Welcher Kardinal ist papabile?

Marc Kardinal Ouellet

Vatikanstadt, 8. März 2013, zenit.org, Jan Bentz

In der Weltkirche zu Hause, siebensprachig, ständig auf Reisen, hochgebildeter Theologe, Ratzingerianer, mutiger Mahner und Verkünder: der Franko-Kanadier Marc Kardinal Ouellet (68) wird selbst in Rom aufgrund seiner Arbeitsleistung bewundert. Oft traf er mit Papst em. Benedikt XVI. zusammen, dessen Aufgaben er in einem Interview als “Albtraum mit einer riesigen Verantwortung” bezeichnete, für die sich keiner im Ernst bewerben könnte. Er ist einer der drei Kanadier, die am Konklave teilnehmen werden.

Auf die Frage, wie ein katholischer Bischof heute beschaffen sein müsse, antwortete er gegenüber der katholischen Tageszeitung “Avvenire”, im Kontext säkularisierter Gesellschaften “brauchen wir Bischöfe, die die ersten Evangelisierer einer Diözese sind und nicht blosse Verwalter derselben”. Sie sollten nicht nur theologisch treu zum Lehramt und zum Papst stehen, “sondern auch imstande sein, den Glauben darzulegen und notfalls auch öffentlich zu verteidigen.”

Der Kanadier ist in der Weltkirche zu Hause und kennt sich in ihr aus, was auch eine Erklärung dafür sein könnte, dass er an die Spitze der Bischofskongregation berufen wurde, steht er doch ausserhalb jeglicher vatikanischer “Seilschaften”. Seit vielen Jahren ist er mit den Bischöfen in aller Welt gut vernetzt. Ausserdem konnte der em. Erzbischof in seiner Heimat Quebec von 2002 bis 2010 umfassende Erfahrungen in der Leitung einer grossen Diözese sammeln. Neben seiner Muttersprache Französisch spricht er fliessend Englisch, Spanisch, Deutsch, Portugiesisch und beherrscht ausserdem Latein und Hebräisch.

Ouellet wurde 1944 in Amos (Quebec) in eine französisch-stämmige Familie hineingeboren. Er hat sieben Geschwister. Sein Vater war Landwirt und Direktor der lokalen Schulbehörde, die Mutter Hausfrau. Marc las viel als Kind und hatte in seiner Jugend die üblichen Hobbys eines Landkindes: Eishockey, jagen, fischen, Mitglied der örtlichen Feuerwehr. Nach einem Eishockey-Unfall mit 17 Jahren stiess er bei seiner Lektüre auf die “Geschichte einer Seele” der Heiligen Thérèse von Lisieux. Dies soll der Grundstein für seine Berufung zum Priestertum geworden sein.

Er studierte Philosophie, Pädagogik und Theologie, wurde 1968 zum Priester geweiht und in seiner Heimatdiözese inkardiniert. Nach zwei Jahren Arbeit in der Pfarrseelsorge ging er nach Lateinamerika in die Mission. Er lehrte Philosophie im grossen Seminar der Priestergemeinschaft der Sulpizianer in Bogotá (Kolumbien), eine Erfahrung, aufgrund derer er 1972 in den Orden eintrat. Er setzte sein Studium in Innsbruck fort und erwarb 1974 ein Lizenziat.

Darauf studierte er Philosophie in Rom an der Päpstlichen Universität des hl. Thomas von Aquin (Angelicum) und reichte 1983 an der Päpstlichen Universität Gregoriana seine Promotion in Dogmatik über den von Benedikt XVI. hoch geschätzten Theologen Hans Urs von Balthasar ein, weshalb er als “Ratzingerianer” gilt. Ouellet war ebenfalls Mitarbeiter der internationalen theologischen Zeitschrift “Communio”, die von Hans Urs von Balthasar und Joseph Ratzinger als Gegenstück zur Zeitschrift “Concilium” von Yves Congar, Hans Küng und Karl Rahner gegründet worden war.

Von 1984 bis 1989 war er Rektor des Priesterseminars von Manizales in Kolumbien. 1989 wurde er Rektor des Montrealer Seminars, 1994 Rektor des St.-Joseph-Priesterseminars in Edmonton. Von 1996 bis 2002 war er Inhaber des Lehrstuhls für dogmatische Theologie am Institut Johannes Pauls II. für Studien zur Ehe und Familie an der Päpstlichen Lateranuniversität.

Ouellet wurde von Johannes Paul II. am 19. März 2001 zum Bischof geweiht, dieser holte ihn 2002 als Sekretär des Ökumenerats in den Vatikan. Ein Jahr später folgte die Ernennung zum Erzbischof von Quebec und Primas von Kanada, am 21. Oktober 2003 die Erhebung zum Kardinal. Im selben Konsistorium wurde auch Angelo Scola, damals Patriarch von Venedig, zum Kardinal kreiert.

2010 wurde er zum Präfekten der Bischofskongregation und Präsident der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika ernannt.

Der kanadische Kardinal ist Mitglied der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, der Kongregation für katholische Bildung, der Kongregation für den Klerus, des Päpstlichen Rates für die Kultur und des Päpstlichen Komitees für internationale Eucharistische Kongresse: Ein eucharistischer Kongress fand vom 15. bis 22. Juni 2008 in Quebec statt.

Kardinal Ouellet ist auch Mitglied des Rates für Kardinäle zum Studium der organisatorischen und wirtschaftlichen Probleme des Heiligen Stuhls, der Päpstlichen Theologischen Akademie und seit 2010 Präsident der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika.

Sein Bischofsmotto ist “Ut unum sint” (“Damit sie eins seien”), ein Zitat aus dem Gebet Jesu (Joh 17,21), das das Ziel der Einheit aller Christen ausdrückt.

Zum Jahr des Glaubens eröffnete Ouellet im vergangenen Dezember in Rom die internationale Konferenz über die postsynodale apostolische Exhortation “Auf den Spuren der apostolischen postsynodalen Exhortation Ecclesia in Amerika unter Leitung Unserer Lieben Frau von Guadalupe, Mutter ganz Amerikas und Stern der Neuevangelisierung”, die vom 9.-12. Dezember abgehalten wurde.

Hier unterstrich Ouellet in seiner Predigt, dass “es niemals eine lebendige Kirche gab ohne permanente Umkehr ihrer Mitglieder zum Evangelium Jesu Christi; es kann keine lebendige Kirche ohne tiefe und ständige Vereinigung mit dem Leib Christi geben, der sprudelnden Quelle und Essenz ihrer Einheit.”

Kardinal Ouellet trat auch als Aufklärer im kirchlichen Missbrauchs-Skandal hervor. Im Rahmen der Missbrauchs-Konferenz 2012 an der Gregoriana in Rom leitete er einen Gottesdienst mit einer besonderen Versöhnungsgeste: Je sieben Missbrauchsopfer und -täter nahmen teil, die Täter baten dabei für ihre Verfehlungen um Vergebung. Auch beim Eucharistischen Weltkongress im Juni 2012 in Dublin führte Ouellet lange persönliche Gespräche mit irischen Missbrauchsopfern.

In einem Interview mit ZENIT über die Neuevangelisierung vor der Synode im Oktober am Rande der Generalversammlung des Europäischen Rates für die Bischöfe (CCEE), die am 30. September in San Gallen, Schweiz, zu Ende ging, erläuterte er die Neuevangelisierung so:

“Wenn man von Neuevangelisierung spricht, spricht man vor allem von Begegnung, von der Begegnung mit Christus, von der persönlichen Erfahrung von Christus. Wenn diese Erfahrung nicht mehr lebendig ist, dann werden alle anderen Fragen kompliziert.”

Im selben Interview drückte Ouellet auch seine Sorge über die Krise der Kirche in Europa aus. Dem Kardinal nach liege der wirtschaftlichen und finanziellen Krise eine Krise des Menschenbildes, eine anthropologische Krise zugrunde. “Wenn das Bild des Menschen, als Ebenbild Gottes, das die Basis der christlichen Erziehung ist, verloren wird, dann haben wir keine Vorbilder mehr, was wiederum schreckliche Auswirkungen auf die Jugend hat. Es fehlt ihnen an Idealen, Bezugspunkten und persönlichen Beispielen.”

Als Generalrelator bei der Bischofssynode über die Neuevangelisierung im Oktober vergangenen Jahres rief er die Orden zur Einheit mit der Kirche auf:

Eine erneuerte Verkündigung sei untrennbar verbunden mit der Einheit der Kirche, so Ouellet. Wie das Zweite Vatikanum betone, sei dies das erste sichtbare Zeichen von Gottes Gegenwart, sei also selber schon Verkündigung. Zum Verhältnis von Charisma und Amt mahnte er besonders mit Blick auf die Ordensgemeinschaften zur Einheit mit der Kirche. Das Charisma, repräsentiert durch die verschiedenen Ordensgemeinschaften und deren Traditionen, repräsentiere den wertvollsten Schatz des Christentums. Deshalb sei es notwendig, dass die Ordensleute sich als Teil der Einheit verstünden; viele widersprächen heute der Lehre der Kirche in Lehre und Leben .

“Es wäre ein grosser Irrtum, das Ordensleben von den kirchlichen Strukturen unabhängig zu machen – und noch schlimmer wäre es, sie gegeneinander auszuspielen –, als könnten sie als zwei voneinander unabhängige Realitäten existieren, die eine charismatisch, die andere institutionell; während beide Elemente, das heisst die geistlichen Gaben und die kirchlichen Strukturen, eine einzige, wenn auch komplexe Realität bilden”, so am Schlusss seiner Rede.

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