Knappes Ergebnis erwartet

Grossbritannien: Oberhaus stimmt über Einführung von ärztlich assistiertem Suizid ab

Von Stefan Rehder 

Die Tagespost, 11. Juli 2014

In der kommenden Woche befasst sich das Oberhaus des britischen Parlaments mit einem Gesetzentwurf, der die Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids in Grossbritannien zum Ziel hat.

Der von dem früheren Generalstaatsanwalt Lord Charles Falconer im Mai 2013 in das “House of Lords” eingebrachte Gesetzentwurf sieht vor, dass Ärzte “unheilbar erkrankten Patienten”, die nach ärztlichem Ermessen nicht länger als sechs Monate zu leben haben, “tödliche Medikamente” verschreiben und – falls dies von den Patienten gewünscht werde – auch eigenhändig verabreichen dürfen sollen.

Laut dem Gesetzentwurf müssen die Patienten, die um einen solchen ärztlich assistierten Suizid nachsuchen, volljährig und geistig gesund sein. Sie müssen den “klaren und festen Willen” besitzen, ihr “eigenes Leben zu beenden”. Der Gesetzentwurf des 62-jährigen Labour-Politikers Lord Falconer, der vom ehemaligen Premierminister Tony Blair (1997–2007) zum Lordkanzler und Justizminister in dessen zweitem Kabinett berufen worden war, sieht ferner vor, dass zwei Ärzte unabhängig von einander hinsichtlich der Einschätzung der verbleibenden Lebenserwartung sowie der Entschlossenheit des Patienten, sein Leben zu beenden, zum selben Ergebnis kommen müssen.

Die Beihilfe zum Selbstmord ist in Grossbritannien seit dem 1961 in Kraft getretenen “Suicide Act” strafbar. Theoretisch kann demnach in England und Wales die Beihilfe zur Selbsttötung mit einer Haftstrafe von bis zu 14 Jahren geahndet werden. Praktisch wird von dieser Möglichkeit jedoch längst kein Gebrauch mehr gemacht. So haben britische Staatsanwälte in keinem einzigen der weit mehr als einhundert dokumentierten Fälle, in denen britische Staatsbürger ihre Angehörigen zum Suizid in die Schweiz fuhren, Anklage nach deren Rückkehr erhoben. Die an Multipler Sklerose erkrankte Britin Debbie Purdy hatte daraufhin verlangt, der britische Chefankläger müsse die Kriterien veröffentlichen, aufgrund derer Staatsanwälte bereit seien, in Fällen, in denen Briten suizidwillige Angehörige in die Schweiz begleiten, von einer Anklage abzusehen. Purdy begründete ihre Klage damit, Menschen hätten ein Recht darauf zu wissen, wie der Staat das geltende Recht auslege, damit sie ihr eigenes Verhalten anpassen könnten. Ein Staat, in dem Bürger nicht wüssten, wann sie sich strafbar machten und wann nicht, könne unmöglich als “Rechtsstaat” bezeichnet werden.

Nachdem zwei Instanzen die Klage Purdys zunächst abschlägig beschieden hatten, gab im August 2009 der damals noch zum “House of Lords” gehörende Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs Purdy Recht. Das Urteil der fünf “Law Lords” sorgte damals weltweit für Schlagzeilen. Nicht etwa, weil die Richter Purdy Recht gaben, sondern weil sie in ihren Begründungen – nach britischem Brauch verfasste jeder der Lordrichter eine eigene Urteilsbegründung – den “Suicid Act”, über den sie gar nicht zu entscheiden hatten, als “veraltet” brandmarkten, da dieser dem heute vorherrschenden Verständnis des Begriffs der Selbstbestimmung keine Rechnung trage. Erschwerend hinzu kam, dass das “House of Lords” nur einen Monat zuvor einen ähnlichen Gesetzentwurf wie den von Lord Falconer jetzt initiierten klar mit 194 zu 141 Stimmen abgelehnt hatte.

Kritiker sahen in den Einlassungen der Richter damals eine Verletzung der Gewaltenteilung und den Versuch, eine Liberalisierung der Beihilfe zum Suizid über den Umweg der Rechtsprechung zu erreichen. Wohl nicht zu Unrecht. Denn nachdem der britische Chefankläger Keir Starmer im Frühjahr 2010 neue Leitlinien für den Umgang der Strafverfolgungsbehörden mit Personen vorgestellt hatte, die im Verdacht stehen, Beihilfe zum Suizid geleistet zu haben, erklärte Lord Falconer: “Wenn sich die Staatsanwaltschaft erst einmal darauf festgelegt hat, dass Sterbehilfe aus Mitgefühl nicht mehr strafrechtlich verfolgt wird, ist das Gesetz in Wahrheit bereits grundlegend geändert worden.”

Und tatsächlich: In den Richtlinien werden die Staatsanwälte in England und Wales angewiesen, von einer Strafverfolgung der Beihilfe zum Suizid in den Fällen abzusehen, in denen “das Opfer eine freie, klare, geregelte und informierte Entscheidung” getroffen habe, Suizid zu begehen und der der Suizidhilfe “Verdächtige vollständig von Mitleid motiviert” worden sei. Ferner muss der “Verdächtige den Suizid des Opfers der Polizei” melden und bereit sein, diese “in vollem Umfang bei der Aufklärung der Umstände” einschliesslich der “Rolle”, die er selbst dabei spielte, zu unterstützen. Die britische Lebensschutzorganisation “Gesellschaft für den Schutz ungeborener Kinder” (SPUC) erwartet denn auch diesmal, anders als bei den vorausgegangenen Initiativen, diesmal eine “sehr knappe Abstimmung”.

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