“Woher dieser Hass gegen die Christen?”

Rosenkranzfest schlägt Brücke von Wiener Anti-Nazi-Demonstration 1938 zur Christenverfolgung heute

ChristenverfolgungWien, Die Tagespost, 9. Oktober 2013, von Stephan Baier

Christenverfolgung sei “eine ganz reale und gegenwärtige Tatsache”, sagte der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, beim Rosenkranzfest am Montagabend im Wiener Stephansdom und stellte die Frage: “Woher dieser Hass gegen die Christen, speziell gegen die katholische Kirche?”

Der tiefste Grund für die Verfolgung von Christen durch Nazis, Kommunisten und andere Diktatoren liege darin, “dass wir überzeugt sind, dass der Mensch nicht nur dem Staat gehört. Wir sind Mitglieder der weltlichen Stadt, aber auch der Civitas Dei. Wir wollen bekennen, dass Gott an erster Stelle steht.”

Das Bekenntnis, dass Christus der Herr ist, habe den totalitären Anspruch aller Diktatoren gestört, doch könne kein Mensch beanspruchen, ganz Herr über einen anderen Menschen zu sein. Darum sei das Gebet “in manchen Zeiten ein Akt der Rebellion, weil das Gebet hinordnet auf den, der der wahre Herr ist”, so der Wiener Kardinal.

Genau 75 Jahren zuvor, am 7. Oktober 1938, hatte der damalige Wiener Erzbischof einen Eklat gewagt, den Adolf Hitlers Wiener Gauleiter Josef Bürckel nur als Kampfansage verstehen konnte. Kardinal Theodor Innitzer rief den gut 7 000 zum Rosenkranzfest im Stephansdom versammelten Jugendlichen zu: “Einer ist euer Führer! Euer Führer ist Christus! Wenn ihr ihm die Treue haltet, werdet ihr niemals verloren gehen.” Beim militärischen Anschluss Österreichs an Hitlers Reich im März 1938, hatten Kardinal Innitzer und die österreichischen Bischöfe noch gehofft, sich mit den neuen Verhältnissen arrangieren zu können. Überfordert von der Situation und schlecht beraten empfahlen sie, bei der von Hitler nach dem Einmarsch inszenierten Volksabstimmung für den “Anschluss” zu stimmen. Innitzer selbst fügte einem Brief eigenhändig ein “Heil Hitler” hinzu, wofür er nach Rom zitiert und von Papst Pius XI. gerügt wurde.

Doch ein halbes Jahr später hatte Wiens Oberhirte alle Illusionen verloren, ging offen auf Konfrontation zu den Nazis. Zum Rosenkranzfest am 7. Oktober 1938 hatte er die katholische Jugend per Mundpropaganda in den Stephansdom geladen. Ein paar Hundert erwartete man, mehr als 7 000 kamen. Was hier mit dem Lied “Ein Haus voll Glorie schauet” begann, wurde zur grössten öffentlichen Massenkundgebung gegen die Nazi-Herrschaft. Kardinal Innitzer stieg auf die Pilgram-Kanzel des Stephansdoms. “Liebe katholische Jugend! Ihr habt in den letzten Monaten viel verloren. Eure Verbände, Eure Jugendgemeinschaften, die ihr mit einem so schönen Idealismus aufgebaut hattet, sind nicht mehr da. Eure Fahnen, Ihr dürft sie nicht mehr tragen. Wir wollen gerade jetzt in dieser Zeit umso fester und standhafter unseren Glauben bekennen, uns zu Christus bekennen, unserem Führer und Meister, unserem König und zu seiner Kirche.” Und dann fielen die Worte, die für die Nazis das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen brachten: “Einer ist Euer Führer. Euer Führer ist Christus.”

Die Jugendlichen, die den Dom verliessen, wurden von “Sieg Heil!”-Rufen der Nazis empfangen. Und sie antworten mit dem Herz-Jesu-Lied “Auf zum Schwure, Volk und Land”, dessen dritte Strophe lautet: “Fest und stark zu unserm Gott, stehen wir trotz Hohn und Spott; fest am Glauben halten wir, unsres Volkes schönster Zier.” Die katholische Jugend versammelte sich aus eigenem Antrieb, ja gegen den Wunsch des Kardinals, still nach Hause zu gehen, beim Erzbischöflichen Palais: “Ein Volk, ein Reich, ein Bischof!” riefen einige, andere “Lieber Bischof, sei so nett, zeige dich am Fensterbrett!” Schliesslich drängten Hitler-Jugend und Polizei die jungen Katholiken ab, Innitzer segnete vom Fenster.

Nur einen Tag später, am Abend des 8. Oktober, stürmte eine Hundertschaft der Hitler-Jugend das Erzbischöfliche Palais. Der Erzbischöfliche Sekretär versteckte den Kardinal und die geistlichen Schwestern, ass rasch die konsekrierten Hostien. Mehr als tausend Fensterscheiben gingen zu Bruch. Tische, Stühle und Kreuze wurden zerschlagen. Ein Bild des gekreuzigten Christus traktierte die HJ mit Messern. Domkurat Johannes Krawarik wurde aus einem Fenster im ersten Stock in den Hof geworfen. Am 13. Oktober 1938 sammelte Gauleiter Bürckel zur Grosskundgebung 200 000 Menschen auf dem Heldenplatz. “Nieder mit dem Klerus”, “Pfaffen auf den Galgen” und “Innitzer und Jud, eine Brut” stand auf Transparenten. Der NS-Gauleiter drohte, laut Zeitzeugen im angetrunkenen Zustand: “Wir dulden nicht, dass gewissenlose Hetzer den jämmerlichen Versuch unternehmen, ihre sogenannten christlichen Österreicher vom deutschen Volk loszubeten. Die Ostmark ist bei Deutschland und wird es immer bleiben.” Die Masse zog zum Erzbischöflichen Palais, und der Wiener Kardinal hörte sie von seinem Zimmer aus rufen: “Innitzer an den Galgen!”

Am Montag nun erinnerte sich im Stephansdom eine 93-jährige Zeitzeugin, Johanna Paradeiser, die Tochter des von den Nazis in Dachau zu Tode gefolterten Hans-Karl Zessner-Spitzenberg, an das Rosenkranzfest 1938: “Der Kardinal, der uns bei der Volksabstimmung so schwer enttäuscht hatte, begann seine Predigt mit einem Schuldbekenntnis.” In Hochstimmung habe die katholische Jugend damals den Dom verlassen: “Dieser Tag war ein erster grosser Lichtstrahl, der das Dunkel der Gegenwart erhellte.” Kardinal Schönborn meinte, das Zeugnis der 7 000 Jugendlichen von damals für die Zeit von heute bestehe in dem sichtbaren “Mut, sich zu Christus zu bekennen”. Schönborn wörtlich: “In Österreich glaubt man an eine höhere Macht, aber das haben die Nazis auch gemacht. Sich zu Christus zu bekennen, ist konkret und verpflichtet zu seinem Weg.“ Kardinal Innitzer habe die Jugend damals ermutigt, zur Kirche zu stehen. “Heute gehört es selbst unter Katholiken zum guten Ton, zu sagen, man habe eine ,kritische Loyalität‘ zur Kirche. Ich würde mir wünschen, dass jeder sich selbst mindestens so kritisch sieht, wie die Kirche“, meinte Kardinal Schönborn.

Bei einer Enquete zum Thema “Christenverfolgung gestern und heute” im Wiener Stephansdom schlug der Präsident der “Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände”, Helmut Kukacka, die Brücke von 1938 zur Gegenwart: “Heute gibt es neue Formen blutiger Christenverfolgung, vor allem in islamischen Ländern, aber auch Diskriminierungen in Europa.” Hier würden religiöse Symbole aus dem öffentlichen Raum verdrängt, werde der Glaube verhöhnt, Ehe und Familie relativiert. Diesen Tendenzen gelte es sich zu widersetzen, weil Religionsfreiheit bedeute, seinen Glauben auch öffentlich bekennen zu können. Viele Medien seien “sehr zurückhaltend“, wenn es um die Verfolgung oder Diskriminierung von Christen geht. “Es scheint, dass der Glaube aus der Öffentlichkeit herausgehalten werden soll.” An die in Österreich lebenden und Anerkennung geniessenden Muslime richtete Kukacka den Wunsch, sich “auch in ihren Herkunftsländern für umfassende Religionsfreiheit einzusetzen“.

Solidarität mit den verfolgten Christen in islamischen Ländern forderte der Generalsekretär von “Christian Solidarity International“ (CSI), Elmar Kuhn. Über 1400 Jahre habe es im Islam eine Tradition der Duldung gegeben, so dass Juden und Christen – wenn auch oft als Bürger zweiter Klasse – überleben konnten. “Dieser tolerante Islam wird heute zerbombt”, sagte Kuhn, der dem Westen vorwarf, die radikale “saudische Spielart des Islam” politisch und wirtschaftlich zu hofieren. “Wir haben nicht den Mut, Menschenrechte einzufordern.”

In Europa gebe es zwar keine Verfolgung, jedoch eine “punktuelle und wachsende Ausgrenzung von Christen”, analysierte Gudrun Kugler, die das in Wien ansässige “Europäische Dokumentationsarchiv der Intoleranz gegen Christen” leitet. Christen würden immer öfter gezwungen, gegen ihr Gewissen zu handeln. Als Beispiele nannte sie medizinisches Personal, das an Abtreibungen mitwirken muss, Apotheker, die die “Pille danach” ausgeben müssen, und Standesbeamte, die Trauungen homosexueller Paare vornehmen müssen. Einschränkungen gebe es bei der Redefreiheit sowie bei den Eltern- und Erziehungsrechten. Noch sei das “Aufeinanderprallen von Christentum und Säkularismus in Europa nicht an ein Ende gekommen”. Es brauche nun ein “vernünftiges Miteinander” von Säkularismus und Glaube in Europa, in dem Christen nicht gezwungen werden dürfen, sich anzupassen.

Erste scharfe Konfrontation zwischen Kirche und NS-Regime
75 Jahre Rosenkranzfest
Erzdiözese Wien
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