Friedenskaiser und Friedenspapst

Kaiser Karl I. und Papst Benedikt XV.

Kaiser Karl I.
Papst Benedikt XV.: Vatikan

Sie wollten das Gute, nämlich einen Frieden, der auf der Verständigung zwischen den Völkern basiert, doch sie scheiterten: Kaiser Karl I. und Papst Benedikt XV. Dennoch lohnt es sich, das Wirken dieser grossen Persönlichkeiten, die über den Nuntius in Bayern, Eugenio Pacelli, ihre Ideen kommunizierten, in Erinnerung zu rufen.

Von Eva Demmerle

Wenig ist bekannt über die Friedensinitiative von Papst Benedikt XV. und den damit einhergehenden Beratungen zwischen dem Vatikan und dem Herrscher Österreich-Ungarns, Kaiser Karl.

Mit den Worten “Des le début” (dt.: “Seit dem Beginn”) appellierte der Hl. Vater am 1. August 1917 an die Krieg führenden Mächte, über einen Frieden zu verhandeln. Bereits in seinem Apostolischen Antrittsschreiben im Jahr 1914 hatte er gefordert, die “entsetzliche Abschlachterei” zu beenden.

Ihm war sehr wohl bewusst, dass der Krieg nicht nur eine Kultur- und Menschheitskatastrophe ungeheuren Ausmasses war, sondern auch den Beginn eines Zeitalters eines völlig veränderten Menschenbildes markierte. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Papst Pius X., dessen grosse Leistung in einem umfangreichen Reformprogramm für die Kirche bestanden hatte, der aber politisch nicht sonderlich interessiert war, war Papst Benedikt XV. ein ausserordentlich politischer Mensch.

Gewählt am 3. September 1914, war sein Pontifikat geprägt durch den Krieg und dessen Folgen. Man sagte ihm nach, eher franzosenfreundlich zu sein, dennoch wahrte er strikte Neutralität und appellierte stets zum Frieden. Zudem prägte ihn das Bewusstsein, dass das Fortbestehen der konservativen Mittelmächte eine wesentliche Hilfe bot gegen die Gefahren, die von Freimaurern und extrem linken Parteien in Westeuropa ausgingen. Am 28. Juli 1915, zum ersten Jahrestag des Kriegsausbruchs, verfasste der Papst mit der Apostolischen Exhortation “Allorche fummo chiamati” (dt.: “Als wir gerufen wurden”) einen zweiten grossen Friedensaufruf, der wiederum verhallte.

Unterdessen schritt der Krieg fort. Erste Erfolge auf den Schlachtfeldern liessen die Mittelmächte, allen voran die Deutschen an einen baldigen Endsieg glauben. In Österreich wurde dieser Optimismus nicht unbedingt geteilt. Kaiser Franz Joseph hatte sich bereits zu Beginn des Krieges skeptisch über dessen Ausgang geäussert. Er starb 84jährig am 21. November 1916. Sein Nachfolger, Kaiser Karl, war gerade 29 Jahre alt, als er den Thron bestieg. Bereits vor seiner Regierungsübernahme hatte er sich intensive Gedanken um einen raschen Friedensschluss gemacht. Ebenso wie seinem kaiserlichen Grossonkel war ihm bewusst, dass dieser Krieg für die Donaumonarchie mit ihren 14 Völkern in einer Zeit des Nationalismus eine Zerreissprobe war und deren Existenz gefährdete.

Kaiser Franz Joseph hatte Karl, der nach der Ermordung von Erzherzog-Thronfolger Franz-Ferdinand und dessen Frau in Sarajevo am 28. Juni 1914, zum neuen Thronfolger wurde, bewusst nicht in die Verhandlungen und Entscheidungen im Juli 1914 eingebunden. Wissend, dass ihm selbst nicht mehr viel Zeit gegeben war, wollte er dem jungen Mann die Möglichkeit geben, unbelastet und frei die Regierung zu übernehmen. Sein eigener Apparat war zu verhaftet in den alten Denkmustern der Koalitionen und Bündnisse. Karl hatte sich dagegen schon lange mit den politischen Konstellationen in Europa beschäftigt. Für ihn war das Bündnis mit dem Deutschen Reich nicht sakrosankt, auch andere Bündnisse, vor allem mit Frankreich waren für ihn vorstellbar. Sein fester Wille war, Österreich-Ungarn nach dem Krieg aus der deutschen Umklammerung herauszuziehen. Doch dazu musste erst einmal Frieden herrschen. Karl liess in den kommenden zwei Jahren nichts unversucht, um zu einem Verständigungsfrieden zu kommen. Der Friede war für die Monarchie und Mitteleuropa überlebenswichtig. Doch nicht nur politische Überlegungen trieben den Friedenswillen des jungen Kaisers an, sondern auch die menschlichen Tragödien.

Im Gegensatz zu den anderen kriegsführenden Regierungschefs kannte Karl die Situation an der Front genau, da er zwischen 1914–16 vielfach als Verbindungsoffizier zwischen Wien und der Front eingesetzt gewesen war. Er kannte die Realität des Krieges, der stinkenden Schützengräben, des Elends der Truppe, die grausamen Verletzungen. Ein Augenzeuge berichtet von einem der Frontbesuche des jungen Monarchen: “Dort sah es schauerlich aus, die einst so prachtvollen Kastanienwälder waren wie abrasiert. Ein blutiges, zerrissenes Trümmerfeld ringsum. (…) Da, an einer einzigen Stelle, lagen dicht beisammen dreissig Tote. Ein italienischer Volltreffer. Die Toten schienen vertrocknet wie Mumien, schwarz verbrannt waren Hände und Gesichter. Da und dort war die Haut und das Fleisch der Leichen in der Sonne geplatzt, und gespensterhaft weiss leuchteten die Knochenteile. So weit wir gingen sahen wir Tote, zerfetzte, zerrissene Tote! Hier eine Hand, dort ein blutiges Bein! – Der Kaiser blieb stehen. Er nahm seine Offizierskappe vom Kopf und faltete die Hände. Als er sich umwandte, sah ich, dass Tränen über seine Wangen rollten. Und ich hörte ihn zum Generalstabschef sagen: Das kann kein Mensch länger vor Gott verantworten. Ich mache Schluss.”

Am 12. Dezember 1916 richteten die Mittelmächte ein Friedensangebot an die Entente. Doch England, Frankreich und Russland konnten und wollten nicht darauf eingehen, da die genannten Bedingungen und Konzessionen in dem Friedensangebot zu vage gewesen waren. Im Unterschied zu Wien war man in Berlin nicht bereit gewesen, konkrete Friedensvorschläge zu machen. Für den deutschen Generalstab war eine Rückgabe von Elsass-Lothringen, eine der zentralen Forderungen der Entente, nicht denkbar. Im gleichen Zug richtete Kaiser Karl eine persönliche Bitte an den Papst, vermittelnd auf die Krieg führenden Parteien einzuwirken, um einen auf Versöhnung gerichteten Verständigungsfrieden zu ermöglichen. Er selbst unternahm nun auf inoffiziellem Wege Verständigungsversuche. Eine seiner bekanntesten Initiativen ist die Mission seiner Schwäger Sixtus und Xavier de Bourbon-Parma, Brüder seiner Frau Kaiserin Zita.

Auch Sixtus war überzeugt, dass langfristig eine neue Bündnispolitik zwischen Frankreich und Österreich für mehr Stabilität in Europa sorgen würde. Sixtus und Xavier dienten in der belgischen Armee, auf geheimen Wegen wurde der Kontakt hergestellt, um die Möglichkeiten für eine Friedensmission auszuleuchten. Sixtus teilte seinem Schwager die Grundbedingungen der Entente mit. Erstens: die Rückgabe Elsass-Lothringens. Zweitens: die Wiederherstellung Belgiens und des Kongo. Drittens: die Wiederherstellung Serbiens – und Viertens: die Abtretung Konstantinopels an Russland. (Der letztere Punkt wurde später aufgrund der russischen Revolution obsolet.) Karl kam diesen Forderungen entgegen. In ihren Verhandlungen mit dem französischen Präsidenten und dem Ministerpräsidenten sowie dem englischen Premierminister stiessen Sixtus und Xavier durchaus auf Wohlwollen gegenüber dem österreichischen Angebot. Nicht zuletzt aber scheiterte diese Mission aufgrund der italienischen Gebietsgelüste, die jede vernünftige Verständigung zunichte machten.

Während der ganzen Zeit hielt Kaiser Karl Kontakt nach Rom. Botschafter am Vatikan war Prinz Johannes von Schönburg-Hartenstein, der sich bereits 1915 mit Papst Benedikt XV. bemüht hatte, Italien zur Beibehaltung seiner Neutralität zu bewegen. Schönburg-Hartenstein residierte im schweizerischen Bern, was die Kontakte zu den einzelnen päpstlichen Emissären und Nachrichtenüberbringern vereinfachte. In Wien konnte und wollte man sich nicht auf den Nuntius Teodoro Valfre di Bonzo verlassen, der grosse Sympathien für Frankreich hegte und mehr oder weniger offen die Geschäfte der Entente betrieb. Dies so sehr, dass nach Aussagen des Wiener Kardinals Piffl Kaiser Karl geneigt war, den Papst um die Abberufung Valfre di Bonzos zu bitten. Nicht zuletzt war auch die politische Gemengelage innerhalb des Vatikans nicht einheitlich. Der Einfluss der Mittelmächte war gering, die Mehrheit der Kurie sympathisierte mit der Entente und war – trotz der für Österreich und Deutschland günstigen militärischen Lage in 1917 – überzeugt von einem Sieg der Entente.

In der Schweiz hingegen, einem Zentrum der Nachrichtenübermittlung, befanden sich mehrere Vertraute des Papstes, die man zuverlässig um Vermittlung und Kontaktaufnahme bitten konnte. Eine Personalie spielte für die Entwicklungen eine grosse Rolle: Die Ernennung von Eugenio Pacelli als Apostolischer Nuntius in Bayern am 20. April 1917. Pacelli, der spätere Papst Pius XII., war ein versierter Diplomat mit fliessenden Deutschkenntnissen. Da es in Preussen keine eigene Nuntiatur gab, vertrat er damit den Hl. Stuhl im gesamten Deutschen Reich. Die Kommunikation zwischen Wien und Rom lief also unter Umgehung des Nuntius in Wien über München und die Schweiz.

Nuntius Pacelli wurde von Papst Benedikt beauftragt, die Vorbereitungen für einen Friedensappell in die Wege zu leiten. Im Sommer 1917 schien die Lage günstig, sowohl bei den Mittelmächten als auch bei der Entente. Die festgefahrenen Kämpfe an der Westfront liessen Frankreich ausbluten, an der Ostfront zeichnete sich durch die russische Revolution eine Änderung der Lage ab. Ende Juni 1917 trafen Kaiser Karl und Nuntius Pacelli in der Nähe von München zusammen und diskutierten die gegenwärtige Situation. Kaiser Karl zeigte sich bereit, den päpstlichen Vorschlägen zu folgen: einen Separatfrieden mit Italien und Gebietsabtretungen von Trient oder eines Teils dessen gegen koloniale Kompensationen. Die Dringlichkeit eines baldigen Friedensschlusses war sowohl dem Hl. Vater als auch dem Herrscher Österreich-Ungarns klar. Beiden ging es um einen Verständigungsfrieden, der die Völker das Gesicht wahren liess. Ein Verzichtsfrieden, wie ihn die Sozialisten forderten, kam nicht in Frage. Kaiser Karl wollte diesen unbedingt zuvorkommen, da er ahnte, welches revolutionäre Potenzial die sozialistischen Forderungen für die Staatsgefüge Mitteleuropas entwickeln konnten.

Für den Papst gab es zwei wesentliche Ausgangspunkte für seine Vermittlung: die Zugeständnisse Österreichs an Italien und die Wiederherstellung des neutralen Belgien, das von Deutschland besetzt war. Gerade an diesem Punkt aber spielten die Deutschen nicht mit. Reichskanzler Bethmann-Hollweg war hier durchaus aufgeschlossen gewesen, doch wurde er am 17. Juli vom Generalstab gestürzt und sein Nachfolger Michaelis zeigte in der belgischen Frage keinerlei Flexibilität.

Datiert auf den 1. August, den Beginn des vierten Kriegsjahres, appellierte der Papst an die Regierungschefs für einen baldigen Frieden. Er forderte: die “gegenseitige Rückgabe aller besetzten Gebiete, insbesondere vollständige Räumung Belgiens unter Sicherung seiner vollen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit gegenüber jeder Macht sowie Rückgabe der deutschen Kolonien, sowie die Prüfung der übrigen territorialen Fragen, z. B. zwischen Österreich-Ungarn und Italien, sowie zwischen Deutschland und Frankreich in versöhnlichem Geist und nach Massgabe des Gerechten und Möglichen.” Weiterhin forderte der Pontifex die Beschränkung der Rüstung auf das absolut Notwendigste, die Schaffung von Internationalen Schiedsgerichten, um künftig die Konflikte der Staaten untereinander zu lösen und die Freiheit der Meere.

Die Reaktionen in Berlin und Wien waren unterschiedlich. Kaiser Karl war bereit, den päpstlichen Vorschlägen zu folgen. Sein Aussenminister Czernin hatte jedoch auf ausdrücklichen Wunsch von Reichskanzler Michaelis mit den Deutschen die Abmachung getroffen, dass auf die Friedensnote erst nach gepflogenem beiderseitigem Einvernehmen geantwortet werden sollte. Man spielte auf Zeit. Letzten Endes war das Deutsche Reich nach wie vor nicht bereit, sich in der belgischen Frage zu bewegen. Ein Einvernehmen kam nicht zustande.

Aber wie sah es auf der Seite der Entente aus? England zeigte vorsichtiges Interesse, Frankreich, Italien und Russland antworteten noch nicht einmal. Am 27. August schliesslich lehnte der amerikanische Präsident Wilson den päpstlichen Friedensappell scharf ab. Dieser würde den “status quo ante”, also die Ordnung von vor Ausbruch des Krieges wieder herstellen. Längst ging es Wilson aber um die Zerschlagung der Strukturen in Deutschland und der Multinationalität Österreich-Ungarns. Mit dieser Antwort nahm Wilson sein 14-Punkte-Programm vorweg, welches später die Basis für die Friedensverhandlung in den Pariser Vororten ab 1919 darstellen sollte. Ein Friede, der die Grundlage zum nächsten Krieg legen sollte.

Die deutsche Antwort an den Papst erfolgte am 19. September 1917 und war allgemein und freundlich gehalten. Wien antwortete am 20. September und stimmte allen theoretischen Forderungen des Papstes zu. Im Vorfeld hatten sowohl Kaiser Karl als auch Nuntius Pacelli immer wieder – vergeblich – versucht, die deutsche Regierung zu einem Einlenken in der belgischen Frage zu bewegen.

Papst Benedikt war über das Scheitern seines Appells zutiefst enttäuscht. Er nannte diese Zeit die wohl bitterste seines Lebens. Um die Not des Krieges zu lindern, setzte er die humanitären Aktionen fort. Der Vatikan organisierte den Austausch Gefangener und Lebensmittellieferungen in die Lager.

Kaiser Karl hingegen musste erleben, wie sein eigener Aussenminister Czernin sich ab Herbst 1917 gegen ihn stellte und immer enger mit Berlin zusammenarbeitete. Im November 1918 kam schliesslich das Ende. Was Kaiser Karl vorhergesehen hatte – dass die Völker über die Köpfe ihrer Regierungen Frieden machen würden, traf ein. Die Donaumonarchie zerbrach und die Friedenskonferenzen in St. Germain und Trianon schufen aus dem grossen Vielvölkerstaat viele kleine Vielvölkerstaaten, allesamt einzeln nicht lebensfähig und 20 Jahre später schnelle Opfer des kriegshungrigen Diktators Hitler. Nach rund 650 Jahren mussten die Habsburger Österreich verlassen und Exil in der Schweiz nehmen. Nach zwei erfolglosen Restaurationsversuchen in Ungarn verbannten die Alliierten Kaiser Karl nach Madeira. Dort trauerte er Ende Januar 1922 über den Tod Papst Benedikts. Am 1. April selbst erlag Kaiser Karl einer Lungenentzündung.

Papst Benedikt XV. wurde aufgrund seines Engagements als “Friedenspapst” bezeichnet. Sein Nachfolger Papst Johannes Paul II. sprach am 3. Oktober 2004 Kaiser Karl selig und würdigte damit dessen Einsatz für einen Frieden in Europa. Otto von Habsburg, Erstgeborener von Kaiser Karl, reflektierte über das Leben seines Vaters: “Gott verlangt keine Erfolge von uns. Aber er verlangt, dass wir uns mit ganzer Kraft für das Gute einsetzen.” Benedikt XV. und Kaiser Karl hatten mit ihren Bemühungen um einen Frieden keinen Erfolg, doch beide haben ihr Bestmögliches getan. Allein das gereicht ihnen zur höchsten Ehre.

Die Autorin ist Verfasserin zahlreicher Sachbücher über das Haus Habsburg. Über den letzten regierenden Kaiser Österreichs, Karl I., schrieb sie eine Biografie mit dem Titel “Selig, die Frieden stiften…” (Amalthea Verlag, Wien 2004).

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