Der Konzilstheologe
Gesammelte Schriften Band 7
Es ist ein unerschütterlicher Teil des Mythos um Joseph Ratzinger, dass er als junger Theologe liberal gewesen sei, durch die 68er Revolution erschüttert und dann nach Regensburg und zu den Konservativen gewechselt sei.
Jetzt liegt ein Buch in zwei Bänden vor, in dem man das – theologisch – überprüfen kann, wenn man sich seine Vorurteile denn infrage stellen lassen will. Joseph Ratzinger – Gesammelte Schriften Band 7. Hier geht es um das Konzil, die Vorbereitunsdokumente, Korrekturvorschläge, Redeentwürfe und Beiträge zu den Debatten, und es geht um die Konzilsrezeption durch den Theologen in den Jahren und Jahrzehnten danach.
Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, Nachfolger Ratzingers als Präfekt der Glaubenskongregation, stellte das Buch gestern – Mittwoch – in Rom vor. Müller liest im Denken Ratzingers eine Linie, die im Wirken und Sprechen des Papstes in der Formulierung der “Hermeneutik der Reform” angekommen sei. Er wendete sich in deutlichen Formen gegen die Bruch-Theorie, und zwar in ihren beiden Ausprägungen: Sowohl diejenigen, die das Zweite Vatikanum nicht anerkennen, als auch diejenigen, die nur dieses Konzil anerkennen wollten, lägen falsch.
“In der Phase der Rezeption erinnert er [Ratzinger] immer wieder daran, das Konzil an seiner eigenen Intention zu messen und zu verstehen. In der vielbeachteten Ansprache an die römische Kurie vom 22. Dez 2005 betont Papst Benedikt XVI. diese Hermeneutik der Reform und der Wahrung der Kontinuität gegenüber einer Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches.
Das betrifft sowohl diejenigen, die hinter das Konzil zurück wollen, wie auch diejenigen, die es hinter sich lassen wollen. Das kommt auf das gleiche raus. Es sind zwei Ideologien, die eine sagt, dass die Tradition irgendwann aufgehört hat und davon bedeutet das Konzil eine Abweichung, während die andere Seite sagt, dass das Konzil eigentlich nur ein Schritt auf dem Weg zur einer anderen Kirche ist, in dem der ganze Bauplan und das ganze Fundament verändert wird, an dessen Ende eben nicht mehr die katholische Kirche in ihrer geschichtlichen und ihrer Offenbarungsidentität gehört.
Deshalb sage ich: Diese beiden Extreme müssen vermieden werden, sie sind sowohl wissenschaftlich als auch lehramtlich nicht haltbar. Es ist nicht nur eine einzelne Stimme in der Theologie, die von einer Hermeneutik der Reform und der Wahrung der Kontinuität spricht, sondern das ist die lehramtlich verbindliche Deutung des Konzils und wer sie nicht akzeptieren will, verlässt den Boden des katholischen Glaubens.
Ich zitiere Joseph Ratzinger: ‚Es ist unmöglich, sich für das Vatikanum Zwei und gegen Trient und Vatikanum Eins zu entscheiden, es ist ebenso unmöglich, sich für Trient und Vatikanum Eins, aber gegen das Vatikanum Zwei zu entscheiden.’ Hier ist alles gesagt.“
Joseph Ratzinger war und ist ein Konzilstheologe, den “Geist des Konzils” oder aber das “nur-Pastoralkonzil” gegen ihn ausspielen zu wollen, hat theologisch weder Hand noch Fuss.
Und – zu meiner ganz besonderen Freude – zeigt es auch einmal mehr, wie unsinnig die Trennung liberal/progressiv/modern auf der einen und konservativ/traditionell auf der anderen Seite geworden ist. Etwas mehr Mühe sollten wir uns in unseren Urteilien schon machen, zum Beispiel durch die Lektüre von Büchern wie dem vorgestellten.
Quelle
Joseph Ratzinger: Gesammelte Werke
Zur Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils
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