die Orgelpfeifen verwendeten die lokalen Potentaten für ihre Heizungssysteme. Was von Klöstern, Kirchen und Moscheen nicht missbraucht und umgewidmet werden konnte, wurde zerstört, vernichtet. Auch der Stephansdom von Shkodra, im 19. Jahrhundert mit schriftlicher Billigung des osmanischen Sultans errichtet, wurde 1967 ein Opfer der kommunistischen Kulturrevolution: Die Kathedrale wurde zur Sporthalle umfunktioniert. 1973 fand hier in Anwesenheit des Diktators der Frauenkongress der Kommunistischen Partei statt.

Nicht nur Oppositionelle, Priester und Imame wurden pauschal zu Kriminellen erklärt. Immer wieder fegten Säuberungswellen über das Land und durch dessen Kommunistische Partei. Wie sein Vorbild Josef Stalin liess Enver Hoxha seine alten kommunistischen Weggefährten, vermeintliche Abweichler und kritische Geister wegsperren, foltern, ermorden. Ein Paranoiker, der überall eine Welt voller Feinde sah, innen wie aussen: Hoxha brach wegen der Entstalinisierung mit der Sowjetunion Chruschtschows, wie er zuvor mit Titos Jugoslawien gebrochen hatte, wie er später auch mit Peking brach. Am Ende war Albanien völlig isoliert: politisch, wirtschaftlich, intellektuell, ideologisch.

Die Bürger Albaniens sollten vor jedem schädlichen Einfluss des Auslands abgeschottet werden. Die Geheimpolizei “Sigurimi“ bespitzelte alle, immer und überall. Geständnisse wurden mit Folter und Erpressung erreicht, die Angehörigen weder über Urteile noch über Gründe der Verurteilung informiert. Mehr als 5 000 Menschen wurden zwischen 1945 und 1990 vom Regime hingerichtet, Hunderttausende eingesperrt und misshandelt. Nicht nur ausländische Medien waren strengstens verboten. Untersagt war auch die Lektüre klassischer wie moderner Philosophen: von Aristoteles über Hegel und Kierkegaard bis Sartre.

In seiner grössenwahnsinnigen Paranoia erwartete Hoxha eine militärische Invasion des Westens unter Führung der Amerikaner. Um sich dagegen zu wappnen, baute er zahllose Betonbunker, vor allem in Küstennähe – mit Blick in Richtung des NATO-Mitglieds Italien. “Sie werden uns niemals schlafend vorfinden, wir leben in ständiger Wachsamkeit. Die Granitmauern unserer Festung sind unerschütterlich“, so Hoxha. Doch die Amerikaner kamen nicht, um das Volk von dem Tyrannen zu befreien.

Auch nicht 1973, als in Spac, einem abgeschiedenen Straflager hoch oben in den Bergen, wo politische und religiöse Gefangene unter Folter und Hunger schufteten, ein Aufstand der Verzweifelten losbrach. Stattdessen kam der stellvertretende Innenminister nach Spac und brüllte ins Megaphon: “Denkt nicht, dass irgendwer von euch gerettet wird. Sogar wenn die Anglo-Amerikaner landen! Denn dann werden wir erst euch töten, bevor wir uns ihnen zuwenden.“ Drei Tage lang harrten die ausgemergelten, ausgehungerten Häftlinge aus, bevor die Armee, die mit zwei Divisionen angerückt war, die Lage wieder unter Kontrolle hatte.

Für den heute 66-jährigen Zenel Drangu begann damals gerade ein 16 Jahre währender Leidensweg, hier in den Kupfer- und Pyrit-Minen von Spac. Fast emotionslos zeigt er uns die Gebäude der Wächter und der Kommandanten, die hier mit ihren Familien lebten. Feucht werden seine Augen, als er von den Kindern und Frauen der Häftlinge erzählt: Die 14 Kilometer vom nächstgelegenen Dorf mussten die Familienangehörigen zu Fuss zurücklegen, ohne irgendeine Gewissheit, den inhaftierten Mann überhaupt sehen zu dürfen, ihm die mitgebrachten Lebensmittel aushändigen zu können. Wurde nach stundenlangem Warten eine Begegnung erlaubt, so dauerte diese zehn Minuten, streng bewacht, ohne die Chance auf ein unbelauschtes Wort oder eine Berührung. Manchmal vernichteten die Wächter die mitgebrachten Lebensmittel – 15 Kilo pro Monat waren gestattet – aus Langeweile oder aus reinem Sadismus. Aber natürlich gab es auch “Privilegierungen“. Etwa wenn ein Häftling mit den Folterknechten “kooperierte“ und seine Mitgefangenen ausspionierte.

“Sogar Vögel fliegen hier nicht“, sagt Zenel Drangu, um metaphorisch die Abgeschiedenheit des Ortes zu unterstreichen. Das Gestein ist voller Mineralien, zum Teil auch goldhaltig. Im nächsten Ort mussten normale Kriminelle in den Minen arbeiten, hier aber nur politische Gefangene. Einige waren verzweifelt genug, um einen Fluchtversuch zu wagen. Doch alle wurden mit Hunden gejagt und wieder eingefangen. Ihre Strafen wurden dann um viele Jahre oder gar Jahrzehnte verlängert. Fünf Grenzzäune, alle mindestens fünf Meter hoch, sicherten das Camp. “Sogar ein Hochsprungweltmeister hätte eine solche Hürde nicht überspringen können.” Zwei schafften es aber doch. Sie kamen fast bis zur mazedonischen Grenze, bevor sie aufgegriffen wurden.

Auf einem verfallenen Gebäude ist noch eine alte Aufschrift zu erkennen: Die Gefangenen sollen erzogen werden, damit sie wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden können, steht da. Die meisten sozialistischen Parolen und Hoxha-Zitate auf den Baracken sind längst vergilbt und unleserlich geworden.

Zenel Drangu kam 1973 nach Spac. Wegen Landesverrats: Er war aus Enver Hoxhas Tyrannei nach Jugoslawien geflohen, wurde dort festgenommen und an Albanien ausgeliefert. Der Richter sagte ihm damals: “Wir mussten deinen Heimweg aus Jugoslawien mit Gold bezahlen, aber das zahlst du uns zurück!“

Viele landeten in Spac, weil sie sich ins Ausland absetzen wollten oder ausländische Sender hörten. Das albanische Fernsehen brachte, wie Drangu erzählt, ja nur Reportagen aus armen, verelendeten und leidenden Ländern. “Sie wollten uns glauben machen, dass die Menschen im Ausland so armselig und elend leben, während wir in einem Paradies leben.”

Zenel Drangu berichtet: “Ein Freund von mir war Musiker und Komponist. Er durfte 1981 im Kosovo auftreten. Als er heimkam und erzählte, dass die Künstler im Kosovo ihn mit ihrem Privatauto abholten, war das in Albanien eine grosse Überraschung: Wie kann ein einfacher Bürger ein privates Auto besitzen? Dafür wurde er verurteilt und bestraft, weil er ein grosses Geheimnis verriet: dass das Leben im Ausland besser sei als bei uns. So wurde er wegen Propaganda und Agitation zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Sie wollten uns weismachen, wir seien das wohlhabendste und fortschrittlichste Land der Welt.”

Zenel Drangu musste mit 54 Mitgefangenen in einem Raum schlafen, die Betten waren 60 Zentimeter breit. “Das Stroh, auf dem wir schliefen, war zehn Jahre alt und bereits zu Staub geworden.” Im Winter hatte es minus 20 Grad. Bei Verfehlungen, Widerstand, oder wenn einer das Soll nicht erfüllte, drohten Einzelhaft, Essensentzug, Folter. Er selbst wurde zehn Tage gefesselt, so dass ihm ein Mithäftling helfen musste, seine Notdurft zu verrichten. Schlafen konnte er nur im Stehen, so eng war die Zelle. 63 Priester seien alleine in Spac umgebracht worden, weiss er.

Begegnungen zwischen früheren Insassen und früheren Wachen habe es zwar mittlerweile gegeben, “aber keine Zeichen des Bedauerns oder der Entschuldigung“. Manche früheren Aufseher sagten, sie hätten ja nur ihre Pflicht getan. Zenel Drangus Hoffnungen sind auch heute, ein Vierteljahrhundert nach seiner Freilassung und 23 Jahre nach dem Ende des Kommunismus, noch nicht erfüllt: “Immerhin können wir offen und ohne Angst sprechen. Aber wir werden noch regiert von vielen ehemaligen Kollaborateuren des Regimes, und von ihren Söhnen.“

Die aktuelle Politik ignoriere das Schicksal der Verfolgten, meint ein anderer ehemaliger Häftling beim Rundgang in Spac. Darum lasse die Regierung Spac gezielt verfallen. Die früheren Folterer würden geschützt, schimpft er und zeigt seine Narben an den Armen und im Gesicht. “Es regieren noch immer die, die uns einst folterten!“

Der 75-jährige Gjeto Vocaj war inhaftiert worden, nachdem einem seiner Freunde die Flucht nach Amerika gelang. Dieser beging den Fehler, in einer Bar in Manhattan zu erzählen, wie sein Freund Gjeto ihm bei der Flucht half. Albanische Emigranten hörten das und meldeten es dem Geheimdienst. Gjeto Vocaj wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt, seine Familie wurde deportiert.

Auch Beqir Shaba weiss von Sippenhaft zu berichten: Weil 1946 in seinem Dorf anti-kommunistische Unruhen stattfanden, wurde sein Grossvater exekutiert, sein Vater inhaftiert, das Haus der Familie niedergebrannt, das Land konfisziert. Jahrzehntelang war seine Familie stigmatisiert und sozial ganz isoliert, erzählt er. Dem Papst, der am Sonntag Albanien besucht, wolle er sagen: 2Danke, dass Sie für uns da sind! Beten Sie, dass diese Zeiten nie wiederkehren!”

Gjergj Baka ist heute 68 Jahre alt. Zwölf Jahre seines Lebens musste er in Spac in den Minen arbeiten, weil er aus Albanien zu fliehen versucht hatte. Nach seiner Entlassung wollte ihn die Geheimpolizei als Spitzel anwerben. Weil er sich weigerte, wurde er gefoltert und zur Arbeit im Steinbruch verurteilt. Ein anderer Mann wurde nach Spac geschickt, weil er sich als Fan der deutschen Fussballnationalmannschaft bekannte – wegen Verherrlichung ausländischer Mächte wurde er verurteilt. Er stellt klar: “Das war nur ein Vorwand. Der wahre Grund war, dass mein Onkel Jesuit war!”

Wegen ihrer intellektuellen Bildung seien viele katholische Priester inhaftiert worden, erzählt der heute 70-jährige Xhavit Lohja. Er selbst ist Muslim, bezeugt aber: “Die Priester wurden am schlechtesten behandelt!” Im Straflager Spac habe es eine grosse Harmonie zwischen den katholischen und den muslimischen Häftlingen gegeben, meint Xhavit Lohja und erzählt von einem Priester, der vor seinem Martyrium offen gesagt habe: “Der Glaube wird den Kommunismus überleben!“

Die Mächtigen von damals hätten auch heute die Macht, zumindest die ökonomische, erklärt Luigj Mila von “Justitia et Pax“. Und die Opfer von damals seien heute zwar frei, aber arm. “Die Täter wollen mit ihren Opfern nichts zu tun haben.” Mila gehört zu den Gründern eines Vereins, der die Haftanstalt von Spac zu einem Museum machen möchte, “um den künftigen Generationen zu helfen, die Geschichte der kommunistischen Verfolgung in Albanien kennenzulernen und zu verstehen“, wie es in den Vereinsstatuten heisst. Das katholische Hilfswerk “Renovabis“ und die “Maximilian-Kolbe-Stiftung“ fördern dieses Projekt einer Gedenkstätte, insbesondere die Begegnung mit ehemaligen Gefangenen, weil sie darin auch einen Beitrag zur Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit und zur gesellschaftlichen Versöhnung sehen.

Spac ist eines jener Straflager für politische und religiöse Gefangene, für kritische und intellektuelle Geister, in denen willkürliche Misshandlungen, Folter, katastrophale hygienische Bedingungen und Hunger an der Tagesordnung waren. Die Albanien-Kennerin Marianne Graf berichtete von einem Pianisten, “der Mozart spielte und dafür mit blossen Händen Steine aus der Grube schaffen musste. Jedes Mal, wenn er sein Arbeitskontingent nicht erfüllte, wurde ihm ein Finger abgehackt”, von einem Dichter, der Artikel von Enver Hoxha auswendig lernen musste und bei jedem Fehler nackt in die Latrine gebunden wurde, von einem Arzt, “der einem Mithäftling den blutenden Armstummel verband und dem dafür die Zähne mit einem Stemmeisen eingeschlagen wurden“.

Fast ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des kommunistischen Terrorregimes ist vielen Opfern noch immer keine Gerechtigkeit zuteil geworden, sind Misshandelte nicht entschädigt und Folterer nicht bestraft worden. Die offizielle kirchliche Anerkennung der albanischen Märtyrer wäre ein Signal an alle Opfer der Tyrannei, dass zumindest die Weltkirche ihre Leiden nicht vergessen hat, sondern der ganzen Welt vor Augen hält.

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