Eröffnung Glaubensjahr – Konzilsjubiläum

Homilie Bischof Vitus Huonder, Kathedrale, Chur,  11. November 2012

Brüder und Schwestern im Herrn,

der Hebräerbrief erinnert uns im eben gehörten Abschnitt ans Ende der Zeiten. Er meint damit das Kommen Christi in diese Welt, seine Geburt, sein Leben unter uns, ganz besonders aber sein erlösendes Leiden und Sterben:

“Jetzt aber ist er am Ende der Zeiten ein einziges Mal erschienen, um durch sein Opfer die Sünde zu tilgen” (Hebr 9,26). Das Ende der Zeiten ist demnach die Zeit der Menschwerdung Christi, die Zeit, da sich die Verheissungen des Alten Bundes in der Geburt Christi erfüllen.

Das bedeutet: Die Zeit der Verheissung hat ein Ende genommen, eine neue Zeit ist angebrochen, die Zeit des versprochenen Heils. Mit der Menschwerdung Christi ist die Heilsgeschichte an ihr Ende, das heisst – anders, als wir das üblicherweise verstehen – zu ihrer Erfüllung gekommen. Das ist hier mit dem Ende der Zeiten gemeint: Die Zeit der Erfüllung.

Diesem “Ende der Zeiten” wird die Wiederkunft Christi gegenüber gestellt. So hält der Hebräerbrief fest: “… beim zweitenmal wird er nicht wegen der Sünden erscheinen, sondern um die zu retten, die ihn erwarten” (Hebr 9,28). Wir leben somit zwischen dem Ende der Zeiten und dem zweite Erscheinen unseres Herrn. Wir leben in einer Zwischenzeit, in einer Zeit des Übergangs.

Es ist die Zeit, wiederum mit Bezug auf den Hebräerbrief, da Christus “in den Himmel selbst hineingegangen” ist, “um jetzt für uns vor Gottes Angesicht zu erscheinen” (Hebr 9,24). Mit diesem “Jetzt” betont der heilige Paulus die Gegenwart, das Heute, einerseits gegenüber dem Vergangenen, nämlich dem Sühnesterben unseres Herrn, anderseits gegenüber dem Zukünftigen, nämlich dem Kommen des Herrn zu unserer Errettung. So wissen wir, dass der Herr auch heute für uns vor Gottes Angesicht lebt. Dieses “Heute” ist wichtig. Christus lebt heute vor Gottes Angesicht, um für uns dazusein, um für uns einzutreten, um uns auf das vorzubereiten, was kommen wird.

Wir leben in diesem “Jetzt”, in dieser Jetzt-Zeit

Uns an dieses “Jetzt”, diese Jetzt-Zeit zu erinnern, uns dieses “Jetzt” bewusst zu machen und uns für das Leben in diesem “Jetzt” zu stärken, war die Absicht des Zweiten Vatikanums.

Papst Johannes XXIII., welcher das Konzil einberief, hat es mit dem Ausdruck “aggiornamento” umschrieben. In sich heisst “aggiornare” “auf dem laufenden halten”, “auf den letzten Stand bringen”. Es kann auch heissen “Tag werden”. Entsprechend ist das Substantiv “aggiornamento” zu deuten. Das Konzil sollte die Gläubigen “auf dem laufenden halten”. Sie sollten nicht in der Vergangenheit stehen bleiben, nicht einer Vergangenheit nachtrauern und nicht das Licht des Glaubens ausgehenlassen. Sie sollten den Glauben weitertragen, in die Gegenwart,in die Zukunft. In diesem Sinn war das Konzil nicht ein Schlag gegen die Vergangenheit, im Gegenteil, es sollte helfen, den ererbten Glauben, den immer gültigen Glauben weiterzugeben, ihn eben nicht erlöschen zu lassen, ihm neue Nahrung zu geben, damit er der Welt, den Menschen auch in Zukunft das Licht Gottes erhalte, wie sich die  Lebensumstände sowie Lebensgewohnheiten auch immer gestalten und entwickeln werden.

Nach dem ersten Kommen Christi, nach seinem Kommen in Menschengestalt, lebt der Christ in dieser Welt immer in der Jetzt-Zeit. Denn er weiss den Herrn für uns, für unser Heil ständig – jetzt – vor Gottes Angesicht stehend: “Christus ist nicht in ein von Menschenhand errichtetes Heiligtum hineingegangen, in ein Abbild des wirklichen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt für uns vor Gottes Angesicht zu erscheinen” (Hebr 9,24).

Deshalb dieses Glaubensjahr!

Dieses “Jetzt” müssen wir Tag für Tag neu entdecken und unseren Glauben immer wieder beleben. Deshalb dieses Glaubensjahr! Dieses Bewusstsein, dass Christus jetzt für uns da ist, müssen wir bewahren, und daraus das Selbstbewusstsein, das christliche Selbstbewusstsein entwickeln, das Bewusstsein, dass wir mit unserem Glauben der Welt auch heute etwas zu sagen haben, zur wahren Freiheit, zum wahren Glück, zur wahren Erfüllung des Menschseins und zum Heil der Seelen. Wir sollen nicht immer die Kirche anklagen und beklagen und ein Minderwertigkeitsgefühl pflegen und beweinen, nein, wir sollen durch eine positive Glaubenshaltung und Glaubensverkündigung und durch ein frohes Glaubenszeugnis das Licht Christi leuchten lassen, ins Heute hinein leuchten lassen – bis er, Christus, das zweitemal kommt, “um die zu retten, die ihn erwarten” (Hebr 9,28).

Amen

Quelle
Très Riches Heures

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