Lebendige Zeugen des Glaubens

“Zwei grosse Europäer”

Wappen Angelo Kardinal ComastriKardinal Angelo Comastri würdigt Johannes Paul II. als Verteidiger der Familie – Kardinal Marx über die beiden neuen heiligen Päpste: “Zwei grosse Europäer”

Rom/München/Wien, Die Tagespost/sb/KNA/KAP, 28. April 2014

Noch einmal war der Petersplatz in Rom am Montagmittag fest in polnischer Hand, als der Generalvikar des Papstes für die Vatikanstadt und Erzpriester der Petersbasilika, Kardinal Angelo Comastri, die Dankmesse für die Heiligsprechung Johannes Pauls II. feierte. Unter dem Jubel polnischer Massen mit ihren Fähnchen und Transparenten würdigte Comastri den “Heroismus eines Heiligen”.

Das Leben Johannes Pauls II. sei “eine dauerhafte Hingabe an das Evangelium Jesu” gewesen: “Darum habt ihr ihn geliebt! In seinem Leben habt ihr das Evangelium aller Zeiten wiedererkannt”, so der italienische Kurienkardinal.

Johannes Paul II. habe den Mut besessen, offen den Glauben an Jesus zu bekennen, “in einer Epoche des stillschweigenden Glaubensabfalls seitens des übersatten Menschen, der lebt als ob es Gott nicht gäbe”.

Wahrer Vater und ehrlicher Lehrer für die Jugend

“Wir sind hier, um die Erbschaft und das Vorbild seines mutigen Glaubens zu sammeln“, rief Kardinal Comastri in seiner Predigt, um unter dem Applaus der Menge hinzuzufügen: “Johannes Paul II. hat den Mut gehabt, die Familie zu verteidigen, die ein Projekt Gottes ist, klar beschrieben im Buch des Lebens.” Als sich die Verwirrung ausbreitete und sogar öffentliche Aggression gegen die Familie wandte, da habe dieser Papst die Familie verteidigt. Der heilige Johannes Paul II. möge vom Himmel her “das Geschenk des Lichtes” bewirken, “um den Weg des göttlichen Projektes in Bezug auf die Familie wiederzufinden”, denn dies sei “der einzige Weg, um der Familie ihre Würde, der Liebe ihre Wahrheit und den Eheleuten wie den Kindern eine Zukunft zu geben”.

Johannes Paul II. habe auch den Mut gehabt, jedes menschliche Leben und den Frieden zu verteidigen. Den Jugendlichen habe er geholfen, sich aus der “Kultur der Leere und der Schnelllebigkeit” zu befreien. In Johannes Paul II. habe die Jugend “einen wahren Vater, einen authentischen Führer und einen ehrlichen Lehrer” erkannt.

In einer Epoche der Krise der priesterlichen Berufungen habe der Papst aus Polen zudem den Mut besessen, “vor aller Welt die Freude des Priesterseins zu leben“, so Kardinal Comastri. Schliesslich habe er auch den Mut gehabt, “dem marianischen Winter“ entgegenzutreten, der die erste Phase nach dem Konzil charakterisiert habe. Der Krakauer Kardinal Stanislaw Dziwisz sagte in seinen teils polnisch, teils italienisch vorgetragenen Grussworten zu Beginn der Messe, Johannes XXIII. sei des Titels “Papa buono” würdig. Den heiligen Johannes Paul II. bezeichnete sein langjähriger Sekretär und Nachnachfolger auf der Krakauer Kathedra als “Papst der Göttlichen Barmherzigkeit”. Dieser habe die Entscheidungen des Konzils konsequent umgesetzt und die Kirche in das dritte Jahrtausend des christlichen Lebens geführt.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, bezeichnete die Heiligsprechungen von Johannes XXIII. und Johannes Paul II. als ermutigendes Signal. Sie zeigten, dass die Kirche dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) “fest verpflichtet“ sei, heisst es in einer Erklärung von Marx vom Sonntag. Mit Johannes XXIII. (1958–1963) erhebe Franziskus den Papst zum Heiligen, der das Konzil einberufen habe, mit Johannes Paul II. (1978–2005) jenen, der es “mit grossem Einsatz im Leben der Kirche fest verwurzelte”. Franziskus habe zudem “zwei grosse Europäer” zur Ehre der Altäre erhoben, erklärte der Münchner Kardinal. Johannes XXIII. habe sich entschieden für den europäischen Gedanken eingesetzt und sich für die Versöhnung zwischen den Völkern engagiert. Auch heute ermahne das Vorbild dieses Papstes zu einem unermüdlichen Einsatz für den Frieden. Marx verwies auf die Enzyklika “Pacem in terris” von 1963. Mit Johannes Paul II. ehre die Kirche “jene visionäre Persönlichkeit”, die mutig gegen kommunistische Unrechtsregime gepredigt habe und durch ihren politischen Einsatz am Fall der Berliner Mauer mitgewirkt habe, erklärte der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Er ermunterte die Gläubigen, die neuen Heiligen in ihr persönliches Gebet einzuschliessen. Beide seien “weit mehr als nur Persönlichkeiten der Zeitgeschichte”, sondern vielmehr “lebendige Zeugen des Glaubens auf dem Weg der Kirche“. Marx verwies auch auf den Humor von Johannes Paul II. Als Beispiel führte er ein persönliches Erlebnis aus dem Jahr 1999 an. Als damals bei der Weltbischofssynode im Vatikan Marx’ Mikrofon versagt habe, habe Johannes Paul II. ausgerufen: “Der Marxismus ist kaputt.” Das geistliche Tagebuch von Johannes XXIII. bezeichnete Marx als einen “wichtigen Impulsgeber” für seine eigene Berufung zum Priester.

Der emeritierte deutsche Kurienkardinal Paul Josef Cordes würdigte am Wochenende bei einer Buchvorstellung in Rom die “prophetische Entschiedenheit” von Johannes Paul II. Wojtyla sei kein Gleichgewichtskünstler gewesen “mit dauerndem ‘Sowohl – als auch‘ – wie es leider inzwischen in der Kirche nicht selten ist, weil man den Widerspruch vermeiden will.“ Johannes Paul II. sei ein Verkünder des Evangeliums gewesen, der auf die Wahrheit gesetzt habe, “deren Garant Gott ist“. Johannes Paul II. habe “mutig, wie ein Prophet“ gesprochen. Bereits die Worte bei seiner Amtseinführung seien bezeichnend gewesen: “Habt keine Angst! Öffnet, ja reisst die Tore weit auf für Christus!“

Am Wochenende hatte der Jüdische Weltkongress (WJC) die Verdienste der heiliggesprochenen Päpste Johannes XXIII. und Johannes Paul II. um die Aussöhnung von Katholizismus und Judentum gewürdigt. “Wenn heute Juden und Katholiken nach zwei Jahrtausenden der Spannungen und Konfrontation in Brüderlichkeit, Freundschaft und Zusammenarbeit leben können, ist das zu einem grossen Mass den Impulsen der Päpste Johannes XXIII. und Johannes Paul II. zu verdanken“, sagte WJC-Präsident Ronald Lauder in New York. Sie hätten entscheidend dazu beigetragen, die Beziehungen zu verbessern und “Antisemitismus in der Kirche zu überwinden”.

Johannes XXIII. hatte das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) einberufen, dessen Dokument Nostra aetate die Grundlage für den jüdisch-christlichen Dialog darstellte. In dessen Zuge nahmen auch Israel und der Vatikan diplomatische Beziehungen auf. Johannes Paul II. besuchte als erster Papst eine Synagoge. Er startete in seinem mehr als 26-jährigen Pontifikat zahlreiche interreligiöse Friedensinitiativen und widmete insbesondere dem Judentum grosse Aufmerksamkeit. Im Jahr 2000 bat er für die historischen Fehler und Vergehen der katholischen Kirche in zwei Jahrtausenden öffentlich um Vergebung.

“Obwohl die Heiligsprechung dieser beiden Männer eine innere Angelegenheit der Kirche darstellt und nichts mit dem interreligiösen Dialog zu tun hat, freuen wir uns mit den Millionen Katholiken in Rom und weltweit, die dieses Ereignis feiern“, so Lauder. Der Jüdische Weltkongress ist die Dachorganisation jüdischer Gemeinden und Gemeinschaften in rund 100 Ländern weltweit. Der 1936 in Genf gegründete WJC versteht sich als jüdische Interessenvertretung bei Regierungen und internationalen Organisationen. Ein weiteres Ziel ist die Stärkung des inneren Zusammenhalts im Judentum.

Glücksfall für das christlich-jüdische Miteinander

Als “Glücksfall für die Welt und das christlich-jüdische Miteinander” würdigte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, Papst Johannes Paul II. Der Papst aus Polen habe nicht nur einen Beitrag zum Ende des Ostblocks geleistet, erklärte die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. “Historisch“ sei gewesen, dass Johannes Paul II. erstmals die Mitschuld von Christen am Holocaust anerkannt habe. Knobloch erinnerte daran, dass Johannes Paul II. auch als erster Papst überhaupt mit der Grossen Synagoge in Rom ein jüdisches Gotteshaus besucht habe. Seine Umarmung des Oberrabbiners bleibe als Symbol der Versöhnung und des Eintritts in eine gemeinsame, geschwisterliche Zukunft unvergessen. Johannes Paul II. habe die Juden als “die älteren Brüder“ der Christen bezeichnet und sie auch wirklich als Brüder betrachtet.

Mit der Dankmesse am Montagvormittag auf dem Petersplatz in Rom ging ein Reigen von Feierlichkeiten im Zusammenhang mit der Doppelheiligsprechung zu Ende: Im Laufe der Vorwoche hatte es in Rom zahlreiche Vorträge und Gebetstreffen gegeben, die am Samstagabend in die “Notte bianca“, eine “weisse Nacht“ der Anbetung und der Meditation mündete. So hatten sich etwa am Freitagabend zahlreiche überwiegend jugendliche Beter aus den deutschsprachigen Ländern in der Kirche Santa Maria dell’ Anima zum “Nightfever“ versammelt. Bis spät in die Nacht hinein hielten die Jugendlichen Anbetung, sangen und beteten, während draussen in den Gassen rund um die nahe Piazza Navona das römische Nachtleben noch nichts von der nahen Heiligsprechung ahnen liess. Im offiziellen Programm der Gebetsnacht vor dem Barmherzigkeitssonntag gab es dagegen keine deutschsprachigen Veranstaltungen.

In Wien stand am Sonntag der diözesane Weltjugendtag ganz im Zeichen der Heiligsprechungen. Vor hunderten Jugendlichen erinnerte Kardinal Christoph Schönborn im Stephansdom daran, dass die Weltjugendtage eine Erfindung von Johannes Paul II. waren. “Er hat eine unglaubliche Gabe gehabt, junge Menschen anzusprechen”, so Schönborn. Zwei Generationen junger Menschen hätten Johannes Paul II. als Vater erlebt.

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