Gewissen, Glaube, Religion:
Wandelt sich die Religionsfreiheit?
Ist die Religionsfreiheit in Gefahr oder ist sie gefährlich? Diese Frage ist weit mehr als ein Problem für Juristen: In ihr spiegelt sich das Selbstverständnis unserer Gesellschaft. Westliche Gesellschaften sind in eine Schweblage der Uneindeutigkeit geraten. Die Säkularisierung geht weiter, ebenso wie die Individualisierung der Lebensstile; zugleich mehren sich Rufe nach neuer Sittlichkeit und regt sich eine religiöse Suche nach Lebenssinn. Allerdings brechen auch überwunden geglaubte Muster des Fundamentalen wieder hervor, bei Frommen wie Agnostikern, kehren gescheiterte Rezepte der Wirklichkeitsflucht wieder. Die Gesellschaft verliert ein gutes Stück ihrer ideellen Mitte, sieht sich zerklüftet in parallele, aber sprachlos nebeneinander stehende Sozialräume.
Wir stossen wieder auf alte Fragen in neuen Zuspitzungen: Beamtinnen, die ihr Haupt unbedingt verhüllen wollen, junge Männer, die ihre eigene Schwester verstossen oder sogar töten, weil sie die Familienehre verletzt sehen, die aggressive Wut gegen Karikaturen, die religiöse Gefühle verletzen können, die Suche nach neuer Spiritualität in fernöstlichen Religionen, die neuen weltlichen Formen der Askese im Trainieren und Pflegen des eigenen Körpers, das Wiederaufleben schon totgesagter kirchlicher Gemeinden inmitten einer allgemeinen Erosion des Gemeindelebens.
Zu den Kinderkrankheiten der Aufklärung gehört die rigide Ablehnung der Religion. Man kann aber Glauben respektieren ohne ihn zu teilen, man kann auch an Gott und Vernunft zugleich glauben, wenn man ein Bild unserer Kultur gewinnt, das mehr als nur eine Dimension besitzt. Mit einem solchen Bild wächst vielleicht auch die Einsicht, dass unsere Rechts- und Werteordnung zwar alles andere als religiös durchsetzt und keine Spur theokratisch ist, aber sie doch eine historische Erfahrung der gemeinsamen Entwicklung von weltlicher Herrschaft und religiösem Glauben verkörpert. Der Verfassungsstaat zeigt eine wohlwollende Neutralität, wenn sich Glaube und Gewissen eigensinnig entfalten, solange sie nicht den gemeinsamen Boden einer liberalen Rechts- und Verfassungsordnung verlassen. Dort, wo allerdings die Wertegrundlagen der Freiheit und die Achtung vor der Würde des Menschen verneint und bekämpft werden, enden die Toleranz und das Wohlwollen, ohne dass man deshalb gleich in den Habitus einer martialischen Feindbekämpfung fallen müsste.
(Aus dem Vorwort) Udo Di Fabio ist Verfassungsrichter, Professor für Öffentliches Recht und Autor des Buches Die Kultur der Freiheit.
Pressestimmen
…ein griffiges, auf jeder Seite zu Nachfrage und Gegenrede anregendes Buch… Einen eloquenteren und klügeren Verteidiger als Udo Di Fabio wird der Glaube heute in diesem Land nicht finden. (Patrick Bahners, FAZ, 15. Oktober 2008)
Über den Autor
Udo Di Fabio, geb. 1954, Verfassungsrichter, Professor für öffentliches Recht, Buchautor
Rezension: amazon (2)
Aus berufenem Mund
12. Januar 2009, von Sagittarius
“In seinem aktuellen Buch “Gewissen, Glaube, Religion – Wandelt sich die Religionsfreiheit? fragt Udo Di Fabio nach den Grenzen des Rechts. Und danach, wer denn sonst die dringend benötigten Werte für eine Gesellschaft liefern kann. Die Antwort des Verfassungsrichters überrascht: die Religion. Gerade das Christentum ist für Di Fabio, ganz im Sinne von Papst Benedikt XVI., ein Glaube, der durch den Schmelztiegel der Vernunft gegangen ist. Er anerkennt die historische Leistung der Aufklärung, aber er erwartet auch von der Aufklärung die Einhaltung bestimmter Grenzen. Die Freiheit des Einzelnen reicht nicht, um eine Gemeinschaft zusammenzuhalten. Liebe, Vertrauen, Demut, das alles gehört in die Welt des Glaubens.”
Di Fabio spricht in seinen Vorträgen die so bedeutende Frage nach dem Zusammenleben von Staat und Glauben an.
Ein uraltes Problem: dem Kaiser geben, was des Kaisers ist… aber was ist des Kaisers? Dass alle Kinder zum Sportunterricht müssen, dass man seinen Beruf aufgeben muss, wenn man aus Gewissensgründen keine Waffe tragen kann,dass man nicht mit einem Kopftuch in der Schule erscheinen darf, wenn man Lehrerin sein will ?
Diese und andere Fragen stellen sich in einem Staat, der weltanschaulich neutral antreten wollte, sich der Herausforderungen durch Religion und Weltanschauung aber nicht bewusst war. Wirkliche Gegengesellschaften stellten die Religionsgemeinschaften nicht dar, im Gegenteil waren Staat und Kirche jahrhundertelang Arm in Arm gegangen. An Fundamentalisten, die in einer Paralellgesellschaft leben und leben wollen, dachte man nicht. Wo ist die Grenze zu ziehen ? Di Fabio meint, die Grundlage müsse sein, dass der Mensch mit seiner Würde im Mittelpunkt stehe.
Das ist durchaus nachvollziehbar; man muss aber inkauf nehmen, dass damit das mögliche Spektrum von Weltanschauungen und Religionen beschränkt wird, denn dieses weltliche Konzept ist keinesfalls allen Weltanschauungen eigen. Angesichts der Globalisierung, auch der Informationen, wird deutlich, dass es auf dieser Welt auch ganz andere Sinn-Konzepte gibt.
Man muss nicht an den fundamentalistischen Islam allein denken, sondern an alle östlichen Lehren, die Grösseres im Blick haben, als den einzelnen Menschen.
Der Vielfalt gerecht zu werden und den Zusammenhalt einer Gemeinschaft nicht zu gefährden ist die schwierige Gratwanderung.
Die Vorträge von di Fabio geben dazu wichtige Grundlage, dieses Terrain zu erkunden.
Gewissen, Glaube, Religion
Autor: Udo Di Fabio
Gebundene Ausgabe: 180 Seiten
Verlag: Berlin University Press; Auflage: 2. Auflage (23. Februar 2009)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3940432261: amazon
Taschenbuch: amazon
Religionsfreiheit für alle
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