Das Licht verlöscht. Der Dornbusch brennt

Benedikt XVI. und sein Vermächtnis für die Kirche

Rückblicke und Vorblicke. Von Armin Schwibach

Rom, kath.net/as, 21. Februar 2013

In genau sieben Tagen wird es so weit sein: die Kirche und die Welt werden bei einem historischen Ereignis dabei sein: der Papst tritt zurück, um 20:00 Uhr des 28. Februars. Vorher werden sich die Gläubigen noch verabschieden können: am Sonntag beim letzten Angelus des Pontifikats, am Mittwoch bei der letzten Generalaudienz auf dem Petersplatz.

Waren am vergangenen Sonntag so um die 150.000 Menschen gekommen, um dem Papst ihre Zuneigung und Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, werden es bei den letzten öffentlichen Auftritten Benedikts XVI. nicht weniger sein. Rom bereitet sich auf den grossen Menschenandrang vor. Dies umso mehr, da Benedikt XVI. von den ersten Minuten seines Petrusdienstes an von Begeisterung und Erwartungen der grossen Zahl von Gläubigen oder einfach nur Neugierigen umgeben war – eine Begeisterung und Liebe, die im Lauf der Jahre weltweit gewachsen ist, sich gefestigt hat und auch zu einem aufmerksamen Zuhören dessen gelangt ist, der wissen will, was denn dieser kleine, liebenswürdige, milde Mann in Weiss zu sagen hat.

Skandale und Probleme durchzogen die acht Jahre des Pontifikats in einer für die Kirche schwierigen Zeit. Sie lassen sich mit den Worten “Sex, Geld und Macht” zusammenfassen. Die Skandale des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen durch Kleriker und andere Ausschweifungen; der verweltlichten Verstrickung in Geldgeschichten, angefangen bei dem Kirchensteuerproblem deutscher Lande bis hin zu den Finanzskandalen, die immer noch und immer wieder mit dem von einer schwarzen Aura umgebenen Wort “IOR” verbunden sind; und nicht zuletzt der Skandal der Spaltungen im Leib der Kirche, die deren Antlitz entstellen: all dies verzerrte auch das leuchtende Wirken des deutschen Theologenpapstes, eines der bedeutendsten lebenden Intellektuellen, des guten Hirten auf dem Petrusstuhl, in dessen Denken und Handeln “Liebe” und “Freude” zu seinen Hauptworten und Hauptanliegen gehören.

Komiker sind bei ihrer Arbeit darauf angewiesen, den Kern einer Person herauszuarbeiten. So konnte es nicht verwundern, dass das mit hartem deutschen Akzent ausgesprochene “tschoia” für “gioia” immer wieder im Repertoire der Benedikt-Imitatoren betont wurde. “Tschoia” – das war es, was Benedikt XVI. vermitteln wollte, die Freude am Glauben, am reinen Glauben, der aus seinen Wurzeln heraus neu erblüht, Freude am Katholischsein, daran, dass Gott mich auserwählt hat, katholisch zu sein (vgl. Lectio divina im römischen Priesterseminar “Seminario Maggiore”, 8. Februar 2013).

“Vielleicht”: ein Wort das nicht nur bei deutschsprachigen Katholiken Verwunderung hervorgerufen hat. Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, meinte in seiner Würdigung des Pontifikats, den Papst um Verzeihung bitten zu müssen für alle Fehler, die “vielleicht” aus dem Raum der Kirche in Deutschland ihm gegenüber begangen wurden. Jene dann in der vatikanischen Zeitung “L’Osservatore Romano“ (20. Februar) veröffentlichte Würdigung liess auch so manchen Italiener aufhorchen: “vielleicht“ sind Fehler begangen worden, “‘forse’ sono stati fatti degli errori”.

Vielleicht.

Vielleicht aber geht es doch um etwas ganz anderes, als es die Vielen verkünden, die sich in den letzten Tagen auf den Sesseln von Talkshows oder in Beiträgen der Mainstream-Medien geäussert haben. Von einem “gescheiterten” Pontifikat ist die Rede, von mangelnden “Reformen“, von einer Kirche, die nicht zuletzt auch verschuldet durch Rom und den Papst ins Kreuzfeuer der verschiedenen Kritiken geraten ist. Viele der altbekannten und immer selben Kommentatoren mit ihrer immer gleichen und bis zum Erbrechen vorgetragenen Zeitgeistrhetorik können nur eines tun: den Pontifikat Benedikts XVI. und vor allem seinen historischen Rücktritt politisch zu verfrühstücken, ohne weder an dem einen teilgenommen zu haben noch den anderen verstehen zu können.

Warum hat Benedikt XVI. seinen Rücktritt angekündigt? Er tat dies in voller Freiheit, mit einer starken Geste, um die Versuchungen zu entlarven, wie er dies beim Angelus am 17. Februar eindringlich erklärt hatte. Denn der zentrale Kern der Versuchungen “besteht immer in der Instrumentalisierung Gottes aus eigenen Interessen, insofern dem Erfolg oder den materiellen Gütern grössere Bedeutung zugemessen wird. Der Versucher ist hinterhältig: er drängt nicht direkt zum Bösen, sondern über ein falsches Gut, indem er glauben macht, dass die wahren Wirklichkeiten die Macht und das die Grundbedürfnisse Befriedigende sind. So wird Gott zweitrangig, er wird auf ein Mittel reduziert, letztendlich wird er unwirklich, zählt nicht mehr, verdunstet”.

Die Verdunstung Gottes und des Glaubens aufzuhalten: darum geht es. Somit kann auch der Rücktritt Benedikts XVI. nur aus einer Dimension des Glaubens heraus verstanden werden. Der Papst lanciert eine starke Botschaft. Und setzt auf diese Weise seine eigene Reform der Römischen Kurie um. In den Monaten nach seiner Wahl im Jahr 2005 fragten sich viele: was wird der Papst mit einer Kurie machen, die über lange Jahre von einem Apparat mit seinen Gewohnheiten regiert wurde? Von einer bevorstehenden “Herbstrevolution” schrieben einige Beobachter im September 2005. Doch: nichts geschah. Nichts Eklatantes. Der neue Papst hatte begonnen, langsam zu ordnen, aufzuräumen. Und so sollte es bleiben. Keine schnellen oder revolutionären Neuernennungen, keine Zäsur, da dies nicht im Stil eines Joseph Ratzinger liegt. Sein Stil war und ist: ich gebe Hinweise, ich deute an, ich verlasse mich darauf und erwarte, dass diese Hinweise zu einem Umdenken führen werden, ja zu einer Umkehr, zur Reinigung. Aber es genügte nicht.

Von seinem Rücktritt jedoch wurde der Apparat schwer getroffen, was gerade in den teilweise konfusen Windungen dieser Tage sichtbar wird. Hatte Benedikt XVI. in seiner letzten Predigt, die er bezeichnender Weise am Aschermittwoch hielt, nicht eindringlich aufgerufen, “die Fastenzeit in einer intensiveren und sichtbareren Gemeinschaft mit der Kirche zu leben, indem man Individualismen und Rivalitäten überwindet”? Die Fastenzeit, in der die Kirche leben muss, beschränkt sich nicht allein auf vierzig Tage. Der Papst fordert einen radikalen Neuanfang, eine radikale Umkehr, dies vielleicht umso mehr, da er den Bericht der Kardinalskommission zu “Vatileaks” und Umfeld kennt und in Abgründe der Sünde geschaut hat, Abgründe, die sich nicht allein auf Rom beschränken. Es mutet wie eine Ironie des Schicksals an: Benedikt XVI. wird den Vatikan noch vor Paolo Gabriele verlassen, dessen Verrat symbolisch den Pontifikat und die letzten Monate gekennzeichnet hat.

Auf der Couch einer Talkshow geht es nur politisch zu. Die eigentliche Wirklichkeit ist eine andere: die Geschehnisse um den Rücktritt des Papstes können nur um Rahmen der metaphysischen Schlacht erfasst werden, die ein verständiger Beobachter zu erkennen vermag. Natürlich war der Rücktritt ein “Schock”, ein Tsunami, ein unsäglicher Schmerz, verbunden mit einer grossen Enttäuschung, dem Sinn des Verlorenseins, der Sorge um die Zukunft der Kirche und des Papsttums angesichts eines in der Geschichte der Kirche einmaligen Ereignisses. Ist es so, wie dies der Krakauer Kardinal in seiner Vulgarität meinte, dass Benedikt XVI. vom Kreuz herabgestiegen ist, Golgotha verlassen hat und sich aus dem Staub macht?

“Ad cognitionem certam perveni vires meas ingravescente aetate non iam aptas esse ad munus Petrinum aeque administrandum” – “Ich bin zur Gewissheit gelangt, dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben”: so erklang es am 11. Februar in der Sala del Concistoro im Apostolischen Palast. Mit anderen Worten: der Papst hat gespürt, dass er mit dem “business as usual” nicht mehr weiterkommt. Dass die Mauern dieser Kurie zu fest sind, dass es eines Sprengsatzes bedarf. Dass – und das ist das Wichtigste – in der Welt ein Kampf zwischen der guten und der bösen Macht im Gang ist.
Benedikt XVI. hat wichtige Grundlagen für diesen Kampf geschaffen, aber “ingravescente aetate” ist er zur Erkenntnis gekommen, dass er kein General ist, der ein Massenheer in diesen Kampf führen könnte, da die Massen fehlen und er bei einer weitergehenden Koordinierung zu sehr behindert wurde, von den Kräften des Bösen, die ihn tagtäglich und in allem umgeben haben. Ja, er hat “spezielle Einsatztruppen” ausgebildet und sie in die Lage versetzt, selbst etwas tun zu können, in einer Verbindung mit ihm, die einen einfachen Funkkontakt und eine einfache Befehlausführung übersteigt. Er hat sich gegen das Teufelswerk des sexuellen Missbrauchs und der Homosexualisierung der Kirche und ihrer Diener gestemmt, gegen die Vergehen gegen das sechste Gebot und vor allem auch gegen die Sünden gegen das siebte Gebot. Er hat sich gegen dasselbe in der Gesellschaft gestemmt, wo es der Teufel noch leichter hat. Aber gerade im Zentrum hat ihm dieser Kampf, der anderswo seine zarten Früchte getragen hat, so viel Hass und Gegnerschaft eingebracht, dass es für den Teufel leicht wahr, ihm seine Leute entgegenzustellen.

Der Papst gibt so der Kirche einen Schlag, einen revolutionären Schlag: er anerkennt, dass seine physischen Kräfte gegenüber dem immer mehr sichtbaren und tobenden “mysterium iniquitatis” nicht ausreichen. Und: gerade weil der Kampf metaphysisch ist, kann der Papst es nicht zulassen, aufgrund seiner Schwäche in die Hände von anderen zu fallen, die dann ihr böses Spiel spielen und den “vicarius Christi” als Geissel halten.

So wird deutlich: der Rücktritt ist keine “Resignation”, im Gegenteil: mit der Abdankung hat er in seinem Stil, dem Stil der Kraft, die ihm aus der Demut und Milde kommt, gehandelt, stark gehandelt, so stark, dass der Teufel es nun wieder schwer hat, denn: es war dem Papst ja gelungen, die Ebene des Kampfes von einer rein weltlichen auf eine überweltliche, theologische zu heben. Und alles, was er dafür getan hat, bleibt, steht den “speziellen, von ihm herangebildeten Einsatztruppen” zur Verfügung.

Der Mann, für den das Wort “Kontinuität” das Schlüsselwort für das Sein und Verständnis der Kirche und ihrer Geschichte ist, vollzieht einen auch schmerzhaften, zur Verantwortung rufenden Bruch. Das Zeitalter des Scheins, der Instrumentalisierungen, der Lügen muss enden. Jetzt ist die Zeit, wo er radikal Christus und das Kreuz in den Mittelpunkt stellen will. Nicht sein in der Öffentlichkeit zelebriertes Kreuz, sondern DAS Kreuz. So besteht das letzte Vermächtnis dieses grossen Lehrers der Kirche darin, dass er in den Kampf schickt, indem er das Material für diesen Kampf zur Verfügung stellt. Kämpfen muss den Kampf jeder für sich, im steten Wissen, dass der Papst da ist und der Kampf auch darin besteht, ihn vor der bösen Macht zu schützen, in der Gemeinschaft der Kirche. So ist der revolutionäre freie Akt Benedikt XVI. Zeichen der Zeit, in der nur eines gewiss ist: “non praevalebunt”. Die Kirche, die allein Christus gehört, ist ewig, und er sorgt für sie, auch mit dem Rücktritt eines Papstes.

Benedikt XVI. ist sich bewusst, wie er als junger Theologe bereits erklärt hatte, dass die Menschheit und damit die Kirche heute an einem Wendepunkt ihrer Entwicklung angelangt sind. Aus der heutigen Krise werde eine Kirche hervorgehen, die viel verloren hat und zu einem Neuanfang gelangen muss, eine Kirche der Kleinen, des kleinen Rests, eine geistliche Kirche der Beter und Büsser, angesichts derer die Welt in ihrer Gottesfinsternis des Schreckens ihrer Armut gewahr wird.

Joseph Ratzinger wurde an einem Karsamstag geboren. Das Geheimnis dieses Tages und das Ostergeheimnis begleiten sein ganzes Leben. So schrieb er im Jahr 1969 in seinen drei Meditationen zum Karsamstag:

“Karsamstag, Tag des Begräbnisses Gottes – ist das nicht auf eine unheimliche Weise unser Tag? Fängt unser Jahrhundert nicht an, zu einem grossen Karsamstag zu werden, einem Tag der Abwesenheit Gottes, an dem auch den Jüngern eine eisige Leere ins Herz steigt, so dass sie beschämt und verängstigt sich zum Heimweg rüsten und auf ihrem Emmaus-Gang dumpf und verstört sich in ihre Hoffnungslosigkeit hineinbohren, gar nicht bemerkend, dass der Totgeglaubte in ihrer Mitte ist? Gott ist tot, und wir haben ihn getötet: Haben wir eigentlich bemerkt, dass dieser Satz fast wörtlich der Sprache der christlichen Überlieferung entnommen ist, dass wir oft genug in unseren Kreuzweggebeten schon Ähnliches gelallt haben, ohne den erschreckenden Ernst, die unheimliche Wirklichkeit des Gesagten zu gewahren? Wir haben ihn getötet, indem wir ihn ins Gehäuse veralteter Denkgewohnheiten einschlossen, indem wir ihn in eine Frömmigkeit verbannten, die wirklichkeitslos war und immer mehr zur devotionellen Phrase oder zur archäologischen Kostbarkeit wurde; wir haben ihn getötet durch die Zweideutigkeit unseres Lebens, die ihn selbst verdunkelte, denn was könnte Gott fragwürdiger machen in dieser Welt als die Fragwürdigkeit des Glaubens und der Liebe seiner Gläubigen?

Die Gottesfinsternis dieses Tages, dieses Jahrhunderts, das mehr und mehr zum Karsamstag wird, redet uns ins Gewissen. Sie hat auch mit uns zu tun. Aber sie hat trotz allem etwas Tröstendes an sich. Denn Gottes Sterben in Jesus Christus ist zugleich Ausdruck seiner radikalen Solidarität mit uns. Das dunkelste Geheimnis des Glaubens ist zugleich das hellste Zeichen einer Hoffnung, die ohne Grenzen ist. Und noch eins: Erst durch das Scheitern des Karfreitags, erst durch die Todesstille des Karsamstags hindurch konnten die Jünger zum Begreifen dessen geführt werden, wer Jesus wirklich war, was seine Botschaft in Wahrheit meinte. Gott musste sterben für sie, damit er wahrhaft leben konnte in ihnen. Ihr Bild, das sie von Gott geformt hatten, in das sie ihn einzuzwängen versuchten, musste zerstört werden, damit sie über den Trümmern des zerstörten Hauses den Himmel sehen konnten, ihn selbst, der immer der unendlich Grössere bleibt.
Wir brauchen die Gottesfinsternis, wir brauchen das Schweigen Gottes, um wieder den Abgrund seiner Grösse zu erfahren, den Abgrund unserer Nichtigkeit, der sich auftun würde, wenn er nicht wäre”.

Aus dem Abgrund heraus hinein ins Licht der Wahrheit: der letzte Akt eines grossen und historischen Pontifikats bildet eine der Stufen der Leiter, über die hinweg Papst Benedikt XVI. zum Ziel führen will.

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