Betrachtungen über die Kunst

Papst Franziskus: “Evangelii Gaudium”, “Lumen Fidei” und die Malerei als “lebendige Schrift”

JEAN-B~1Rom, zenit.org, 12. Juni 2014, Rodolfo Papa

In der Enzyklika “Evangelii Gaudium” schrieb Papst Franziskus: “Man muss wagen, die neuen Zeichen zu finden, die neuen Symbole, ein neues Fleisch für die Weitergabe des Wortes, die verschiedenen Formen der Schönheit, die in den einzelnen kulturellen Bereichen geschätzt werden, sogar jene unkonventionellen Weisen der Schönheit, die für die Evangelisierenden vielleicht wenig bedeuten, für andere aber besonders attraktiv geworden sind” (Nr. 167).

Dies erhellt, dass Papst Franziskus vor allem die Umsetzung der Evangelisierung in der Konkretheit der Inkulturation ein Anliegen ist, d.h. im Wissen um die Ermittlung der nötigen Formen der Anziehung an Christus. Es geht daher nicht um die Anwendung einer snobistischen Kultur, die mit den Menschen nicht in Beziehung tritt und auf Distanz zum Volk geht. Stattdessen ist ein Vorgehen anderer Art erforderlich. Bei den Formen der Evangelisierung handelt es sich um keine intellektualistische, abgehobenen und von Künstlern geschaffenen Formen, die an den Bedürfnissen gewöhnlicher Menschen völlig vorbeigehen. Es ist zweifellos erforderlich, sprechende Formen zu finden, auch wenn diese den Evangelisierenden als wenig bedeutend erscheinen mögen. Letztere halten zuweilen an abstrusen, am Reissbrett entstandenen Annahmen fest oder verkommen zu Papier-Missionaren, die zwar Strategien entwickeln, die Sprache der Völker de facto jedoch nicht beherrschen. Man muss beispielsweise verstehen, dass das Volk Gottes die schöne und darstellende Kunst benötigt und die Botschaft nicht mit abstrakten, relativistischen, unkörperlichen und unkonkreten, sondern klaren und sprechenden Zeichen zu umschliessen ist; mit Formen, die sich aus dem Wissen der Vergangenheit und zugleich aus der Erfahrung der Gegenwart herleiten.

Die Verbindung zwischen Glaube und Wahrheit (vgl. “Lumen Fidei” , Nr. 23) beruht auf dem Sehen, das ebenso wie das Hören ein “Organ der Glaubenserkenntnis” ist. Bereits in der Einleitung des von Aristoteles verfassten Buches der Metaphysik ist zu lesen: “Alle Menschen sind von der Natur aus begierig zu wissen: Ein sichtbares Zeichen dafür ist die Freude über die Empfindungen, zumal diese abgesehen von dem damit verbundenen Nutzen für sich selbst genommen geliebt werden, und am meisten werden die geliebt, die uns über die Augen erreichen. So ziehen wir den Sehsinn allen anderen Empfindungen gleichsam vor. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn wir ein praktisches Ziel verfolgen, sondern geschieht auch ohne Handlungsabsicht. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass uns diese Empfindung mehr als alle anderen Kenntnisse erwerben lässt und uns unmittelbar eine Vielzahl von Unterschieden von Augen führt” [1].

So wird in einer sehr prägnanten und kulturell relevanten Weise die sehr häufig anzutreffende Tendenz betont, Hören und Sehen einander gegenüberzustellen und das Sehen als zweitrangiges und unwichtiges Element zu betrachten. Oft ist man dazu geneigt, das Hören als eine der jüdischen und biblischen Mentalität inhärente Eigenschaft und das Sehen als ausschliesslich griechisches und heidnisches Element anzusehen, als ob eine Unvereinbarkeit zwischen Wort und Bild existiere. “Was die Erkenntnis der Wahrheit betrifft, ist das Hören manchmal dem Sehen entgegengesetzt worden, das der griechischen Kultur eigen sei” (“Lumen Fidei”, Nr. 29).

Es erfolgt eine detaillierte Erörterung der Frage. In dieser künstlichen und fehlerhaften Gegenüberstellung scheint das Licht der Wahrheit wenig Raum zu lassen: “Wenn das Licht einerseits die Betrachtung des Ganzen ermöglicht, die der Mensch immer erstrebt hat, scheint es andererseits der Freiheit keinen Raum zu lassen, weil es vom Himmel herabkommt und direkt ins Auge fällt, ohne dessen Reaktion zu verlangen” (Nr. 29).

Ferner sei die Auffassung des Lichtes eine statische im Vergleich zur zeitlichen Dynamik des Hörens des Wortes: “Ausserdem scheine es zu einer statischen Betrachtung einzuladen, getrennt von der konkreten Zeit, in der der Mensch Freude und Leid erlebt” (Nr. 29).

Somit stehe dieser Auffassung zufolge “der biblische Ansatz der Erkenntnis im Gegensatz zum griechischen Ansatz, der auf der Suche nach einem umfassenden Verstehen des Wirklichen die Erkenntnis mit dem Sehen verbunden hat” (Nr. 29).

Dieser Gegensatz entbehrt hingegen einer Grundlage. So “ist dagegen klar, dass dieser angebliche Gegensatz nicht der biblischen Gegebenheit entspricht. Das Alte Testament hat beide Arten der Erkenntnis miteinander vereint, denn mit dem Hören des Wortes Gottes verbindet sich der Wunsch, sein Angesicht zu sehen” (Nr. 29).

Auf dieser intrinsisch biblischen Basis “konnte sich ein Dialog mit der hellenistischen Kultur entwickeln, der zum Eigentlichen der Schrift gehört” (Nr. 29).

So enthält die Enzyklika neben der Bekräftigung: “Das Hören bestätigt die persönliche Berufung und den Gehorsam wie auch die Tatsache, dass die Wahrheit sich in der Zeit offenbart“ auch die folgende entschiedene Feststellung: “das Sehen bietet die volle Sicht des gesamten Weges und erlaubt, sich in den grossen Plan Gottes einzureihen; ohne diese Sicht würden wir nur über vereinzelte Fragmente eines unbekannten Ganzen verfügen” (Nr. 29).

Der 1582 geborene Kardinal Gabriele Paleotti fügt die Bilder auf entschiedene und tiefgründige Weise in die katholische Spiritualität ein und definiert deren epistemologischen Status folgendermassen: “Nach der Feststellung des geschuldeten Anteils – dass ein Bild den gewöhnlich von uns betrachteten Dingen genau zu entsprechen scheint, ebenso wie die Lektüre jenen Dingen entspricht, von denen wir erzählen hören. Daher bezeichneten die Griechen sie manchen Autoren zufolge als ‘zographia’, d.h., ‘lebendige Schrift’ (Beta, De templo Salmonis, 19,8; eigene Übersetzung)” [2].

Anhand eines Vergleichs zwischen der Malkunst und der Lektüre zeigt Paleotti, dass sich in der Malkunst und bei der Lektüre die gleiche psychologische und geistliche Dynamik vollzieht. Eine So lässt eine Erzählung die Dinge vor unserem geistigen Auge insofern lebendig werden, als wir die Dinge dank der Beschreibung als wahr erkennen. Ebenso verhält es sich in der Malkunst, bei der die Dynamik des Erkennungsprozesses jedoch umgekehrt verläuft. da wir dabei “die gewöhnlich von uns betrachteten” und uns daher vertrauten Dinge erkennen und daher Erscheinungen identifizieren, die wir nie betrachten konnten, da sie zu anderen Zeiten und an anderen Orten existierten. Bei der Malkunst handelt es sich folglich um zographia, d.h. um “lebendige Schrift”, die daher mit den ihr eigenen Mitteln die Wahrheit zu sprechen vermag; vor allem durch den Vergleich, der die Erzählung lebendig und dazu fähig macht, “Vergnügen zu bereiten, zu lehren und die Gefühle der Betrachtenden zu bewegen”.

Rodolfo Papa ist Dozent für Geschichte der Ästhetik an der Päpstlichen Universität Urbaniana, Künstler, Kunsthistoriker und päpstlicher akademischer Ordinarius. Er zählte zu den Experten der 13. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode. Website  www.rodolfopapa.it Blog: http://rodolfopapa.blogspot.com e.mail: rodolfo_papa@infinito.it.

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