Wegbereiter der Moderne

Am Montag ist der 400. Todestag des Malers El Greco

Lange Zeit verkannt, konnte erst die Neuzeit seine Kunst wirklich verstehen. Von Natalie Nordio

Mehr als ein Manierist: Selbstbildnis des Malers El Greco als älterer Mann.

Intensive Vorbereitung und Planung stecken in den Ausstellungen und Kunstevents, die unter der Schirmherrschaft der “Fundacion El Greco 2014 (www.elgreco2014.com) in Zusammenarbeit mit einigen spanischen Museen bereits das ganze Jahr über stattfinden.

Schauplatz ist neben der Hauptstadt der iberischen Halbinsel vornehmlich Toledo, rund 65 Kilometer südwestlich von Madrid. Hier in der Hauptstadt der Region Kastilien-La Mancha arbeitete über lange Jahre El Greco, “el” auf Spanisch “der“ und “greco“ auf Italienisch “Grieche“. In Toledo hinterliess er einige seiner wichtigsten Werke und verstarb hier am 7. April 1614 im Alter von 73 Jahren.

Verschiedene Aspekte des künstlerischen Schaffens werden von den einzelnen Ausstellungen in den Fokus gestellt. Sie ehren das Werk des Künstlers zum vierhundertsten Todestag und einmal mehr zeigt sich die Bedeutung El Grecos nicht nur für den spanischen Manierismus, als dessen Hauptvertreter er nur allzu gerne abgestempelt wird, sondern für die Entwicklung der Kunst weit über die iberische Landesgrenze hinaus. Nach seinem Tod fand seine künstlerische Hinterlassenschaft lange Jahre nur wenig bis gar keine Beachtung. Nicht einmal sein Sohn Jorge Manuel, der zu Lebzeiten El Grecos an dessen Seite gearbeitet hatte, trat künstlerisch in des Vaters Fussstapfen. Die Zeit schien für diesen ganz eigenen Malstil El Grecos einfach noch nicht reif gewesen zu sein. Erst die Moderne, die künstlerische Avantgarde des frühen zwanzigsten Jahrhunderts und hierbei allen vorweg die Expressionisten entdecken das Werk “des Griechen“ wieder und wussten es zum ersten Mal wirklich zu würdigen.

Doch die Geschichte des Dominikos Theotokópoulos beginnt nicht etwa in Spanien, wo sie endet, sondern etwa dreitausend Kilometer Luftlinie südöstlich auf der grössten der griechischen Inseln, auf Kreta. Hier kam Dominikos im Jahr 1541 in der Inselhauptstadt Candia, dem heutigen Iraklio, zur Welt. Nur sehr wenig ist über seine Kindheit und Jugend bekannt. Selbst sein Geburtsjahr lag lange Zeit im Dunkeln und konnte erst anhand eines später gefundenen Briefes von ihm rekonstruiert werden. Das Schriftstück ist auf das Jahr 1606 datiert und der Künstler schreibt darin, dass er 65 Jahre alt sei. Über El Grecos Mutter ist nichts überliefert, während sein Vater wohl als staatlicher Steuereintreiber tätig war und gemeinsam mit seinem ältesten Sohn, der Seefahrer war, Handel betrieb.

Lange bevor Dominikos geboren wurde, fiel seine Heimat im Jahr 1204 an die Republik Venedig. Für mehr als 450 Jahre lag die Herrschaft über den Handel und das Schicksal der Insel in der Hand der italienischen Seemacht, bis Kreta im Jahre 1669 von den Osmanen erobert wurde. Der grosse Einfluss der Serenissima und die engen Handelsbeziehungen führten dazu, dass in Candia der orthodoxe Glaube und das lateinische Christentum nebeneinander existierten. Bis heute kann so nicht mit Gewissheit gesagt werden, welcher der beiden christlichen Strömungen El Greco und seine Familie angehörten. Dieses religiöse Nebeneinander schlug sich auf Kreta auch in der Ikonenmalerei nieder. Diese von der Fachwelt als “kretische Schule“ bezeichnete Malweise verband die typisch orthodoxe Machart mit westlichen Einflüssen, die in Form von Druckgrafiken aus Venedig auf die Insel gelangten. In einer der kretischen Werkstätten wurde auch El Greco zum Ikonenmaler ausgebildet.

Dass er bereits in seiner Zeit auf Kreta als grosser Meister galt und für seine Werke recht ordentlich entlohnt wurde, konnte mit Sicherheit erst durch die Entdeckung des Gemäldes “Der Marientod“ im Jahr 1983 belegt werden. Das Bild gilt weithin als frühestes bekanntes Werk des Künstlers und ist heute in der Kathedrale vom Sterbebett Mariens in Ermoupoli auf der Insel Syros zu sehen. Das Gemälde entstand um 1567 und trägt die Signatur Dominikos Theotokópoulos, eine mehr als ungewöhnliche Tatsache, da Ikonen normalerweise nie signiert wurden. Und es ist bereits ein Hinweis darauf, dass Dominikos seine Zukunft nicht in der heimischen Kunsttradition sah, sondern weit höhere Ambitionen verfolgte. Der goldene Grund, auf dem sich die bildnerische Szene abspielt, sowie der Bildträger, Holz anstatt der in der westlichen Kunstwelt schon weit verbreiteten Leinwand, lassen seine Herkunft aus der Ikonenmalerei zwar noch erkennen. Doch beginnt er sich bereits in dieser künstlerischen Anfangsphase von der traditionellen Darstellungsweise seiner Heimat zu entfernen. Nicht hölzern und frontal, wie für die Ikonen typisch, sondern vielmehr zweidimensional und reich an Gesten verteilt El Greco die einzelnen Figurengruppen um den mittig ins Bild platzierten Leichnam Mariens. Durch die zentral über der Toten schwebende Taube des Heiligen Geistes gelingt ihm zudem die Verbindung zur überirdischen Sphäre im oberen Teil der Bildfläche, in dem Maria, im Himmel aufgenommen, thronend zu sehen ist. Nur ein Jahr nach dem Marientod attestiert ein Brief vom 18. August bereits El Grecos Anwesenheit in Venedig. Wohl auf Anraten des griechischen Kartographen Giorgio Sideris hatte er die Reise in die Lagunenstadt angetreten, um dort die einheimischen Künstler, allen voran Tintoretto und Tizian, zu studieren. Die neu gewonnenen Eindrücke sog er wie ein Schwamm auf. Der Goldgrund wich einem meist perspektivischen Raum, die Temperamalerei gab er zugunsten der Ölmalerei auf und verwandte fast ausschliesslich Leinwände anstatt Holz als Bildträger. Die von ihm an Werken Tizians studierte Licht-Schatten-Behandlung ist gemeinsam mit Tintorettos Farbigkeit das künstlerische Erbe seiner venezianischen Jahre, die ihn während seiner ganzen weiteren Laufbahn prägen werden. Der sogenannte Modena-Triptychon zeigt die stilistische Wegentwicklung El Grecos von der griechischen Ikonenmalerei hin zur venezianischen Farbigkeit am besten. Die verwendete Ikonographie und vor allem die leuchtenden Farben sind eindeutige Hinweise auf eine immer mehr westlich orientierte Malweise des Künstlers.

Dominikos hatte in Venedig wenig Grund zur Klage, die Auftragslage war ordentlich und ermöglichte ihm ein recht sorgloses Dasein. Doch der ehrgeizige und wissbegierige Grieche wollte mehr und verliess Venedig schon bald wieder. Um 1570 erreichte er Rom und bewegte sich im Umfeld des Mäzens Kardinal Alessandro Farneses. Doch die Konkurrenz in Rom war mächtig, und es gelang ihm nur mit mässigem Erfolg, Fuss zu fassen. Kritik, die El Greco in öffentlicher Runde an der Kunst Michelangelos und Raffaels übte, machten ihn nicht sonderlich beliebt. Arrogant und überheblich sei dieser Grieche, so das Urteil seiner römischen Malerkollegen. Trotz seiner Kritik an Michelangelos Malweise blieb seine stilistische Entwicklung nicht frei vom Einfluss des grossen Künstlers. Seine Figuren werden nach der Begegnung mit Michelangelos Werken monumentaler und dramatischer und sein Stil wird insgesamt naturalistischer. Wie und wann genau Dominikos der Ewigen Stadt den Rücken kehrte und sich nach Spanien aufmachte, ist nicht überliefert. Doch herrschte ein reger Künstler-Austausch zwischen Italien und Spanien, und viele Maler zog es an den Hof König Philipps II. Zudem konnte El Greco während seiner Zeit am Hof der Farnese gute Kontakte zu spanischen Adligen und Geistlichen knüpfen, die er in Spanien für sich zu nutzen wusste. Über den Adligen Luis de Castilla und dessen Vater Diego erhielt er in Toledo seine ersten Aufträge im Monastero de Santo Domingo de Silos. Philipp II. steckte mitten in der Ausstattungsplanung seiner Schloss- und Klosteranlage El Escorial und war stets auf der Suche nach neuen unverbrauchten Talenten. Um 1580 erhielt Dominikos mit dem “Martyrium des Heiligen Mauritius“ seine grosse Chance, die Gunst des Königs zu erwerben und in die Gilde der Hofmaler aufgenommen zu werden. Über zwei Jahre arbeitete er an dem Auftrag. Das Bild wurde im Herbst 1582 fertiggestellt und am 16. November des gleichen Jahres persönlich von El Greco im Escorial übergeben. Doch Philipp II. lehnte das Werk ab. Er liess es vom Altar entfernen und bestellte bei einem mittelmässigen italienischen Maler ein zweites Bild, das sich noch heute in der Kapelle des Heiligen Mauritius im Escorial befindet.

Das Bestreben El Grecos, keinem seiner Zeitgenossen zu ähneln, spiegelt sich in diesem Werk in einem ihm ganz eigenen Individualstil wider. Jedes Element seiner Kunst, der Raum, die Farbe, das Licht, ja die gesamte Komposition werden weitgehend von ihm abstrahiert. Eine nicht mehr an der Natur orientierte, sondern vielmehr expressionistische Farbigkeit, metallen glitzernde Lichtreflexe und eckige, fast aufgesprengte Formen und Körper sind nur die auffälligsten gestalterischen Mittel, die El Greco in diesem Bild einsetzte. Das konservative Spanien des sechzehnten Jahrhunderts folgte streng den auf dem Konzil von Trient vereinbarten künstlerischen Richtlinien und konnte daher derlei Experimentierfreudigkeit nichts Positives abgewinnen. Interessant ist aber, dass Philipp II. den Künstler trotzdem mit stolzen achthundert Dukaten für das Gemälde entlohnte. El Greco betrat mit dem Martyrium des Heiligen Mauritius auf der Suche nach neuen Ausdrucksmitteln für das Spirituelle im Bild künstlerisches Neuland. Doch war er mit seinem Hang zur Abstrahierung, seiner nicht mehr den Gesetzen der Natur folgenden Farbigkeit und der Formensprache seiner Zeit voraus. Erst mehr als dreihundert Jahre später wissen Künstler wie Franz Marc, Millet, Edgar Degas und noch später Jackson Pollack, wirklich etwas mit der Kunst des El Greco anzufangen und sehen in ihm den Wegbereiter der Moderne. So formulierte Franz Marc sehr treffend: “Cézanne und Greco sind Geistesverwandte über die trennenden Jahrhunderte hinweg.“ Die ikonografische Invention seiner Werke, die mit der festgefahrenen religiösen Bilderordnung des sechzehnten Jahrhunderts so völlig brach, und die bereits stark expressionistischen gestalterischen Mittel sind das Revolutionierende seiner Kunst. Lange Zeit verkannt ist El Greco ein Platz unter den grossen seiner Zunft sicher.

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