“Wirklich heilen kann nur einer: Jesus Christus”
Kardinal Joachim Meisner über den Eucharistischen Kongress 2013
Die Tagespost, 28.12.2012, von Markus Reder
Kardinal Joachim Meisner über den Eucharistischen Kongress 2013, die Krise der Bürokratenkirche, dramatische Fehlentwicklungen und die Chance der Erneuerung.
Herr Kardinal, Sie sind Gastgeber des Eucharistischen Kongresses im kommenden Jahr in Köln. Solch ein Kongress ist in Deutschland weitgehend neu. Warum diese Veranstaltung? Warum gerade jetzt?
Die Kirche wurde in den vergangenen Jahren von diesem entsetzlichen Missbrauchsskandal erschüttert. Ich muss gestehen, ich hätte diese Vergehen nie für möglich gehalten. Aber sie sind leider traurige Realität. Immer wieder habe ich mich seitdem gefragt: Was können wir tun, noch über Hilfe, Unterstützung und Prävention hinaus, um das tiefe Leid der Opfer zu lindern? Ich habe mit vielen Opfern gesprochen und festgestellt, deren Verwundungen sind unermesslich tief. Wer könnte das heilen? Die Frage lässt mich nicht mehr los. Mit allem, was wir als Kirche unternommen haben, was wir anbieten und wie wir helfen wollen, bleiben wir letztlich doch vordergründig. Damit kann man nicht heilen, was hier geschehen ist. Wirklich heilen kann nur einer: Jesus Christus. Dieser Jesus ist nicht ein abstrakter Gedanke oder eine Idee aus vergangenen Zeiten. Er, der Mensch geworden ist, der gekreuzigt wurde und von den Toten auferstand, ist eine lebendige Person. In der Eucharistie ist er auch heute mitten unter uns ganz real präsent. Ihn müssen wir wieder in die Mitte rücken. Radikal und grundsätzlich. Dazu gibt es keine Alternative.
Und dazu soll der Eucharistische Kongress beitragen?
Genau darum soll es bei diesem Glaubensfest gehen. Wir müssen Christus wieder mehr Raum geben. Ihm, der das Verwundete heilt, die Trauernden tröstet, das Darniederliegende aufrichtet. Christus kann das wirklich alles – heute wie vor 2 000 Jahren. Wir müssen uns nur von Neuem ganz ihm zuwenden. Wir müssen wieder begreifen: Die Eucharistie ist ein “Du2, eine Person. Der Auferstandene hat uns ein Andenken hinterlassen. Nicht irgendetwas, nicht eine Sache, sondern sich selbst in der heiligen Eucharistie. In der Eucharistie sagt er “Du” zu jedem von uns. Das Bewusstsein für diese unmittelbare Nähe Jesu droht auf dramatische Weise verloren zu gehen. Wir hocken stundenlang auf Dialogveranstaltungen herum und den einen, der alles weiss und der alles kann, den frequentieren wir nicht mehr.
Aber es gehen doch viele zur Kommunion…
Wir haben einen Eucharistiekonsum wie noch nie, aber was kommt dabei heraus? Da stimmt doch etwas nicht. Wir sind in einen eucharistischen Paganismus verfallen. Wir versündigen uns gegen die Eucharistie, wenn wir nicht wieder ernst damit machen und ernst nehmen, was uns der Herr geschenkt hat. Die Eucharistie ist keine Schleuderware. Es ist der Herr selbst, der uns hier begegnet. Dies wieder neu ins Bewusstsein zu rufen, hat mich zu diesem Eucharistischen Kongress veranlasst. Zwar habe ich mit dieser Idee zunächst keine ungeteilte Zustimmung in der Bischofskonferenz gefunden. Aber die deutschen Bischöfe laden nun gemeinsam zum Eucharistischen Kongress im kommenden Jahr nach Köln ein.
Der Eucharistische Kongress soll laut Bischofskonferenz auch ein Beitrag zum Dialogprozess der Kirche in Deutschland sein. Nach dem, was Sie eben gesagt haben, ist es aber offensichtlich, dass es dabei um eine andere Akzentsetzung geht als bei den bisherigen Dialogveranstaltungen. Warum ist es für die Erneuerung der Kirche so wichtig, von der Mitte des Glaubens her zu denken und zu handeln und nicht von den sogenannten Reizthemen her?
Von der Mitte des Glaubens her zu denken sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Christus sagt: Ich bin das Licht der Welt. Er sagt nicht, meine Theologen oder meine Bischöfe sind das Licht. Er sagt: Ich bin es. Genau das muss unser Thema sein. Das macht auch das Leitwort des Eucharistischen Kongresses deutlich. Wir haben eine Stelle aus dem 6. Kapitel des Johannesevangeliums gewählt. Dort sagt Petrus zu Jesus: “Herr, zu wem sollen wir gehen?” (Joh 6,68). Entscheidend ist freilich, diese Stelle in ihrem grösseren Zusammenhang zu sehen.
Wie meinen Sie das?
Jesus wird gerade gefeiert, mit der Brotvermehrung hat er alle satt gemacht. Jetzt wollen die Leute ihn natürlich zum König machen. Und da sagt er: Ich bin das Brot des Lebens. Das finden viele unerträglich. Von diesem Zeitpunkt an gehen viele nicht mehr mit. Was tut Jesus? Er sagt nicht: Nun bleibt mal schön da, ich mache es jetzt etwas billiger, wir werden angepasster. Nein, er stellt den Zwölf eine ebenso deutliche wie provokative Frage: “Wollt auch ihr weggehen?” Wir Bischöfe müssen uns selbst und allen Gläubigen diese Frage des Herrn stellen: “Wollt auch ihr gehen?” Wir können nicht einfach sagen, nun bleibt mal alle schön da. Um euretwillen werden wir den Glauben anpassen, das Bekenntnis relativieren, das Profil abschleifen. Hauptsache alle sind irgendwie zufrieden. Nein, wir alle müssen uns auch heute die Frage des Herrn gefallen lassen: Wollt auch ihr gehen? Auf diese Frage antwortet Petrus auf beeindruckende Weise und formuliert damit das erste, das wesentlichste und das ursprünglichste Glaubensbekenntnis der Kirche: “Herr, zu wem sollen wir denn gehen? Wir haben doch keine Alternativen zu Dir. Du allein hast Worte des ewigen Lebens. Denn Du bist der Heilige Gottes. Hier sind wir am Geheimnis des Glaubens.” Das genau ist die Thematik des Eucharistischen Kongresses. Darum passt der Eucharistische Kongress auch gut in das “Jahr des Glaubens”.
Im Mittelpunkt des Kongresses soll also das Bekenntnis stehen. Bekenntnis statt Dialog?
Ohne Bekenntnis ist doch jeder Dialog vergeblich. Ja, wir machen eine Bekenntnisveranstaltung. Wir wollen uns über unsere Glaubenserfahrungen austauschen, nicht gelehrte Vorträge halten. Es soll Katechesen geben, aber kein Blabla. Es interessiert doch nicht, wer sich was in der Dogmatik angelesen hat. Viel wichtiger ist, zu erfahren, wie jemand konkret mit der Eucharistie lebt, wie er daraus sein Leben gestaltet. Persönlich und konkret soll es zugehen, nicht theoretisch und abstrakt. Wir wollen gemeinsam beten und einander bekennen, wer Jesus Christus ist. Das schenkt der Kirche neue Vitalität. Was helfen uns alle gescheiten Vorträge über das Zweite Vatikanische Konzil, wenn inzwischen der Glaube wegbricht. Es bringt doch auch nichts, Verunsicherung unter die Leute zu tragen und beispielsweise über Frauenordination zu sinnieren. Das ist schlicht unredlich. Lehramtlich ist das doch längst entschieden. Solche Diskussionen führen nicht weiter. Anders ist das bei der Eucharistie. Da wird es wesentlich. Und wir begeben uns auf das Niveau des Herrn. Wenn wir niederknien – wie die Hirten oder die Heiligen Drei Könige –, bringt uns das auf Augenhöhe mit Jesus Christus.
Das Zweite Vatikanum hat von der Eucharistie als Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens gesprochen. Die Konzilsväter hatten die Hoffnung, ein neues, vertieftes Bewusstsein für das Geheimnis der Eucharistie zu wecken. Wenn man die Realität heute sieht, muss man feststellen, das ist so nicht eingetreten. Häufig scheint sogar das Gegenteil der Fall zu sein. Woran liegt das? Was ist schiefgelaufen?
Wir haben uns nach dem Konzil so sehr dem Zeitgeist angepasst, dass der Sinn für das Heilige abhandengekommen ist. Wir haben die Sakramentenkatechese sträflich vernachlässigt und äussere Zeichen der Ehrfurcht ersatzlos gestrichen. Solche Zeichen – Kommunionbänke, eucharistische Nüchternheit, Niederknien oder die Mundkommunion – waren wie ein Schutzwall um die heilige Eucharistie. So wurde schon zeichenhaft deutlich, dass hier etwas Einzigartiges geschieht. Dass sich Heiliges vollzieht. Wir haben das Mysterium nicht mehr geschützt und erleben nun die totale Profanierung des Sakralen. Die Liturgie wurde entsakralisiert. Was ist aus all dem an evangelisierender Kraft erwachsen? Nichts! Das ist eine schlimme Entwicklung, die dringend der Korrektur bedarf. Wenn das Sakramentenverständnis erodiert und vom Glauben der Kirche an die reale Gegenwart Christi in der heiligen Eucharistie nur noch ein wie auch immer geartetes Freundschaftsmahl bleibt, dann wächst der Druck, möglichst jeden zur Kommunion zuzulassen. Wir können aber nicht den Glauben der Kirche aufgeben oder anpassen, sondern müssen ihn gerade in dieser Situation mutig, klar und gewinnend verkünden. Bei meiner Intervention während der Weltbischofssynode zur Neuevangelisierung in Rom habe ich zwei Punkte hervorgehoben: Wir müssen die Selbstevangelisierung fördern und die Entsakralisierung stoppen. Dafür hat es viel Zustimmung bei den Synodenteilnehmern gegeben. Ich bin überzeugt: Wenn uns das nicht gelingt, können wir einpacken.
Inwieweit ist ein erneuertes Bewusstsein für die Bedeutung der Eucharistie Voraussetzung für steigende Priesterzahlen?
Wenn ich nicht weiss, was die Eucharistie ist und welchen Reichtum sie beinhaltet, kann ich auch nicht verstehen, was Priestertum bedeutet. Sehen Sie: Heute werden Priester oft nur kritisiert. Ein junger Mann ist von Haus aus ja kein Verzichtsapostel. Der sagt sich, wenn ich ins Priesterseminar gehe, verliere ich an Ansehen, vielleicht sogar Sympathien meiner Familie. Da braucht es schon einen starken Glauben, ein starkes Bewusstsein für die Bedeutung der heiligen Eucharistie, um das überhaupt auf sich zu nehmen. Daher ist es wichtig, dass in der kirchlichen Praxis wieder stärker deutlich wird, was die Eucharistie ist. Damit wird auch klar, warum der Dienst des Priesters durch nichts und niemanden zu ersetzen ist. Priestertum und Eucharistie gehören untrennbar zusammen. Darum müssen wir auch unsere Priester immer wieder dazu führen, täglich zu zelebrieren. Der Priester bleibt nur geistlich gesund, wenn er ein Mann der Eucharistie ist. Sonst geht es nicht. Eine Familie kann einem helfen, menschlich nicht zu verrutschen. Wenn ich aber zölibatär lebe, dann muss ich den täglichen Kontakt mit jenem “Du” pflegen, der Christus ist, der mich erwählt hat. Das geschieht in einzigartiger Weise in der Feier der Eucharistie. Mit der Eucharistie steht und fällt nicht nur der Priester, sondern die Kirche insgesamt.
Die Beichte gilt inzwischen als das vergessene Sakrament. Sehen Sie einen inneren Zusammenhang zwischen dem Bedeutungsverlust der Beichte und dem schwindenden Glauben an das Geheimnis der Eucharistie?
Eine grosse Liebe zum eucharistischen Geschehen und zum Busssakrament gehören zusammen. Wenn wir Priester und auch wir Bischöfe nicht mehr Beichtväter sind, dann trocknet ein Lungenflügel unserer priesterlichen Existenz aus. Und wenn ich selber nicht mehr beichten gehe, dann trocknet der andere Flügel auch noch aus. Dann kann ich als Priester nicht mehr atmen. Wie soll von jemandem geistliches Leben ausgehen, der selber tot ist? Eben weil wir Priester und auch wir Bischöfe zu einem Gutteil Bürokraten und Technokraten geworden sind, ist so vieles geistlich abgestorben. Umso wichtiger ist es, Beichte zu hören.
Der Beichtstuhl als Fluchtweg aus der Bürokratenkirche?
Im Beichtstuhl sitzen ist die beste geistliche Hilfe für einen Bischof genauso wie für jeden Priester. Wenn ich zum Beispiel bei der Jugendgebetsnacht Nightfever bis Mitternacht im Beichtstuhl sitze, fühle ich mich immer wieder reich beschenkt. Da erlebe ich einen jungen Mann oder ein junges Mädchen, die mir in der Nachfolge Christi weit voraus sind. Wenn ich höre, was die schon alles durchgestanden haben, das ist schon rein psychologisch eine solche Glaubensermutigung. Da wird man dankbar und ehrfürchtig vor diesen jungen Menschen. Ich gehe immer glücklicher aus den Beichtstühlen raus, als ich reingegangen bin. Auch beim Eucharistischen Kongress werden wir überall in den Kirchen Beichtgelegenheiten haben. Es wird geistliche Gemeinschaften geben, die Tag und Nacht Anbetung halten und immer Beichtgelegenheiten anbieten. Ich hoffe, dass sich da vieles bewegen wird.
Wie können Priester ihre Pfarreien, wie kann sich jeder Einzelne gut auf den Eucharistischen Kongress vorbereiten?
Am besten durch das tägliche Gebet. Einfach wie Petrus sprechen: “Herr, zu wem sollen wir gehen?” Der Herr wirft sich uns nicht an den Hals. Er liebt uns, aber er achtet unsere freie Entscheidung. Darum sollten wir immer wieder das Petruswort beten: “Herr, zu wem sollen wir gehen?” Und dann würde ich wirklich raten: Die beste Vorbereitung ist, alle vier Wochen zur Beichte zu gehen. Ich spreche aus Erfahrung, ich trete selber alle vier Wochen an. Vor kurzem war ich in Rom beichten. Da sass ein Pater, der wollte mir einreden, dies und jenes bräuchte man nicht beichten. Dem habe ich gesagt: “Pater, ich habe gelernt, dass jeder unter einem persönlichen Gesetz Gottes steht. Das können Sie mir nicht ausreden und nicht einreden. Bitte nehmen Sie mein Bekenntnis zur Kenntnis, geben Sie mir eine saftige Busse und die Lossprechung. Alles Weitere können Sie sich sparen.”
Sie sind Kardinal. Ein einfacher Gläubiger, der sich mit dem Beichten vielleicht ohnehin schwertut, würde sich denken: Na dann halt nicht…
Das Busssakrament ist etwas Wunderbares und eigentlich ganz einfach, leider machen es manche kompliziert. Da wird den Gläubigen alles Mögliche ein- oder ausgeredet. Das ist völliger Unsinn. Ich muss als Beichtvater die Überzeugung des Anderen schät-zen und Ehrfurcht davor haben. Im Beichtstuhl ist der Priester ganz Diener Christi. Die regelmässige Beichte ist für das persönliche geistliche Leben wichtig. Das gilt für alle, in besonderer Weise natürlich für Geistliche. Ich weihe keinen zum Priester, der nicht die letzten fünf Jahre vor seiner Weihe monatlich gebeichtet hat. Das muss den Seminaristen in Fleisch und Blut übergegangen sein.
Warum ist das so wichtig?
Als Priester wird man Vater im Glauben, wenn man die Sakramente spendet und das Wort Gottes verkündet. Die grösste Gabe, die der Vater zu verschenken hat, ist die Vergebung. Wenn ich meinem Vater sage: Steck dir deine Siebensachen an den Hut, ich brauche deine Vergebung nicht, lebe ich aus eigener Initiative. Wenn ich nicht mehr beichten gehe, kündige ich mein Kindsein auf. Ich sage meinen Seminaristen: Als Priester könnte ihr nicht Vater im Glauben sein, wenn ihr selbst nicht mehr Söhne des himmlischen Vaters seid. Aber wie gesagt, die Beichte ist nicht nur für Geistliche von besonderer Bedeutung, sondern ein Geschenk Gottes an alle Gläubigen.
Der Eucharistische Kongress soll zu einem Aufbruch im Glauben beitragen. Wie optimistisch sind Sie, dass es angesichts der schweren Krise der Kirche bald wieder bergauf geht?
Ich halte nichts davon, die Lage schönzureden. Die Kirche steht vor grossen Herausforderungen. Erneuerung wird nur gelingen, wenn wir Jesus Christus in den Mittelpunkt stellen und nichts anderes. Wenn wir die Eucharistie nicht wieder als die Mitte sehen, um die sich alles dreht und von der jede wirkliche Erneuerung ausgeht, ist alle Dialogarbeit vergeblich. Nur der Herr hat Worte ewigen Lebens. Niemand sonst. Tief in mir bin ich überzeugt, dass der Aufbruch schon bald beginnt.
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