“Junge Leute müssen zusammenkommen”
“Extremisten haben die lautere Stimme”: Hintergrund
Die Tagespost, 19. Mai 2014
Prinz Hassan von Jordanien hält es für symbolisch wichtig, dass Papst Franziskus zusammen mit einem Juden und einem Muslim in den Nahen Osten reist. “Junge Leute müssen zusammenkommen, um die Geschichte und Tradition der anderen zu studieren”, sagt er im Gespräch mit der “Tagespost”. Von Oliver Maksan
Prinz Hassan bin Talal ist ein Onkel von König Abdullah II. von Jordanien. Zwischen 1965 und 1999 war er Kronprinz, ehe sein Bruder Hussein II. kurz vor seinem Tode 1999 in einem Aufsehen erregenden Schritt seine Nachfolge zugunsten seines Sohnes änderte. Die haschemitische Dynastie führt sich in direkter Linie auf den Propheten Mohammed zurück.
Prinz Hassan ist bekannt für sein Engagement im interreligiösen Dialog, dem er sich unter anderem durch das von ihm gegründete “Royal Institute for Inter-Faith Studies” widmet. “Die Tagespost” traf den Prinzen in seinem Amtssitz in Amman.
Königliche Hoheit, in wenigen Tagen besucht Papst Franziskus das Königreich Jordanien, ein islamisches Land. Welche Botschaft geht von diesem Besuch an die islamische Welt aus?
Papst Franziskus kommt in eine Region, in der das Gefühl vorherrscht, eine verwundete oder gar geschlagene Nation zu sein. Das hat zwei Gründe, einen inneren und einen äusseren. Der innere Grund ist die schlechte Regierungsführung in der arabischen Welt. Implodierende Staaten wie Tunesien, Syrien, Libyen und Ägypten wären hier im Rahmen des Phänomens Arabischer Frühling zu nennen. Der äussere Faktor sind Interventionen des Westens in der Region wie in Afghanistan oder dem Irak. Wie kann Pluralismus in einer solchen Situation überleben? Syrien ist das beste Beispiel dafür mit dem dort ausgetragenen Stellvertreterkrieg. Israel seinerseits will den Siedlungsbau verstärken. Der israelische Wohnungsbauminister hat jetzt bekannt gegeben, den Bau von Kolonien bis 2019 verdoppeln zu wollen. Insofern ist es bemerkenswert und mehr als symbolisch, dass Papst Franziskus, der sowohl über geistige wie emotionale Intelligenz verfügt, mit einem Rabbiner und einem Vertreter des Islam aus Argentinien reisen wird. Ich hoffe nur, dass das nicht nur als ein Event für Journalisten wahrgenommen wird. Wichtig ist es, danach daran zu arbeiten, dass diese Botschaft des Pluralismus ins Bewusstsein der Menschen gelangt.
Wie könnte das aussehen?
Nun, es müsste ein substanzielles und methodisch in Analogien denkendes Erziehungsprogramm geben. Junge Leute müssten zusammenkommen, um die Geschichte und Tradition der anderen zu studieren. Niemand spricht derzeit mit jemandem. Wie können wir die edle Kunst des Gesprächs wiederbeleben? Darum muss es gehen. Katholische Universitäten in der Region können dabei eine wichtige Rolle spielen. Wir haben jetzt beim Treffen mit dem Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog einen kulturellen Dekalog vorgeschlagen. Ein Punkt darin ist, nicht auf die intellektuelle Neugier zu verzichten und Pluralismus als Reichtum zu betrachten, nicht als Bedrohung.
“Das Heilige Land ist nicht nur heilig wegen seiner Geschichte, sondern auch wegen der Perspektiven für die Zukunft”
Aber haben die Christen einen Gesprächspartner in der Region?
Ich glaube schon. Nehmen Sie die Kairoer Azhar-Universität. Es ist sehr wichtig, dass der Heilige Stuhl und die Universität wieder zueinander finden und ihren Dialog fortsetzen. Es hatte während des Pontifikats Benedikts XVI. ja Verstimmungen gegeben. Die Azhar-Universität war es aber, die während der Revolution in Ägypten Stellungnahmen herausgegeben hat, aus denen ich nur Respekt für den anderen und Pluralismus herausgelesen habe.
Was würden die arabischen Gesellschaften mit den Christen verlieren?
Meiner Meinung nach ist der Islam eine Fortsetzung dessen, was davor war. Damit meine ich nicht nur die Religionen Judentum und Christentum, sondern auch die Weisheit des Ostens. Reichtum in Verschiedenheit macht diese Region aus. Im Westen übrigens wird das oft gar nicht wahrgenommen. Ich begegne immer wieder Menschen, die gar nicht wissen, dass es hier Christen gibt. Aber es geht nicht nur um arabische Staaten. Nehmen Sie Israel. Der behauptete jüdische Charakter dieses Staates schliesst eine breitere Identität aus. Die Goldene Regel hingegen, die den Nächsten so behandelt wie man selbst behandelt werden möchte, wird so von muslimischen und jüdischen Extremisten zerrissen. Ich glaube nicht, dass das den einen oder anderen Glauben repräsentiert.
Christen betonen, dass der einzige Weg, das Zusammenleben in der Region dauerhaft zu ermöglichen, die Einführung staatsbürgerlicher Gleichheit ist. Sehen Sie das auch so?
Ja, ich stimme dem vollständig zu. Wir müssen Diskriminierung überwinden und die genannte Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz erreichen. Das war auch der Antrieb der Jugend im Arabischen Frühling. Jüdische und muslimische Extremisten geben ihr Bestes, um eine Form von Armageddon herbeizuführen, anstatt Zusammenleben zu ermöglichen. Das Heilige Land hingegen ist nicht nur heilig wegen seiner Geschichte, sondern auch wegen der Perspektiven für die Zukunft. Gerade die Stadt Jerusalem steht dafür.
Was würden Sie arabischen Christen raten, um ihre Präsenz in der Region zu sichern?
Man muss teilhaben an dem Wandel, den man sich wünscht. Gesprächsfähigkeit ist aber hier nirgends sehr stark ausgeprägt, noch nicht einmal unter den Christen selbst. Auf mich sind bei Konferenzen immer wieder Christen aus der Region zugekommen, die mir dankten, sie zusammengebracht zu haben. Seit dreissig Jahren hätten sie nicht miteinander gesprochen, obwohl sie nur wenige Kilometer trennten. Meiner Meinung nach ist für alle, die an Konsens glauben, seien es Christen oder Muslime, die Zeit gekommen, einen Gesellschaftsvertrag zu entwickeln. In Bälde werde ich an Konferenzen teilnehmen, wo wir versuchen, unsere arabischen Verfassungen bezüglich der Minderheitenrechte klarer zu fassen. Das Aufeinanderzugehen von Säkularen und Nicht-Säkularen in Tunesien jetzt scheint mir ein Schritt in die richtige Richtung. Der Westen wiederum könnte viel tun, wenn wir endlich eine regionale Konferenz für den ganzen Nahen Osten hätten, die ein substanzielles Stabilisierungsprogramm verabschiedet. Von den stabilisierenden Effekten würden alle Komponenten der nahöstlichen Gesellschaften profitieren, auch die Christen.
“Seit vierzig Jahren engagiere ich mich im Gespräch der Religionen. Das ist die Geschichte meines Lebens. Aber ich schwimme gegen den Strom”
Nun gerät der traditionelle Pluralismus der Region vor allem durch Islamisten unter Druck, die sich auf den Koran berufen. Ist Pluralismus westlich und unislamisch? Oder gibt es Quellen des Pluralismus im Koran?
Natürlich. Gott sagt im Koran, dass er den Sohn Adams mit Würde gesegnet habe, also jeden Menschen, und nicht nur den Muslim. Pluralismus ist daher sicher kein modernes, von aussen herangetragenes Konzept. Das Neue und Tragische ist aber, dass der Islamismus der geistige Zufluchtsort für all diejenigen geworden ist, die meinen, dass der arabische Nationalismus und der Kampf gegen Israel gescheitert sind.
Aber was missverstehen die Islamisten, wenn sie den Koran lesen?
Nehmen Sie die Leute von Boko Haram in Nigeria. Sie sagen, Bücher seien verboten. Es ist mir völlig unverständlich, wie man das sagen kann. Der Islam beginnt mit der Aufforderung des Erzengel Gabriels: Lies! Boko Haram ist zutiefst gegen islamische Werte wie auch die Gewaltanwendung dieser Leute, die man nur als Gangster bezeichnen kann. Aber leider haben die Extremisten immer die lautere Stimme und werden gehört.
Sind Sie optimistisch, diesem Extremismus Ihre Version des Islam entgegenzusetzen?
Seit vierzig Jahren engagiere ich mich im Gespräch der Religionen. Das ist die Geschichte meines Lebens. Aber ich schwimme gegen den Strom. Ich arbeite nicht daran, Armageddon voranzutreiben. Der heilige Prophet sagt: Wenn du einen Sprössling hast und der Tag des Jüngsten Gerichts bevorsteht, dann pflanze ihn dennoch. Das ist die Botschaft der Hoffnung.
Verschiedene Angehörige des jordanischen Königshauses setzen sich für den Dialog und das Zusammenleben der Religionen ein. König Abdullah II. selbst veröffentlichte im November 2004 eine als Botschaft von Amman bekannt gewordene Stellungnahme. Mit diesem an die islamische Welt gerichteten Text wollte der König klarmachen, was der Islam ist und was nicht. Der modernen Welt sollte so verdeutlicht werden, was die wahre Natur des Islam ist. Betont wurde dabei unter Berufung auf den Koran und die Tradition der Verzicht auf Gewalt sowie ein an den Menschenrechten orientiertes Miteinander.
Prinz Hassan engagiert sich seit Jahrzehnten im interreligiösen und -kulturellen Gespräch. Zu nennen ist dabei besonders das von ihm 1994 gegründete “Royal Institute for Inter-Faith Studies” (RIIFS). Die in Amman ansässige Einrichtung widmet sich vor allem der Verbreitung der Botschaft von Amman und dem Dialog mit dem Christentum. In diesem Zusammenhang trafen sich in der vergangenen Woche Vertreter des Päpstlichen Rats für den interreligiösen Dialog und des RIIFS’ bereits zum dritten Mal. Das Treffen stand unter dem Titel “Gegenwärtigen Herausforderungen durch Erziehung begegnen”. Unter der Leitung von Kurienkardinal Jean-Louis Tauran und Prinz Hassan wurde ein gemeinsamer Apell für mehr Solidarität in der Welt verabschiedet. Darin wurden alle Formen von Gewalt verurteilt, besonders die Entführung christlicher Mädchen aus Nigeria durch die islamistische Boko-Haram-Gruppe. Beide Seiten forderten ihre sofortige Freilassung. Die Teilnehmer erklärten, dass nicht Religion die Wurzel von Konflikten sei, sondern Unmenschlichkeit und Unwissen. Umfassende Bildung und Erziehung sei daher wesentlich. In diesem Zusammenhang schlugen die Teilnehmer einen “Kulturellen Dekalog” für alle in der Erziehung Tätigen vor. In den zehn Punkten wird unter anderem zu intellektueller Neugier und Fairness aufgerufen.
Zu den interreligiös aktiven Mitgliedern des Königshauses gehört auch Prinz Ghazi, ein Cousin des Königs. Er berät diesen in interreligiösen Fragen. Der Professor für islamische Philosophie gehörte zu den Initiatoren des Briefes, mit dem islamische Gelehrte aus aller Welt auf die Regensburger Rede Papst Benedikts XVI. 2006 antworteten. 2009 hielt er beim Empfang Papst Benedikts in der König-Hussein-Moschee in Amman eine das christlich-islamische Gespräch thematisierende Begrüssungsrede. 2012 stattete er nach einem Solidaritätsbesuch in der Jerusalemer Al-Aqsa-Moschee auch der Grabeskirche einen Besuch ab. om
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