“Auch Gott geht Umwege”
“Zähmung eines Widerspenstigen durch Gott“
Im Interview mit der “Tagespost” sieht Franz Lackner, der neue Erzbischof von Salzburg, seinen Weg als “Zähmung eines Widerspenstigen durch Gott”.
Von Stephan Baier
“Gott musste mich immer überzeugen. Aber inzwischen bin ich schon recht biegsam“, sagt Erzbischof Franz Lackner. Sie haben es vom Schulabbrecher, Elektrikerlehrling und Arbeitslosen mit Gelegenheitsjobs bis zum Philosophieprofessor in Rom, und nun sogar bis zum Erzbischof von Salzburg gebracht. Ist das die steile Karriere eines Spätzünders? Oder spüren Sie Gottes Führung und Fügung in Ihrem Leben?
Eher das zweite! Ich bin zwar ein Spätzünder und ein eher schlechter Anfänger, aber ich sehe meinen Weg trotzdem nicht als Karriere eines Spätzünders. Es gibt Rennpferde, die wollen anfangs nicht laufen, aber dann geht es mit vollem Tempo los. Ich bin zunächst eher zurückhaltend, zögerlich – das ist wohl auch nicht das Schlechteste. Mein Weg ist die Zähmung eines Widerspenstigen durch Gott. Bei mir ist es so, dass ich erst einmal “Nein” sage. Bei allen grossen Entscheidungen meines Lebens war das zuerst so: zum Priesterwerden, zum Provinzial, vorher zum Studium habe ich anfangs “Nein” gesagt. Ein Mitstudent hielt mir vor, ich hätte den ganzen Weg zur Uni über das Theologiestudium geschimpft, weil ich meinte, es würde mir den Glauben nehmen – und dann wollte ich nicht aufhören zu studieren.
An Ihrem Leben fällt auf, dass Sie stets andere Wege geführt wurden als Sie gehen wollten: Sie machten eine Elektrikerlehre, wurden aber nicht Elektriker; Sie wollten weiter lehren in Rom, wurden aber zum Provinzial gewählt. Nun waren Sie quasi gebucht für die Bischofsnachfolge in Graz, müssen aber als Erzbischof nach Salzburg. Spüren Sie die Hand Gottes in Ihrem Leben, der andere Wege führt als geplant?
Ja! Inzwischen ist es schon so: Wenn ich von etwas selbst überzeugt bin, denke ich schon, das kann nicht ganz richtig sein. Ich habe mich sehr schwer für ein zölibatäres Leben entschieden. Ich bin ein Beziehungsmensch, und daher waren Heiraten und die Gründung einer Familie zunächst das Naheliegendste. Plötzlich war dann aber das ganz Andere da. Gott hat mich mit sanftem Druck auf den Weg geführt, den ich zwar nicht wollte, der aber mein Weg ist. Das ist schon Fügung! Gott musste mich immer überzeugen. Inzwischen bin ich schon recht biegsam geworden, meine ich. Obwohl ich von den Journalisten als möglicher Bischofskandidat genannt worden bin, habe ich trotzdem immer versucht, mir eine innere Freiheit zu bewahren. Letztlich war auch ich natürlich überrascht.
In Ihrem Leben gibt es Umwege und Brüche. Ist das charakteristisch für unsere Zeit? Haben Sie so mehr Verständnis für Umwege und Irrwege vieler Menschen von heute?
Ich glaube grundsätzlich, dass der Umweg der bessere Weg ist. Man sieht einfach mehr! Unsere geradlinigen Autobahnen sind kein gutes Bild für den Weg des Menschen. Der Umweg ist der bessere Weg, weil er eher dem Weg Gottes entspricht. Auch Gott geht oft Umwege, um zum Menschen zu kommen. Heute wird ja auch in der Kirche oft funktionalistisch argumentiert: “Das muss so sein, das wird gebraucht, das wollen die Menschen heute so – also machen wir es so.” Wenn Theologie aber zur reinen Versorgung von Bedürfnissen wird, werden wir einen Gott nicht verstehen, der 30 Jahre in Nazareth im Verborgenen gelebt hat. Da könnte jemand behaupten: “Welch göttliche Ressourcenverschwendung! Was hätte er in dieser Zeit alles tun können! Er ist ja gekommen, um das Volk Israel zu erlösen – und dann arbeitet er als Tischler und predigt nicht? Er sitzt in der Synagoge im Volk, und nicht vorne bei den Gelehrten.” Gott sucht den Menschen oft über Umwege, weil er weiss, dass der Mensch für das Direkte nicht so geschaffen ist. Ich bin dankbar, dass ich diese Wege gehen konnte. Einige Umwege waren auch Sackgassen, wo man dann umkehren und zurückgehen muss. Umkehr braucht Demut. Manche Erfahrungen bräuchte man nicht unbedingt zu machen, aber wenn man in eine Sackgasse geraten ist, kann man andere später wenigstens davor warnen. Das betrifft tatsächlich unsere Zeit: Ein Bischof, der immer schnell weiss wie es geht, kommt bei vielen Menschen nicht an. Ich habe oft Zustimmung und Verständnis erfahren, wenn ich sagte: “Entschuldigung, darauf habe ich jetzt auch keine Antwort!”
Sie haben gelernt, sich von oben führen zu lassen. Ist unsere Zeit nicht im Gegenteil auf Machbarkeit geprägt? Darauf, alles selber zu machen, sich nicht von Gott überraschen zu lassen?
Ja, das sehe ich so. Heute möchte man alles gleichsam von der eigenen Festplatte herunterladen. Was da nicht drauf ist, gibt es für den Einzelnen praktisch nicht. Ein Beispiel: An der Hochschule in Heiligenkreuz sind die jungen Leute religiös sehr aufmerksam. Trotzdem sagten mir manche auf die Frage, ob sie nicht Priester werden wollen: “Wie weiss ich, dass Gott das will?” Meine Antwort ist: “Sie allein werden das nie wissen. Sie dürfen das gar nicht wissen! Die Kirche weiss das.” Berufung ist immer eine Antwort auf etwas, was mir von aussen zukommt. Wir dürfen aus dem Christentum, das eine Offenbarungsreligion ist – der wesentliche Impuls kommt immer von aussen, selbst wenn die ganze Welt versammelt sein sollte –, keine Naturreligion machen. In den Naturreligionen, die ich nicht negativ beurteilen möchte, sind die Natur des Menschen und der Welt die Grenzen der Religion. Das darf im Christentum nicht so sein! Darin sehe ich eine Tendenz unserer Zeit, der wir entgegen wirken müssen.
Sie sagten einmal, die Armut in der Kindheit habe Sie sehr geprägt. Trug das dazu bei, dass Sie Franziskaner wurden?
Da ist der Glaube der Eltern, der Glaube der Kirche. Mir war nicht immer alles so präsent, etwa warum ich ausgerechnet Franziskaner geworden bin. Als Kind habe ich Armut als etwas Negatives erlebt, aber sie hat mich sehr geprägt. Bei den Franziskanern war ich schon nicht mehr so arm. Mein Vater wollte Maurer werden, und durfte nicht. Was durfte ich dagegen alles lernen – und das haben die Franziskaner mir ermöglicht! So arm wie als Kind war ich in Rom nicht. Als Franziskaner müssen uns die Armen natürlich ein Anliegen sein. Aber wenn man in einer Konkordanz sucht, welcher Begriff bei Franz von Assisi am häufigsten vorkommt, dann ist das nicht “Armut”, sondern “Eucharistie”.
Was ist das Franziskanische an Ihnen und wie wirkt sich das auf Ihr Bischofsamt aus?
Was ich bei den Franziskanern gelernt habe, und was mir im Bischofsamt bisher schon viel geholfen hat, ist, was Franziskus in seinem Testament wiederholend sagt: “Der Herr hat gegeben …”. Wie das Zweite Vatikanum gelehrt hat, wie Johannes Paul II., Benedikt XVI. und nun auch Papst Franziskus in seinem Schreiben “Evangelii gaudium” lehren, steht am Ursprung des Christentums das göttlich-menschliche Antlitz einer Person. Bei Franziskus war der Glaube kein Programm, etwa für die Armen und die Umwelt, sondern alle Ursache ist Person. So heisst es bei ihm: “Der Herr hat mich zu den Armen geführt!” Das ist der einzige Satz, den ich mir für die Predigt zum Amtsantritt in Salzburg schon jetzt vorgenommen habe: “Bitte, glauben wir gemeinsam, dass es der Herr war, der mich als 90. Erzbischof hierher geschickt hat.”
Papst Franziskus lehrt in “Evangelii gaudium”, Christus im Armen, im Migranten, im Leidenden zu sehen. Wer sind die Armen unserer Zeit? Nur die materiell Armen oder gibt es auch eine spirituelle Armut?
Die Option für die Armen gehört wirklich ins Zentrum der Kirche. Aber auch von Gott her müssen wir es uns je neu sagen lassen: Gott ist, was die Armen betrifft, einfach parteiisch. Kennen wir die Menschen? Wen erreichen wir? Werden da nicht ganze Bereiche ausgegrenzt? Sind nicht viele arm im Sinne des Evangeliums, aber wir tauchen dort nie auf? Es ist wichtig, die Armen zu kennen und zu wissen, wo die Slums heute sind. Natürlich sind die Flüchtlinge und die materiell Armen da: Für mich ist es sehr schwer, durch die Stadt zu gehen und die Bettler zu sehen. Ich komme aus einem Bettelorden und werde Bettler nie scheel anschauen. Da bin auch ich parteiisch. Es gibt heute darüber hinaus so etwas wie eine intellektuelle Armut. Und es gibt eine Armut, die die andere Seite von Reichtum ist. In manchem tollen Haus herrschen erschütternde Lebensbedingungen.
Mutter Teresa nennt die Einsamkeit als eine Form der Armut in der reichen Welt.
Es kommt vor, dass ein Mensch in heutiger Zeit sich in seinem Individualismus in ein Eck katapultiert, wo ihn fast niemand mehr erreicht, und wo er wirklich verlassen ist. Man müsste auch in die Familien schauen: Wie viel Armut herrscht hier oftmals in der Beziehungslosigkeit, im Nichtverstehen und Nichtmiteinanderkönnen? In Gemeinschaft zu leben ist bereichernd, aber auch eine riesige Herausforderung.
Papst Franziskus sagt, er wünsche “eine arme Kirche für die Armen”. Was heisst das übersetzt in die Lebenswirklichkeit eines Erzbischofs in der Festspielstadt Salzburg?
Salzburg ist eine Kulturstadt von Weltrang. Vor allem im Sommer werden jeden Tag in unmittelbarer Nähe zum Bischofshaus auf den verschiedensten Bühnen hochkarätige Kulturveranstaltungen geboten. Darauf freue ich mich, und ich werde sicherlich auch die eine oder andere Aufführung besuchen. Gleichzeitig darf man auch in einer Festspielstadt nicht den Blick vor der Armut verschliessen. Wir müssen die Armen kennen. Bei mancher Fassade sieht man es, bei mancher nicht. Es gibt immer noch viele Menschen, die arm sind, aber es nicht sagen. Sie ziehen sich zurück, weil sie sich schämen. Zweitens ist mir die Bedürfnislosigkeit im Herzen wichtig: Ich weiss, wie schnell ich an etwas hänge. Das müssen keine schlechten Sachen sein. Ich werde etwa künftig nicht mehr an der Hochschule lehren, woran ich sehr hänge. Ich muss mich ständig dieser Frage aussetzen: Woran hängt mein Herz?
Sie sagten kürzlich bei Ihrer Vorstellung in Salzburg, das grösste Problem für den Glauben sei “nicht die Sünde, sondern die Oberflächlichkeit”. Ist die im Internet- und Fernsehzeitalter nicht zeittypisch?
Es ist zeittypisch, die Oberfläche zu bedienen und die Leute für den Moment zu beruhigen. Ich habe Flugangst. Wenn ich bete, wird diese zunächst noch schlimmer, weil man im Gebet sensibler wird. Manche trinken vielleicht zur Beruhigung Schnaps und Bier oder schauen “Mister Bean”. Man wird abgelenkt. Es ist aber eine geistliche Übung, in die Tiefe zu gehen. Viele Menschen haben Angst davor. Wenn man aber immer bloss die Oberfläche bedient, entstehen Kellerräume voller Moder. Ich sage den Jugendlichen: Geht in die Tiefe! Tiefer graben, tiefer denken, tiefer beten!
Das Konzilsdekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe sagt, Diözesanbischöfe hätten die Gläubigen “zu lehren, zu heiligen und zu leiten”. Das widerspricht dem Zeitgeist.
Bei allen drei Dingen ist das eigene Beispiel ganz wichtig: Lasse ich mich belehren? Ich werde für die Kirche Österreichs in Rom Anwalt sein, werde die Sorgen und Leiden hintragen und vertreten – aber ich bin nicht der Oberlehrer von Rom, sondern lasse mich von dort auch belehren. Gleichzeitig lasse ich mich vom Volk belehren, wenn auch nicht im normativen Sinn, denn die Stimme des Volkes hat auch einen belehrenden Charakter.
Wir haben grossartige Sakramente der Heilung und Heiligung. Was bedeutet es, den Tag zu heiligen?
Wir müssen uns in einen Fluss hineinbegeben, den nicht wir allein bestimmen, in den Heilsstrom der Kirche, der durch die Geschichte fliesst. Das Grossartige an der Kirche ist, dass man mitgetragen wird und nicht alles allein machen muss. Das Führen und Leiten dagegen ist heute ein Topthema: Ich bin als Weihbischof auch gecoacht worden. Hören ist dabei ganz wichtig, denn der Glaube kommt vom Hören. Jeder, der führt und leitet, muss viel hören, aber letztlich auch entscheiden. Den Jugendlichen sagte ich immer: Hört wenigstens, was die Kirche glaubt und denkt, ihr müsst es ja nicht sofort annehmen.
Über Papst Franziskus herrscht allüberall Begeisterung. Zeichnet sich da eine Trendwende zur Neuevangelisierung Europas ab oder werden bloss fremde Programme auf ihn projiziert?
Mit “Trendwende” tue ich mir in der Kirche schwer, denn ich glaube an die Heilsgeschichte. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott von damals und heute ist derselbe Gott. Wir können kein Stück aus der Kirchengeschichte herausnehmen und sagen, das sei komplett falsch. Ich glaube an das organische Ganze. Die Kirche ist wie ein Fluss, aus dem wir kein Stück herausnehmen können. Die Quelle heisst Jesus Christus, aber diese Quelle muss Fluss werden durch Zuflüsse. Man kann Kirche auch als Gebäude sehen, das festgefügt den Stürmen der Welt Widerstand gibt. Sie ist ein Haus, das auf Felsen gebaut ist. Sie bekommt ihre letzte Dynamik durch den Papst, nicht durch einen Mehrheitsbeschluss oder ein Konsortium. Die letzte Autorität und Aktualität ist in diesem Stellvertreter Christi, der eine je eigene Herkunft und Geschichte hat. Der heisst einmal Papst Benedikt XVI. und jetzt Papst Franziskus – das ist doch spannend!
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