Spiritus et Littera
Rezension
Göttliche Gnade und menschliche Freiheit
Der Festschrift “Spiritus et Littera” für Cornelius Petrus Mayer OSA widmete die überregionale katholische Zeitung “Die Tagespost” in ihrer Ausgabe vom 05.02.2011 eine ausführliche Besprechung. “Beiträge zur Forschung auf hohem oder höchstem Niveau”, urteilt Rezensent Professor Dr. Harm Klueting.
Wenn die Festschrift zum 80. Geburtstag eines deutschen Gelehrten mit einem Grusswort des Heiligen Vaters eingeleitet wird, der darin für das Lebenswerk des Jubilars dankt, so darf das als besondere Auszeichnung gelten. Papst Benedikt XVI., der Pater Professor Dr. Dr. h. c. Cornelius Petrus Mayer OSA in diesem Grusswort einen “Augustiner nicht nur durch die Zugehörigkeit zur Ordensgemeinschaft”, sondern durch die “das ganze Leben prägende Zuwendung zu dem grossen afrikanischen Kirchenvater” nennt, denkt dabei vor allem an das seit 1986 erscheinende “Augustinus Lexikon”.
Der Papst schreibt zu dem von Mayer herausgegebenen, noch nicht abgeschlossenen “Augustinus-Lexikon”, wie gern er im Ruhestand einige Beiträge für dieses grosse Werk hätte schreiben wollen: “Nun, das war offenbar von der Vorsehung nicht gewollt.” Galt Joseph Ratzingers Münchener Dissertation von 1953 dem Thema “Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche”, so schrieb der spätere Giessener Ordinarius für Systematische Theologie seine Dissertation 1968 in Würzburg über “Die Zeichen in der geistigen Entwicklung und in der Theologie des jungen Augustinus”. Damit begann Mayers lebenslange Beschäftigung mit der Theologie des Bischofs von Hippo Regius, die neben dem “Augustinus-Lexikon” unter anderem zu der CD-ROM-Edition des “Corpus Augustinianum Gissense” und zu der 2001 erfolgten Gründung des unter seiner Leitung stehenden “Zentrum für Augustinus-Forschung” an der Universität Würzburg führte.
Von den Werken des 354 geborenen und 430 gestorbenen hl. Augustinus sind den Gebildeten unter den Nichtfachleuten zumindest die “Bekenntnisse” – oder “Confessiones” – und der “Gottesstaat” – oder “De civitate Dei” – ein Begriff. Theologiestudenten sollten aus der Vorlesung über Kirchengeschichte über die für Theologie und Kirche bis heute grundlegende Auseinandersetzung des Augustinus mit seinem Zeitgenossen Pelagius und dessen Schülern und über ihre Verurteilung 418 und endgültig durch das Konzil von Ephesos 431 Bescheid wissen – grundlegend, weil es um das Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit ging. Der Pelagianismus behauptete die Freiheit des Menschen und seine Fähigkeit, sich frei für das Gute und also auch für den Glauben entscheiden zu können, während die Kirche den Pelagianismus mit den Entscheidungen des 5. Jahrhunderts verurteilte.
Beiträge zur Forschung auf höchstem Niveau
Theologiegeschichtlich Interessierte wissen, dass Augustinus im Streit mit den Pelagianern die Erbsünde und die Gnade Gottes betonte und damit den Prädestinationsgedanken hervorhob. Sie wissen auch, dass diese Sicht in der Reformation des 16. Jahrhunderts – in Martin Luthers Rechtfertigungslehre und, radikaler, in Jean Calvins Prädestinationslehre – aufgenommen wurde, aber auch – nach dem Konzil von Trient und dem Konzilsdekret “De iustificatione“ von 1547, das diese Fragen eigentlich verbindlich geklärt hatte – um 1600 im innerkatholischen Gnadenstreit von dem spanischen Dominikaner Domingo Bánez gegen den spanischen Jesuiten Luis de Molina und im Jansenismus des 17. Jahrhunderts. Sie wissen schliesslich um die Bedeutung, die dem Apostel Paulus und seiner Haltung zum Gesetz in den paulinischen Briefen des Neuen Testaments und vor allem im Römerbrief dabei zukommt.
Die 40 Aufsätze der mit 825 Seiten sehr umfangreichen Festschrift wenden sich weniger an den theologiegeschichtlich interessierten Nichtfachmann. Tatsächlich handelt es sich um 40 theologische, theologiegeschichtliche, philosophiegeschichtliche, liturgiegeschichtliche, musikgeschichtliche, literarhistorische und kirchengeschichtliche Beiträge zur Forschung in deutscher, englischer, französischer und spanischer Sprache auf hohem oder höchstem Niveau. Drei Aufsätze sollen herausgehoben werden.
Mit Blick auf Christus scheint die Verdammnis unvorstellbar
Ernst Dassmann, katholischer Theologe und emeritierter Professor für Alte Kirchengeschichte in Bonn, ist Verfasser des Beitrags “Paulinische Gnadenlehre bei Ambrosius und Augustinus”. Er knüpft damit unter anderem an seine Bücher “Augustinus. Heiliger und Kirchenlehrer” von 1993 und “Ambrosius von Mailand. Leben und Werk” von 2004 und nicht zuletzt an seinen Aufsatz “Heil zwischen Allerlösung und Prädestination von Origenes bis Augustinus” aus der Zeitschrift “Communio” von 2008 an und geht dem Paulus-Verständnis bei Augustinus und bei dem 15 Jahre älteren Bischof von Mailand, dem heiligen Kirchenlehrer Ambrosius, nach.
Augustinus befand sich gegenüber Ambrosius beinahe in einer Schüler-Lehrer-Situation. Sehr häufig zitiert der Jüngere aus Schriften des Älteren, besonders in seiner Auseinandersetzung mit den Pelagianern, während Augustinus von Ambrosius kein einziges Mal genannt wird. Auffällig ist, dass der grosse Bischof von Mailand, den auch Dassmann als einen der “Wegbereiter einer Wiederentdeckung des Paulus im Westen” bezeichnet, weder einen Kommentar zum Römerbrief noch zu einem anderen Brief des Apostels Paulus verfasste. Dassmann fragt: “Behagten Ambrosius theologische Grundpositionen des Paulus nicht – vor allem dessen Abwertung des Gesetzes?” Doch macht er deutlich, dass Ambrosius sich durchaus mit dem Römerbrief beschäftigte, während die paulinischen Briefe auch bei Augustinus keine breitere exegetische oder homiletische Auslegung erfuhren, obwohl Paulus bei Augustinus “stets gegenwärtig” war: “Schon in den antimanichäischen Schriften ist der Kampf um die Willensfreiheit ohne Paulus undenkbar, und die antipelagianischen Schriften sind im Grunde ein einziges Ringen um ein zutreffendes Paulusverständnis”.
Dassmann fasst Augustins Auffassung zusammen, nicht Gesetz und Werke könnten den Menschen retten, sondern nur die Gerechtigkeit Gottes, die er dem Menschen aus Gnade gewähre. Augustins Antwort auf die Frage, warum nicht alle Menschen gerettet werden, gibt er wieder: Weil Gott es so wolle, der den einen erwähle und den anderen nicht. Die Prädestinationslehre des Augustinus sei, so Dassmann, “von schneidender Härte. Sie ist von einem schauererregenden Gottesbild getragen und zum Schrecken christlichen Denkens aller Zeiten geworden, ist aber weder auf der Synode von Orange II (529) noch auf dem Konzil von Trient in ihrer ganzen Härte zur massgeblichen kirchlichen Lehre geworden und hat auch das Glaubensverständnis der katholischen Kirche nicht nachhaltig geprägt“. Das blieb, wie zu ergänzen ist, Calvin und dem reformierten Protestantismus des 16. und 17. Jahrhunderts, kulminierend in der reformierten Synode von Dordrecht von 1618/19, vorbehalten. Ambrosius hingegen habe, so wieder Dassmann, mehr der Allerlösung als der Prädestination zugeneigt – besser gesagt, der Mailänder Bischof habe nicht gewagt, die Vorherbestimmung eines Menschen zur Verdammung zu behaupten. Seinen Standpunkt fasst Dassmann zusammen: “Solange der Blick auf Christus gerichtet bleibt, erscheint eine ewige Verdammnis schier unvorstellbar.”
Beide, Ambrosius und Augustinus, haben Paulus sehr geschätzt, aber offensichtlich unterschiedlich verstanden. Wer von ihnen hat ihn richtig verstanden? Dassmanns Antwort ist nicht nur theologiegeschichtlich, sondern auch ökumenisch von hoher Bedeutung: “Es wächst die Erkenntnis, dass sich die augustinische und in deren Gefolge die reformatorische Paulusexegese – möglicherweise aus Gründen der Abgrenzung zwischen jüdischer und christlicher Identität – zu schwerwiegenden Falschaussagen verleiten liess. Nicht unbeeinflusst vom Bemühen um einen jüdisch-christlichen Dialog ist inzwischen ein Paradigmenwechsel erfolgt, der feststellt, dass Paulus die jüdische Tora als Gnade und nicht als deren Gegenteil versteht.” Und weiter: “Betont man Pauli radikale und uneingeschränkte Gesetzeskritik, dann gibt Ambrosius’ pastoral motivierte positive Bewertung des Gesetzes schwerlich das Grundanliegen des Apostels wieder, das dann erst von Augustinus hellsichtig erkannt und konsequent zu Ende gedacht worden ist. Setzt man dagegen mit der neueren Paulusexegese auf die Gesetzesfrömmigkeit des Apostels, rückt Ambrosius in seine Nähe, während Augustinus ins paulinische Abseits gerät” – wohin dann auch Luther und Calvin gelangen würden. Aber Dassmann schränkt ein: “Ob es schon an der Zeit ist, eine vom Augustinismus befreite Gnadenlehre zu bejubeln, mag dahingestellt bleiben.”
Von geringerer Reichweite, aber von hohem theologie- und kirchengeschichtlichem Interesse ist der Beitrag “Clemens VIII., Bellarmin und Augustinus. Zur Valenz der Augustinus-Rezeption in den Gnadenstreitigkeiten des 16. und 17. Jahrhunderts” des Würzburger Kirchenhistorikers Dominik Burkard, mit dem er auf den erwähnten nachtridentinischen Gnadenstreit eingeht. Er zeichnet die Bestrebungen zur Verurteilung des von seinen jesuitischen Ordensbrüdern unterstützten Luis de Molina nach und stellt die Entscheidung Papst Pauls V. von 1605 heraus, dass die Gnadenlehre des Dominikaners Bánez nicht calvinistisch und die Gnadenlehre Molinas und des Molinismus nicht pelagianisch sei, und geht der Rolle des Kardinals und Jesuiten Robert Bellarmin nach, dessen Brief an Clemens VIII. von Ende 1601 oder Anfang 1602 mit der Darlegung seiner gnadentheologischen Position er als Beilage im italienischen Original – mit lateinischen Einschüben – und mit deutscher Übersetzung nach einer von ihm im Archiv der Glaubenskongregation in Rom aufgefundenen Fassung abdruckt. Der kleine Hinweis sei gestattet, dass es sich bei dem Cornelius Jansenius, von dem Bellarmin 1570 die Priesterweihe empfing, selbstverständlich um Cornelius Jansenius den Älteren handelt, der 1565 Bischof des neuen Bistums Gent wurde, nicht um den erst 1585 geborenen Löwener Professor Cornelius Jansenius den Jüngeren, seit 1636 Bischof von Ypern, dessen posthum veröffentlichtes Werk “Augustinus” von 1640 auch dem Gnadenstreit zuzurechnen ist und grundlegend für den Jansenismus wurde. Die Priesterweihe Bellarmins durch Cornelius Jansenius den Älteren entbehrt der “gewissen Ironie”, die Burkard ihr unterlegt.
Der Atheismus Dawkins aus dem Geist der Selbstliebe
Die als Privatdozentin in Dortmund lehrende evangelische Theologin Larissa C. Seelbach hat den Aufsatz “Christen – zu dumm für den Atheismus? Augustin und die gegenwärtige Atheismusdebatte” beigesteuert. Sie geht auf das “curiositas”-Verständnis des Augustinus und auf seine Berufung auf 1 Kor 8,1 (“Wissen bläht auf, Liebe aber erbaut”) ein. Den Oxforder Zoologen und Protagonisten des “Neuen Atheismus” Richard Dawkins, Verfasser des Buches “Der Gotteswahn” von 2006, kennzeichnet sie als “atheistischen Religionsstifter” statt als “religionskritischen Wissenschaftler” und als “Bote einer aggresiv atheistischen Erweckungsbewegung”. Ihre Schlussfolgerung: “Anders als ein auf Eigeninszenierung bedachter Richard Dawkins, dessen ‘Gotteswahn’ ein fragwürdig hybrides Unterfangen aus dem Geist der Selbstliebe ist, vermag Cornelius Petrus Mayer den heutigen Wissenschaftsbetrieb tatsächlich unter Aufnahme des augustinischen Wissenschaftsideals zu bereichern”, möchte der Rezensent gern zustimmen. Doch hat er Zweifel, ob sich die Apologeten des Neuen Atheismus davon beeindrucken lassen.
Harm Klueting
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