Ein Land auf Franziskus-Flügeln

Der Höhenflug der Kirche in Italien hält an

Italiens Kirche im Höhenflug, ein Mafia-Märtyrer im Süden, ein Rebell im Norden und der Papst an der Grenze Roms.

Rom, Die Tagespost, 27. Mai 2013, von Guido Horst

Der Höhenflug der Kirche in Italien hält an. Die Katholiken – nicht nur in Rom, sondern im ganzen Land – schweben auf Franziskus-Flügeln, kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein kirchliches Grossereignis für positive Schlagzeilen sorgt. Es dreht sich nicht immer um den Jesuiten-Papst und dessen Bäder in der Menge.Am Wochenende waren es zwei Priester, die für Emotionen sorgten. In Palermo wurde Don Giuseppe Puglisi seliggesprochen, ein von der Mafia vor zwanzig Jahren erschossener Pfarrer, im Norden Italiens dagegen nahm die Bevölkerung von Genua Abschied von dem populären “Strassen-Priester” Don Andrea Gallo und trug ihn zu Grabe. Am Sonntag dann machte Papst Franziskus seinen ersten Pastoralbesuch in einer römischen Pfarrei, sechzehn Kinder erhielten von ihm die erste heilige Kommunion. Wieder ein Fest der Massen, mit einem Papamobil im Miniformat fuhr der Papst nach dem Gottesdienst lange durch die begeisterte Menge, bevor ihn der Hubschrauber wieder in den Vatikan brachte, wo Franziskus pünktlich um zwölf Uhr zum Gebet des Angelus an das Fenster der leer stehenden Papstwohnung im Apostolischen Palast trat. Der Petersplatz wieder einmal gerammelt voll, bis weit auf die Piazza Pio XII drängten sich die Menschen.

Es ist inzwischen keine Seltenheit mehr, dass in den morgendlichen und abendlichen Talkshows des italienischen Fernsehens Politiker wie Journalisten Loblieder auf die Kirche singen – um als Kontrast zu ihr die Not Italiens herauszustreichen, eines Landes, das an einer schweren Wirtschaftskrise, hoher Arbeitslosigkeit und einem scheinbaren politischen Stillstand leidet, bei dem eine Grosse Koalition der Mitte die extremen Kräfte immer stärker werden lässt, während die Regierung selber kaum Perspektiven aufzuweisen hat. Ein bekannter Unternehmer pries am Samstag die Kirche: Sie sei seit zweitausend Jahren an der Macht, weil sie auf die Bedürfnisse der kleinen Leute eingehe und es vermöge, die Menschen mitzunehmen. Einem Historien-Check würde eine solche Einschätzung zwar nicht standhalten, aber das Beispiel zeigt, wie sehr sich die Stimmung verändert hat. Niemand spricht mehr von “Vatileaks”, Missbrauch, Schwächen in der Kurie oder finanziellen Unregelmässigkeiten im Vatikan. Wie weggeblasen sind Verzagtheit und Angst vor Skandalen.

Der Stimmungsumschwung setzte ein, als Jorge Mario Bergoglio um Abend des 13. März auf die Loggia des Petersdoms trat und “Guten Abend” sagte. Seither ist das Land im Papsttaumel. Eine Hochphase der Kirche. Und da passt es natürlich gut, einen Anti-Mafia-Priester selig zu sprechen – in einer Zeit, in der die Menschen Vorbilder und Ideale suchen. Auch Papst Franziskus ging am Sonntagmittag auf den am Vortag zur Ehre der Altäre erhobenen Don Puglisi ein. Der einfache Pfarrer in Palermo musste sterben, weil er den Mafia-Bossen mit seiner Jugendarbeit “auf die Nerven ging”. So gab es sein Mörder später zu Protokoll. Am 15. September 1993, an seinem 56. Geburtstag, wurde Don Puglisi von einem Auftragskiller vor seinem Haus mit einem Genickschuss getötet. Es war der erste Mord an einem Geistlichen, den die Mafia auf Sizilien beging. Er sei ein beispielhafter Priester gewesen, sagte Franziskus nach dem Gebet des Angelus, der sich besonders um die Jugendseelsorge gekümmert habe. Die Mafia habe ihn getötet, doch sei es Don Puglisi gewesen, der gewonnen habe, zusammen mit dem auferstandenen Christus. “Ich denke an die vielen Schmerzen von Männern, Frauen und auch Kindern, die von vielen Mafiosi ausgebeutet werden, die sie versklaven wollen, durch Prostitution, mit grossem sozialen Druck”, sagte Franziskus: “Beten wir für die Umkehr dieser Mafiosi zu Gott!”

Passend dazu liefen im Fernsehen die Bilder von dem ungewöhnlich heftigen Bekehrungs-Aufruf, mit dem wenige Wochen nach dem Tod Don Puglisis Johannes Paul II. bei einer Sizilienreise gegen die Mafia gewettert hatte. Dass als “Antwort” dann eine gewaltige Explosion den römischen Lateranpalast neben der Titel-Basilika der Päpste erschütterte, zeigte das Fernsehen nicht.

Um die hunderttausend Gläubige waren am Samstag zu dem Gottesdienst unter freiem Himmel gekommen, bei dem der Erzbischof von Palermo, Kardinal Paolo Romeo, Don Puglisi in das Buch der Seligen und Heiligen aufnahm. Dessen Martyrium ermahne nicht nur jene, die äusserliche Religiosität und “das Nachgeben gegenüber dem Bösen” miteinander vermengten, sagte Romeo in seiner Predigt. Der neue Selige sei eine Aufforderung an alle, die Erfahrungen mit dem Bösen machten, fest in ihrem Glauben zu bleiben und dem Evangelium zu folgen. Die “Hand der Mafia” habe Puglisi zum Märtyrer nicht nur für das Stadtviertel Brancaccio in Palermo, sondern für die ganze Welt gemacht. Die italienischen Bischöfe haben in den vergangenen zwanzig Jahren mehrfach klargestellt, dass der christliche Glaube unvereinbar mit einem Dasein als Mafioso ist. Und dass Grössen des organisierten Verbrechens kein kirchliches Begräbnis erhalten. Die Null-Toleranz-Linie Johannes Pauls II. gegenüber dem organsierten Verbrechen hat sich durchgesetzt – trotz des Lochs in der Mauer des Lateranpalasts. Ein kirchliches Begräbnis in Genua machte am selben Tag deutlich, dass das mit den Stimmungen so eine Sache ist. Don Andrea Gallo war ein Mann der öffentlichen Auftritte, bekannt für seine linken Positionen, früher einmal aus seiner Pfarrei entfernt, weil er zu politisch war. Seither nannte er sich einen “Strassen-Priester”, der die Gemeinschaft “San Benedetto al Porto in Genua” gründete, die sich um Drogenabhängige und Prostituierte kümmert und in der Don Gallo selber lebte.

Dass der Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Angelo Bagnasco, bereit war, als Erzbischof von Genua das Seelenamt für den jetzt im Alter von 84 Jahren verstorbenen Don Gallo zu feiern, ehrt ihn. Aber er sollte es wohl bereuen. Nicht nur, dass er bei der Predigt, als er den Namen eines seiner Vorgänger, Kardinal Giuseppe Siri, nannte, frech von der Menge unterbrochen wurde: Unter Johlen und Klatschen sang die “Trauergemeinde” das Partisanenlied “Bella Ciao”, das zur Hymne der Kommunisten und Anarchisten geworden ist.

Wirklich bitter mag es dann für Bagnasco geworden sein, als er bei der Kommunion die geweihte Hostie plötzlich auch Vladimir Luxuria in den Mund stecken musste. Jahrgang 1965 und als Wladimiro Guadagno in Foggia geboren, nennt sich der Kommunist und Aktivist der italienischen Schwulenbewegung seit einer Geschlechtsumwandlung Luxuria und sass für die Kommunisten im italienischen Parlament. Er/sie ergriff nach der Messe auch das Wort und bedankte sich, dass Don Gallo ihm/ihr die Pforten der Kirche geöffnet habe. Luxuria traf damit eine im Land weit verbreitete Stimmung: Dass mit Papst Franziskus die Kirche wieder zu dem Menschen gehe, ja an die Grenzen, an die Peripherie der menschlichen Existenz. Ein Missverständnis zwar, wenn es dann um den Kommunionempfang geht, aber so kommt der Höhenflug der italienischen Kirche bei den Menschen an. Papst Franziskus jedenfalls weigert sich grundsätzlich, Prominenten die Kommunion zu reichen – bisher jedenfalls.

Anders war das bei der Erstkommunion im Stadtviertel Prima Porta, im äussersten Norden von Rom. Die Kinder erhielten sie. Bei der Begrüssung des Papstes sagte der Pfarrer, man sei hier an der Peripherie, in einem Aussenbezirk der Landeshauptstadt, und da der Papst sage, man solle an die Peripherie der menschlichen Existenz gehen, habe man also eine “pool position”. Das sind Wortspiele. Doch bald könnte es ernster werden: Vatikansprecher Federico Lombardi hat bestätigt, dass Franziskus an einer Enzyklika über den Glauben arbeitet. Es sei bekannt, dass Benedikt XVI. Vorarbeiten für ein Lehrschreiben über den Glauben hinterlassen habe, so Lombardi weiter. Dieses Projekt habe Franziskus nun anscheinend wieder aufgenommen. Der emeritierte Papst spiele jedoch “keine Rolle bei der Fertigstellung des Projekts”, stellte Lombardi klar. Es wäre nicht schlecht, dass bei all der Höhenflugs-Stimmung der Kirche in Italien bald auch einmal die handfeste Nahrung des Glaubens zu den Menschen kommt. Ein unmissverständlicher Text. Bisher ist Franziskus ein reiner Medien-Papst.

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