Bioethik: Die letzte Grenze

“England will nun das Designen von Menschen legalisieren”

Quelle

Die Tagespost, 1. Juli 2013, von Stefan Rehder

Wer um die Jahrtausendwende angesichts der rapide angewachsenen Möglichkeiten der Gentechnologie und der Skrupellosigkeit mancher Forscher vor dem “gemachten” Menschen warnte, erntete damals bei Politikern, Wissenschaftsfunktionären und in den Medien – von wenigen Ausnahmen abgesehen – bestenfalls Mitleid. “Den geklonten Menschen wird es nicht geben”, versicherten selbst jene, die es hätten besser wissen können. Menschen nach dem “Baukastenprinzip”? “Designer-Babys”? Das – und vieles andere – wurde als blosse Hirngespinste technikfeindlicher Alarmisten abgetan.

Nun – nur rund eine Dekade später – sind beide bereits da: Der geklonte und der designte Mensch. Nachdem US-amerikanische Forscher kürzlich verkündeten, es sei ihnen gelungen, embryonale Stammzellen aus zuvor geklonten menschlichen Embryonen zu gewinnen (DT vom 18. Mai), will England nun das Designen von Menschen legalisieren. Die britische Regierung plant, Paaren künftig künstliche Befruchtungen auch dann zu erlauben, wenn dabei das Erbgut von zwei Frauen und einem Mann verwandt werden soll. Der offizielle Grund: Mit dieser Technik könne die Weitergabe von Mitochondriopathien – Erbkrankheiten, die auf Gendefekten in den Mitochondrien basieren – vermieden werden. Mitochondrien sind winzige Zellorganellen von der Grösse eines Bakteriums. Sie werden oft auch als die “Kraftwerke” der Zelle bezeichnet, weil sie für die Bereitstellung der Energie sorgen, die für die Stoffwechselvorgänge in den Zellen benötigt wird. Weniger bekannt ist, das Mitochondrien ein eigenes Genom besitzen, das etwa ein Prozent des Gesamtgenoms ausmacht, welches sich zu 99 Prozent auf den Chromosomen im Zellkern lokalisieren lässt. Um zu verhindern, dass Frauen Mitochondriopathien an ihre Kinder weitergeben, wird die Eizelle einer Frau mit defektem Mitochondriengenom entkernt. Der Zellkern, der 99 Prozent des Erbguts dieser Frau enthält, wird anschliessend in die entkernte Eizelle einer weiteren Frau mit gesundem Mitochondriengenom übertragen. Nach Befruchtung mit den Spermien eines Mannes wird die Eizelle in die Gebärmutter der ersten Frau transferiert. Ein so “gemachtes” Kind hätte also zwei biologische Mütter und einen Vater.

Wäre das – könnte man natürlich fragen – so schlimm? Schadet dem Kind, Gene von zwei Müttern und einem Vater zu besitzen? Erst recht in Zeiten, in denen soziale Patchwork-Familien längst alltäglich geworden sind? Die Antwort ist einfach und lautet: Nein, dem Kind schadet dies, wo es funktioniert, nicht. Das Teuflische ist nur, dass es den Wissenschaftlern gar nicht um die Kinder geht. Ohnehin ist laut Schätzungen von Mitochondriopathien nur rund jedes 10 000 Kind betroffen. Ein “Markt” also, der viel zu klein ist, um einen derartigen Aufwand zu betreiben. Worum es den Forschern geht, ist der Eingriff als solcher. Die Keimbahn bildet die letzte Grenze. Fällt sie, wird der Embryo zum Gegenstand für “Hacking” und “Design”. Seit Jahren arbeiten Wissenschaftler an künstlichen Chromosomen, die bekannte Eigenschaften des Menschen erweitern und ihm ganz neue ermöglichen sollen, wollen Forscher ihren eigenen genetischen Code schreiben. Um ihn implementieren, testen und verbessern zu können, darf die Keimbahn keine unüberwindliche Hürde mehr darstellen.

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