Diener zweier Päpste

Georg Gänswein – bei Benedikt XVI. Privatsekretär, bei Franziskus der Präfekt des Päpstlichen Hauses

Quelle

Die Chemie stimmt zu beiden. Von Paul Badde (Schwäbische Zeitung)

Vatikan, kath.net/Schwäbische Zeitung, 22. Juni 2013

An Georg Gänswein, dem Sohn eines Schmiedes aus Riedern im Schwarzwald, kam bis zum 28. Februar keiner vorbei, der zu Papst Benedikt XVI. wollte. Viele hielten den Privatsekretär deshalb für eine der mächtigsten Personen im Vatikan. Viele sahen deshalb auch schon das Ende der Laufbahn “Don Giorgios” gekommen, als Benedikt XVI. seinen engsten Mitarbeiter nach seinem Rücktritt quasi mitnahm in sein mönchisches Exil – und viele wünschten es so. Denn päpstliche Privatsekretäre sind mächtige Personen mit ungewissem Status. Sie wurden erwählt und nicht gewählt.

Sie gehören nicht der Hierarchie der Kurie an und müssen oft dennoch Kardinälen und Fürsten den Weg versperren, damit der Papst nicht schlicht erdrückt wird. Denn den wollen ja Millionen sprechen, jeder in einem noch wichtigeren Anliegen als der andere.

Dem enormen Druck gegen die Tür der päpstlichen Gemächer kontrolliert standzuhalten, ist jedoch nur eine der vielen Aufgaben des päpstlichen Sekretärs. Ihm gehört die letzte Hand, aus einem Ozean jene Anliegen herauszufischen, von denen er überzeugt ist, dass sein Chef sie unbedingt lesen sollte. Er muss sich mit höchster Zurückhaltung in ihn hinein versetzen können, er muss für ihn vordenken und vorfiltern können, am besten pfeilschnell und schlafwandlerisch sicher. Alles in allem eine unmögliche Aufgabe. Vor allem aber ist es ist eine Vertrauensstellung ohnegleichen.

Ein Fresko (siehe Quelle) im Palazzo Ducale in Tagliacozzo zeigt das ganz wunderbar. Da liegt Pius IV. (1499 – 1565) eingeschlummert in seinem Zelt in seinem Bett, die Tiara, ein aufgeschlagenes Buch und eine Klingel neben sich auf einem Tischchen. An seinem Fussende ruht dessen Geheimsekretär Karl Borromäus (1538 – 1584), jedoch komplett angezogen, in einem Lehnstuhl, mit dem Kopf auf der Hand, immer bereit, auf ein Klingelzeichen wieder aufzuspringen, als das dienstbare “alter ego” des Pontifex.

Vom Selbstbewusstsein solcher Sekretäre hingegen gibt davor schon Raffaels Madonna di Foligno (siehe Quelle) besser Auskunft. Sigismondo de Conti (1432 – 1512) hat dieses Meisterwerk in Auftrag gegeben. Er war Privatsekretär von Papst Julius II. (1443 – 1513), der ein Jahr darauf die Sixtinische Madonna bei demselben Genie bestellte. Doch da bestaunten die Römer schon das letzte Meisterwerk des Götterlieblings, auf dem sich der Sekretär des Papstes zusammen mit dem heiligen Hieronymus, dem heiligen Franziskus und Johannes dem Täufer zu Füssen der Madonna versammeln.

Dass Sekretäre sich mit solchem Selbstbewusstsein nicht nur Freude machten, war damals selbstverständlich und ist heute nicht anders. Im Mittelalter wartete beim Tod des Papstes ihr gesatteltes Pferd deshalb schon meist vor dem Lateran, damit sie sich nach dessen Tod nicht mit Schimpf und Schande aus Rom vertreiben lassen mussten. Was Päpsten in ihrem Pontifikat missglückt war, wurde nach deren Tod nur zu gern ihren Sekretären angelastet.

So ging es noch Don Diego Lorenzi, dem Sekretär Johannes Paul I., der seit dem überraschenden Tod des 33-Tage-Papstes 1978 ein unstetes Leben als Missionar in den Philippinen führte und heute quasi inkognito in der Nähe von Como lebt. Das wusste natürlich auch Johannes Paul II., als er seinen Sekretär Stanisław Dziwisz am 19. März 1998 im Petersdom zum Bischof weihte, und das wusste auch Benedikt XVI., als er Prälat Gänswein am 6. Januar zum Titular-Erzbischof des Städtchens Urbisaglia in den Marken weihte und ihn zum Präfekten des Päpstlichen Hauses erhob. Da wusste Benedikt XVI. schon, dass er am 28. Februar von seinem Amt zurücktreten würde und er wusste auch: Erzbischöfe müssen im Gegensatz zu Prälaten beim Tod des Papstes um ihre Zukunft weniger Sorge haben. Ein Bischof lässt sich aus Rom nicht so leicht verjagen, egal wie viele missliebige Neider und Feinde er auch haben mag.

Seit dem 13. März ist Georg Gänswein deshalb aber auch Diener zweier Päpste. Die Chemie stimmt zu beiden, zu dem alten Professor aus Deutschland und zu dem Pastor und Provinzial aus Buenos Aires. Als Präfekt des Päpstlichen Hauses, dessen Aufgaben seit der Amtsübernahme von Papst Franziskus immer komplizierter werden, ist er auf fünf Jahre bestellt. Er ist aber auch weiterhin Sekretär von Benedikt XVI., dem “papa emeritus”, in dessen Refugium “Mater Ecclesiae” in den Gärten des Vatikans geblieben. Er hatte Joseph Ratzinger nach dessen Wahl zum Papst noch in der Sixtinischen Kapelle am 19. April 2005 “Treue bis zum Tod“ (Voller Text siehe Quelle) geschworen, als der seinen effizienten Mitarbeiter gebeten hatte, auch im Papstamt sein Sekretär zu bleiben, dessen persönlicher Assistent er schon seit 2003 war. Dieses Treueversprechen ist nicht hinfällig geworden, nur weil der Papst von seinem Amt zurück getreten ist. Tot ist er deshalb noch lange nicht. Diese unbedingte Loyalität brachte Gänswein seit dem 13. März aber auch an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit.

Denn zuerst einmal musste er nicht nur körperlich, sondern auch seelisch mit dem Rücktritt fertig werden. Keiner wurde wie er von dem Schritt geschüttelt. Tränenüberströmt stand er hinter Benedikt, als die beiden den Päpstlichen Palast am 28. Februar verliessen. Der Organismus des sportlichen Tennisspielers musste in Castel Gandolfo aber auch damit klarkommen, dass eine vorher gefühlte 400-prozentige Arbeitsbelastung plötzlich auf quasi Null herab stürzte – während in Rom gleichzeitig die Aufgaben für den Präfekten des Päpstlichen Hauses mit dem höchst unkonventionellen Verhalten des Nachfolgers steil in die Höhe schnellten. Plötzlich kann der Petersplatz seitdem die Pilger zu Papst Franziskus kaum mehr fassen. Plötzlich bespielt der Nachfolger Benedikts zwei päpstliche Häuser, den Apostolischen Palast und das Gästehaus Sancta Martha, aus dem Franziskus nicht ausziehen will. Für all dies ist Gänswein zuständig, wenn er nun auch nicht mehr die ständige Vertrautheit und Nähe zum Papst hat wie früher zu Benedikt.

Doch als Franziskus seine Gemächer im Apostolischen Palast erstmals in Augenschein nahm, stand Gänswein als Hausvorsteher an seiner Seite und zündete das Licht an. Als der neue Papst seinen Vorgänger in Castel Gandolfo besuchte, stand er als dessen alter Sekretär wieder hinter ihm. Als er Benedikt bei seiner Rückkehr in den Vatikan in der Tür seiner neuen Wohnung wieder willkommen hiess, schaute Georg Gänswein dem Papa emeritus wieder lachend über die Schulter. “Figaro hier, Figaro da!“ Seit dem 13. März ist der Erzbischof in Rom so präsent, als habe er seit dem Rücktritt seines Gönners die Kunst der “bilocatio“ gelernt und eingeübt, auf deutsch: der gleichzeitigen Präsenz an zwei verschiedenen Orten, wie sie in Italien sonst nur noch so populären Heiligen wie Pater Pio nachgesagt wird.

Tatsächlich aber war es zunächst ein extrem strapazierendes Leben zwischen Rom und Castel Gandolfo, wo er die Abende und Nächte bis Anfang Mai in den Albaner Bergen bei Benedikt verbrachte und tagsüber Dienst im Vatikan tat, jedoch ohne den Helikopter, den er früher zusammen mit dem Papst benutzen durfte. Jetzt musste er die 45 Kilometer lange und oft verstopfte Strecke mit dem Auto zurücklegen. Da gingen an guten Tagen zwei Stunden von seiner Arbeitszeit ab, an schlechten mehr, die nur mit eiserner Disziplin auszugleichen waren. Die Anspannung sah und sieht ihm jedoch keiner an, der ihn immer wieder entspannt an der Seite des neuen Papstes in Rom erlebte, sei es vor der derzeitigen Residenz von Papst Franziskus oder bei den grossen Liturgien vom Palmsonntag bis Pfingsten. Georg Gänswein ist immer dabei. Er organisiert alle Termine und Audienzen für den neuen Pontifex.

Nur eine eigene Messe als Erzbischof hat er seit seiner Weihe am 6. Januar noch nicht gefeiert, und dafür ist ein Mann wie er natürlich nicht Priester geworden. Nach wie vor begleitet er Benedikt als “segretario particolare“ bei ihrem täglichen gemeinsamen Rosenkranz durch die Vatikangärten, inzwischen auf immer kürzeren Wegen.

Als Sekretär des Papstes spielte der konservative Prälat nicht nur eine Schlüsselrolle im Vatikan, da verfügte er auch noch über einen enormen kreativen eigenen Ermessensspielraum. Als erzbischöflicher Präfekt ist er jetzt mit höherem Rang und summender Effizienz ein hochqualifizierter Verwaltungsfachmann geworden. Aber auch dafür hat er sich in seiner Jugend nicht für das katholische Joch der Ehelosigkeit “um Christi Willen“ entschieden. Diese Spannung in seinem Leben nehmen natürlich viele wahr, alte Freunde und alte Feinde.

Es gibt Kardinäle, die wollen ihn weghaben aus seiner Doppelposition, und es gibt immer neue Stimmen, die ihn auf den Mond, nach Köln oder einen der anderen Bischofssitze nach Deutschland wegflüstern oder schreiben wollen. Das jüngste Gedankenspiel sieht dabei eine grosse Rochade auf Deutschland zukommen. Kardinal Woelki geht nach Köln zurück, Kardinal Marx geht nach Berlin und Gänswein kommt nach München und Freising – weil dies das einzige Erzbistum ist, wo der Papst aufgrund eines Konkordats aus freien Stücken einen Kandidaten bestimmen könnte, ohne auf die Zustimmung des Domkapitels angewiesen zu sein. Nun wird sich Papst Franziskus bei seinen Personalentscheidungen nicht von deutschen Medien inspirieren lassen.

Gänswein liebt seine Heimat, doch beteiligt sich an keiner solcher Spekulationen. Verlass ist auf die Treue des Schwarzwälders zu Benedikt. Aus seinem Versprechen, “bis zum Tod” bei ihm zu bleiben, könnte der ihn nur selber lösen. Seinem Amt als Präfekt kommt “Don Giorgio“ derweil weiter gelassen in den Räumen von Karl Borromäus hinter den Kolonnaden nach, der nach seiner Zeit als päpstlicher Sekretär das Reformwerk Pius IV. schliesslich in Mailand wie kein anderer umgesetzt hat, als Held und Heiliger der katholischen Gegenreformation – und natürlich auch als Kardinal.

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