Es ist kein Märchen aus 1001 Nacht

Die bedrängte christliche Minderheit schöpft aus dem Libanon-Besuch des Papstes neue Kraft

Aber auch viele Muslime sind stolz auf die historische Reise in einer gefährlichen Zeit. Von Paul Badde/Die Welt aus Beirut

Beirut, kath.net/DieWelt, 16. September 2012

Beirut ist kaum wieder zu erkennen. Die flimmernde Metropole hat fast keine Ähnlichkeit mehr mit der rauchenden Hölle aus der Zeit des Bürgerkriegs. Hochhaustürme glitzern vor der Uferpromenade. Glocken läuten. In der Ferne ruft ein Muezzin. Für die Gäste aus Rom ist es, als sei der Sommer noch einmal für einige Tage zurückgekommen.

Der Verkehr und das Hupen unter dem Fenster reissen die ganze Nacht kaum ab. Techno-Musik dröhnt aus einer nahen Disco. Hinter der St. George Bay ragt der Libanon empor, hinauf zu den letzten Zedernwäldern in der Höhe, an denen vorbei die alte Staatsstrasse nach Damaskus geht. Containerschiffe gleiten draussen auf Beirut zu. Im Yachthafen könnte man von Deck zu Deck der eleganten Boote springen. In den Restaurants zeigt sich die sinnenfreudige Stadt, als hätte man hier die Schminke erfunden.
Vor dem Hotel eine Bronze-Statue, wo man Rafik Hariri in die Luft gejagt hat. Sonst ist kein Splitter, keine verkohlte Fensterbank, nichts übrig von dem Attentat, das den Libanon vor Jahren noch einmal umgepflügt hat. Betonklötze der alten Road-Blocks stehen hier und da noch neben der Strasse, als könnten die Absperrungen morgen wieder aufgerichtet werden. Ansonsten: Frieden. Alle Kriege weit weg, so lange man keinen Fernseher einschaltet.

Am Schluss scheint der Papst um Jahre verjüngt

Das wird sich der Papst in diesen Tagen erspart haben, der sich dennoch keine Illusionen macht. Es ist kein Märchen aus 1001 Nacht, durch die seine Reise wie ein Triumphzug führte. Er hängt keinen Träumen nach, auch wenn er die schönsten Hügel um Beirut besucht, von Harissa bis Baabda bis Bkerké, in einem wahren Begegnungsmarathon, als hätten hier alle seit Jahren auf ihn gewartet.
Die lokalen Medien überschlagen sich über seinen “historischen” und “glorreichen” Besuch in gefährlicher Zeit. Dass er das überhaupt gewagt hat! Er winkt den Menschen auch dann noch zu, wenn ihm schon längst der Arm abfallen müsste. Hin und wieder zieht er wie zum Gruss die Brauen hoch, als hätte er in der unübersehbaren Menge jemanden erkannt.

Er lächelt, er wirkt abgemagert, am Schluss scheint er um Jahre verjüngt. “Babba Jallah!” leuchtet es ihm in vielen Plakaten entgegen. So würden viele Libanesen wohl auch ein Rennpferd anfeuern, dem sie den Sieg wünschen.

Deutliches Plädoyer für Ende der Gewalt in Syrien

Er wird beschützt, wie man einen Menschen nur schützen kann, doch zur Abschlussmesse am Sonntagmorgen vor dem Meer bietet er sich vor tausenden von Fenstern in den nahen Hochhäusern an der Bucht wehrlos wie auf einem Präsentierteller an, als er in seiner letzten Predigt an “die Geburtsstunde der Kirche” am Kreuz im nahen Jerusalem und an den “leidenden Messias” erinnert.
“Flehen wir um das Geschenk des Friedens für die Einwohner Syriens und der Nachbarländer!” ruft er danach in seinem letzten grossen Gebet in Beirut. “Leider ist das Dröhnen der Waffen weiter zu hören und die Schreie der Witwen und Waisen! Gewalt und Hass werfen sich über das Leben. Frauen und Kinder sind die ersten Opfer. Warum so viele Gräuel? Warum so viele Tote? Wer Frieden will, muss aufhören, den anderen als ein Übel anzusehen, das zu beseitigen ist. Gott gebe eurem Land, gebe Syrien und dem Nahen Osten das Geschenk des Friedens der Herzen, das Schweigen der Waffen und das Ende jeder Gewalt!”

Leidenschaftliche Verteidigung der Bekenntnisfreiheit

Maria, der Mutter Jesu, der Himmelskönigin und “Zeder des Libanon” (von der viele Libanesen überzeugt sind, dass sie schon im Hohenlied der Juden in den schönsten Tönen besungen wurde), weiht er zum Abschied die geprüften Länder zwischen der Küste und der Wüste, “für ein einträchtiges Leben unter Brüdern, welcher Herkunft und welcher religiöser Überzeugung auch immer sie sind”.

In den Tagen davor hatte er sich unermüdlich an die wichtigsten Exponenten des Landes gewandt, den Präsidenten, die Patriarchen, an Christen wie an die Muslime, um ihnen in einer einzigen Strapaze das Hauptanliegen dieser Reise ans Herz zu legen: seine leidenschaftliche Verteidigung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit zum Wohl jeder Gesellschaft. Der Libanon habe dies doch unter schwierigsten Bedingungen so lange wie kein anderes Land des Orients unter Beweis gestellt!

Er übergibt den versammelten Bischöfen des Nahen Ostens ein am Freitag hier unterzeichnetes Schreiben, das vielleicht einmal als Schlüsseldokument seines Pontifikats gelten wird, in dem er in einem Zeitalter bedrohlicher neuer Uniformierungen prophetisch für den Libanon als Modell für die Vielfalt des Orients wirbt, von dem die gesamte Kirche, Europa und der Rest der Welt so unendlich viel lernen könnten. Und natürlich so bald wie nur irgendwie möglich alle engen und entfernten Nachbarn des Zedernstaates.

“Brüderlichkeit ist eine Vorwegnahme des Himmels”

Am gelöstesten aber schien er am Abend davor, als er vor dem Palais der Maroniten in Bkerké zwischen Ölbäumen und Pinien auf die Jugend traf, Christen wie Muslime, Libanesen, Syrer und Irakis, in einem Meer weiss wehender Fahnen, in analogem Kontrast zu den züngelnden Flammen im Rest des Orients. Jugend, so weit das Auge reichte. In der Ferne das Meer, dahinter die Ewigkeit. Die Seele des Nahen Ostens.

Ein hoffnungsvolleres Bild hat die Welt in den letzten Tagen in keiner anderen Metropole der orientalischen Welt gesehen. Das Gesicht des Papstes in der Abendsonne. “Liebe Freunde!” rief er der Jugend ein ums andere Mal zu. Er flehte sie an, nicht den “bitteren Honig” der Emigration zu kosten, und die Entwurzelung um einer ungewissen Zukunft willen. Er rief sie zur Furchtlosigkeit und einer “Revolution der Liebe” auf – “im hellen und anspruchsvollen Licht des Kreuzes”.
Keine Frustration möge sie dazu verleiten, “in Parallelwelten zu flüchten, zu Drogen jeder Art oder in die schäbige Welt der Pornographie”. Er warnte vor den Gefahren der Verirrung zwischen der realen und virtuellen Welt.

Er grüsste die syrischen Flüchtlinge, er grüsste die Muslime. “Ihr seid zusammen mit euren christlichen Altersgenossen die Zukunft dieses wunderbaren Landes und des gesamten Nahen Ostens. Es ist Zeit, dass Muslime und Christen sich vereinen, um der Gewalt ein Ende zu setzen. Brüderlichkeit ist eine Vorwegnahme des Himmels!”

Er hinterlässt keine heile Welt

Es ist sein Adieu. Er kam nicht als Zauberer in den Zedernstaat und lässt hier keine heile Welt hinter sich, auch kein Wunder. Dennoch hat der kleine Mann in Weiss das Land mit einer frischen Zufuhr von Hoffnung und Selbstvertrauen versorgt, gewiss die wohl notwendigste Ressource für die Zukunft der orientalischen Christen. Und mit der Gewissheit, dass die Kirche die Agentin keiner einzigen Grossmacht dieser Erde ist. Sie ist hier Leidtragende.

Für seine immer kleineren Schritte, die er immer zielstrebiger geradeaus macht, ist ihm nun ein Gehstock mit einem schönen Elfenbeingriff geschenkt worden. Es rührt zu sehen, wie er damit umgeht.
Denn er stützt sich nicht wirklich darauf, das kann er noch gar nicht. Er trägt den Stock eher vor sich her. Offensichtlich weiss er noch gar nicht, wie und was das ist: am Stock zu gehen.

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