Die katholische Liturgie muss orthodoxer werden
Gott und dessen Anbetung wieder in das Zentrum der Messe stellen
Bei einer römischen Tagung der Görres-Gesellschaft fordert Kardinal Kurt Koch, Gott und dessen Anbetung wieder in das Zentrum der Messe zu stellen.
Rom, Die Tagespost, 19. Dezember 2012, von Guido Horst
Mit der Liturgie, wie man sie in den katholischen Kirchen heute feiert, stimmt etwas nicht. So genau gesagt hat das keiner. Aber unterschwellig schwang genau das jedoch mit, als vom vergangenen Freitag bis vorgestern Liturgiewissenschaftler und Theologen, die etwas zur Liturgie zu sagen haben, am römischen Institut der Görres-Gesellschaft auf dem “Campo Santo Teutonico2 im Vatikan zusammenkamen, um sich über römische Reformen gottesdienstlicher Feiern auszutauschen.
Ob der in Freiburg im Breisgau lehrende Dogmatiker Helmut Hoping in der Aussprache nach seinem Vortrag über den Introitus der Messe darüber klagte, dass bei der Zelebration nach dem “Novus Ordo” am Anfang des Gottesdienstes kaum mehr deutlich werde, dass man in die Feier der göttlichen Mysterien eintrete, sondern der Priester eher den Moderator gebe, der die Bedeutung des Themas dieses Sonntags erkläre.
Oder ob Kardinal Kurt Koch, Präsident des päpstlichen Ökumene-Rats, den evangelischen Konzilsberater Max Thurian zitierte, der nach vollbrachtem Werk des vom Konzil gewünschten neuen Messbuchs bei der erneuerten Liturgie “eine problematische Eindimensionalität” festgestellt habe, die vor allem “die kontemplative Dimension der Liturgie vermissen lasse” – immer wieder kam in den Redebeiträgen der Tagung zum Ausdruck, dass die Liturgie heute ein Sorgenkind der katholischen Kirche sein könnte.
“Operation am lebenden Objekt – Roms Liturgiereformen am lebenden Objekt” lautete das Thema des Expertentreffens, das der Direktor des römischen Instituts der Görres-Gesellschaft, der Archäologie-Professor Stefan Heid, organisiert hatte. Heid selber steuerte einen reich bebilderten Beitrag zur archäologischen und kulturhistorischen Bedeutung des Altars bei.
Und wieder die Andeutung eines Mangels: Ob denn die Kirchgänger von heute überhaupt noch wüssten, was ein Altar sei, so Heid. Jedenfalls machte der Fachmann für christliche Archäologie anhand zahlreicher Darstellungen von Altären – allerdings nicht nur christlichen, sondern auch antiken und heidnischen – deutlich, dass es, was den Kirchenraum betrifft, immer eine Vielfalt von Altarformen gegeben habe, vom einfachen Tisch bis hin zum Hochaltar der nachtridentinischen Zeit. Ausschlaggebend, um einen Altar als solchen zu erkennen, sei in der Ikonografie immer gewesen, dass neben dem Altar jemand stehe, der auf dem Altar opfere. Also nicht auf “das Möbel” kommt es an, sondern auf die Opferhandlung. Wobei dann zu fragen wäre, ob die Gläubigen von heute durchweg erklären können, was der Opfercharakter des sogenannten Messopfers ist.
Es war ein buntes Feuerwerk an präzisen liturgiewissenschaftlichen Erkenntnissen, das die Referenten des viertägigen Fachgesprächs zu bieten hatten, etwa der in Regensburg und New Haven lehrende Theologe Harald Buchinger, der über die Reformen der Osternachtfeier im Verlauf der Jahrhunderte sprach.
Harm Klueting, zunächst evangelischer Forscher, 2004 dann zur katholischen Kirche konvertiert und seit 2011 Priester der Erzdiözese Köln, hielt einen brillanten Vortrag zur katholischen Aufklärung und deren Auswirkungen bis in die Zeit des Zweiten Vatikanums hinein. Der Kunsthistoriker Christian Hecht sprach über das tridentinische Rom und die Bilder im Kirchenraum. Was dem Nicht-Liturgiker und Zaungast bei dieser Tagung jedoch auffiel, war die grosse Differenz, die zwischen dem hohen Expertenwissen besteht, das diese Fachleute für Liturgiefragen auszeichnet, und der liturgischen Plattheit, mit der man heute vielerorts Gottesdienste feiert – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien. Ausführlich referierte Helmut Hoping über den Introitus der katholischen Messe und das heute nur noch in der ausserordentlichen Form des römischen Ritus vorgesehene Stufengebet. Der Eintritt in ein heiliges Mysterium. Das hatte alles Sinn und eine in Jahrhunderten fein herausgefilterte Bedeutung. Doch man würde die akademischen Liturgiker gerne fragen, ob sie bei ihren Fachkongressen nicht wie jemand sind, der im Keller das Tafelsilber putzt, während oben der Dachstuhl brennt. Wer an einer der heute üblichen Gemeindemessen teilnimmt, wo der Priester eher der Moderator einer sonntäglichen Sing- und Feierstunde ist, erkennt von dem kaum etwas wieder, was “kosmische Liturgie” sein soll, von der Papst Benedikt spricht.
Auch wenn er seinen Beitrag bescheiden als “Ouvertüre” getarnt hatte, sprach Kardinal Koch in seinem Eröffnungsvortrag am Freitagabend genau diese Frage an. Es war vielleicht der fulminanteste Vortrag des Expertentreffens, weil er unverdächtig “die römischen Liturgiereformen in ökumenischer Perspektive” thematisierte – was sollte da schon kommen? –, aber dann doch die Kernfrage des liturgischen Verfalls nach dem Zweiten Vatikanum aufspiesste. Ganz nach der Art der Päpste, die wichtigste Botschaft immer in den vorletzten Abschnitt der Ansprachen oder Predigten zu packen, brachte Koch den zentralen Aspekt seiner Gedanken im vorletzten Abschnitt seines Referats zum Ausdruck – und zwar in Form einer Legende. Weil sie so schön und aufklärend ist, sei sie hier vollständig zitiert:
“Die ökumenische Dimension einer heutigen liturgischen Erneuerung lässt sich vielleicht am sinnvollsten anhand einer alten Legende über den Ursprung des Christentums in Russland verdeutlichen. Diese Legende erzählt, Fürst Wladimir von Kiew sei auf der Suche nach der rechten Religion für sein Volk gewesen. Der Reihe nach hätten sich deshalb die aus Bulgarien kommenden Vertreter des Islam und des Judentums und Abgesandte des Papstes aus Deutschland vorgestellt, die ihm jeweils ihren Glauben als den rechten und besten angeboten haben. Bei allen diesen Angeboten aber sei der Fürst unbefriedigt geblieben. Sein Entscheid sei erst gefallen, als seine Gesandten von einem feierlichen Gottesdienst zurückgekehrt waren, an dem sie in der Sophienkirche in Konstantinopel teilgenommen hatten. Voller Begeisterung hätten sie nämlich dem Fürst berichtet: ,Und wir kamen zu den Griechen und wurden dorthin geführt, wo sie ihrem Gott dienen… Wir wissen nicht, ob wir im Himmel oder auf Erden gewesen sind… Wir haben erfahren, dass Gott dort unter den Menschen weilt.”
Die Legende vom liturgischen Ursprung des russischen Christentums, so Koch, weise auf die geschichtliche Tatsache hin, dass die innere Kraft der Liturgie bei der Ausbreitung des Christentums eine wesentliche Rolle gespielt habe. Dies treffe in besonderer Weise auf die byzantinische Liturgie zu, die die fremden Besucher und Gottsucher in den Himmel versetzt habe.
Mit der erzählten Legende, so der Kurienkardinal weiter, solle keineswegs der göttlichen Liturgie der orthodoxen Kirchen ein Primat zugesprochen werden. Aber gerade in ökumenischer Sicht müsse die Liturgie der Kirche im ursprünglichen Sinn des Wortes orthodoxer werden, als das darin enthaltene Wort “doxa” in erster Linie nicht “Meinung”, sondern “Herrlichkeit” bedeute, sodass unter “Orthodoxie” die rechte Weise, Gott zu verherrlichen, zu verstehen sei. Mit diesem “Lernen der rechten Weise der Anbetung” aber stehe und falle die Liturgie, und zwar im wörtlichen Sinn: “Dort, wo die liturgische Anbetung des dreieinen Gottes verfällt, kann die Kirche nicht mehr wirklich als Gemeinschaft im Glauben wahrgenommen werden und hätte jede Liturgiereform ihr Ziel verfehlt. Nur wenn die Blickrichtung aller Liturgie auf Gott und seine Anbetung zielt und deshalb zunächst als Opus Dei, als Handeln Gottes selbst, verstanden und vollzogen wird, sind Kirche und Liturgie im Lot. Die orthodoxe Feier der Liturgie erweist sich insofern als innerster Kern einer wahren Liturgiereform und von daher einer glaubwürdigen Erneuerung der Kirche.”
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