Unruhen in Belfast: “Jetzt gegensteuern!”

Droht das nordirische Belfast wieder langsam in einen blutigen Konfessionskrieg abzurutschen?

Seit die britische Flagge über dem Rathaus nicht mehr täglich weht, kommt es in Teilen der Stadt immer wieder zu Krawallen. Dabei wurden seit Anfang Dezember zahlreiche Polizisten verletzt und Menschen festgenommen. Den Beschluss, dass der “Union Jack” nur noch 17 Tage im Jahr gehisst werden darf, hatte die katholisch-nationalistische Sinn-Fein-Partei vorangetrieben. Das setzt die protestantischen Loyalisten unter Druck, sagt die Katholikin Mary McAleese, die von 1997 bis 2011 Präsidentin der Republik Irland war.

Bei den aktuellen Krawallen seien derzeit vor allem junge Gesichter zu sehen, so die Politikerin im Gespräch mit Radio Vatikan am Rande der Vortragsreihe “Eine Spiritualität für Dialog und Versöhnung” an der päpstlichen Universität Gregoriana:
“Wir müssen jetzt die Köpfe zusammenstecken und sehen, was wir tun können, um die Wasser wieder zu beruhigen. Unter diesen jungen Leuten gibt es starke Anzeichen für Sektierertum, und da müssen wir ansetzen. Ich denke hier an die protestantischen Paramilitärs, die im Moment unter enormen Druck stehen. Und ich denke, sie sind auch die Lösung, denn sie wissen, wer diese jungen Leute sind, und haben eine Verbindung zu ihnen, die andere nicht haben. Wir verlassen uns also auf sie, dass sie die jungen Leute durch Gespräche und Überzeugungsarbeit von den Strassen bekommen.”

Viele junge Leute in Nordirland wüssten heute nicht mehr um den “Preis der Gewalt”, so McAleese. Deshalb sei es auch so wichtig, bei diesen jungen Leuten die Erinnerung an das jahrzehntelange Blutvergiessen wachzuhalten. McAleese plädiert für eine Form der Vergangenheitsbewältigung ohne Ideologie, die das Gedenken an den Schmerz ins Zentrum setzt – die Verluste auf beiden Seiten.

“Ich denke, es ist wichtig, die Erinnerung an das Leid weitergeben, daran, welcher Preis für das Karfreitagsabkommen gezahlt wurde, warum die Notwendigkeit eines Kompromisses besteht, warum es so wichtig war. In all meinen Jahren in der Friedensarbeit war ich nie ohne die Erinnerung an meine verstorbenen Freunde. Es gibt heute eine Generation, die nicht weiss, was es bedeutet, mit Bomben und herumfliegenden Kugeln und der Armee auf den Strassen zu leben – mit dieser ganzen Abnormalität.”

Das Karfreitagsabkommen zwischen der Regierung der Republik Irland, der Regierung Grossbritanniens und den Parteien Nordirlands hatte im April 1998 nach jahrzehntelangem Kampf ein halbwegs stabiles Zusammenleben von Katholiken und Protestanten in Nordirland begründet. Es wurde bei getrennten Referenden in der Republik Irland und in Nordirland bestätigt und sieht Zusammenarbeit und demokratische Einigungsverfahren in verschiedenen Bereichen vor. McAleese vermutet unter den Randalierern der letzten Wochen kategorische und gewaltbereite “Gegner des Karfreitagsabkommens”. Denn: “Andere, die gegen die Entscheidung zur Flagge waren, haben ihre Gegenposition (schliesslich) auf demokratische Weise zum Ausdruck gebracht.”

(rv 28.01.2013 pr)

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