Der Libanon verneigt sich vor dem Papst

Aus Kreuz und Auferstehung, Trauer und Freude ist das Christentum entsprungen

Die Tagespost, 17. September 2012

Im Nahen Osten ist dies bis heute spürbar. Während in Syrien Menschen durch den schrecklichen Bürgerkrieg sterben, jubeln Hunderttausende dem Heiligen Vater im Land der Zedern zu. Von Oliver Maksan

Die “Sehnsucht nach Frieden und Versöhnung” vor aller Welt bezeugen: Benedikt XVI. erinnerte die Jugendlichen bei seiner Begegnung in Bkerke daran, Friedensstifter zu sein.

In seiner ganzen faszinierenden Schönstatt zeigt sich der Nahe Osten: Mystische Tiefe, jahrhundertealte Vielfalt christlichen Glaubens und nicht zuletzt ausgelassene Fröhlichkeit machten die Tage des Besuchs Papst Benedikts im Libanon zu einer Ahnung dessen, was die Heiligen Länder des Christentums sein könnten – wären ihnen Frieden und Sicherheit vergönnt. Bei strahlendem Sonnenschein versammelten sich Hunderttausende um den Stellvertreter Christi, jubelten ihm auf Strassen und Plätzen zu. Der ganze bunte Reigen orientalischen Christentums – Patriarchen, Bischöfe, Mönche, Gläubige – zeigte: Der Glaube ist an seiner Wiege lebendig, er lebt, lacht, feiert. Und doch: Nur wenige Kilometer entfernt, im Nachbarland Syrien, ging derweil das Sterben weiter.

Papst Benedikt empfand diesen Widerspruch von Freude und Leiden wohl sehr stark. In seiner Rede am Samstagmorgen im Präsidentenpalast versuchte er ihn als Mittel der göttlichen Erziehung zum Frieden aufzulösen: “Warum hat Gott diese Region erwählt? Warum ist sie solchen Stürmen ausgesetzt? Gott hat sie, so scheint mir, als Beispiel ausgewählt, damit sie vor der Welt bezeugt, welche Möglichkeiten der Mensch hat, um seine Sehnsucht nach Frieden und Versöhnung konkret zu leben!”

Den Auftakt der Reise bildete die Unterschrift des Papstes unter das Apostolische Schreiben “Ecclesia in Medio Oriente”. Hoch über dem Meer, in Harissa, versammelten sich Patriarchen und Bischöfe am Freitagabend in der griechisch-katholischen Pauluskirche neben dem christlichen Herzen des Landes, dem Heiligtum Unserer Lieben Frau vom Libanon. Der Hausherr, der melkitische Patriarch Gregorios III., verzichtete in seiner Begrüssungsansprache darauf, den Papst zur Anerkennung Palästinas zu bewegen. Eine versehentlich veröffentlichte Version der Grussadresse hatte dies zwei Wochen zuvor noch gefordert. Von solcher diplomatischer Last befreit wirkte die Feier, während der das Dokument unterzeichnet wurde, fast intim. Aus den für lateinische Ohren fremd klingenden Gesängen der östlichen Liturgien sprach eine gewisse Traurigkeit. Wahrscheinlich hatte dies mit dem Fest der Kreuzerhöhung zu tun, auf das der erste Tag der Reise sinnigerweise fiel. Der Papst wählte dieses liturgische Gedenken denn auch zum Gegenstand seiner Predigt. Schon hier kündigte sich der Akkord von Ernst und Zuversicht, Trauer und Freude an, der die ganze Reise durchziehen sollte: “Es besteht ein unlösliches Band”, sagte er, “zwischen Kreuz und Auferstehung, was der Christ nicht vergessen darf. Ohne dieses Band würde “das Kreuz erhöhen” bedeuten, das Leiden und den Tod zu rechtfertigen und in ihnen nichts als ein fatales Ende zu sehen. Für den Christen heisst “das Kreuz erhöhen”, “an der Ganzheit der bedingungslosen Liebe Gottes zum Menschen teilzuhaben.”

Diesem geistlich strengen Beginn folgte anderntags die Begegnung mit der Jugend in Bkerke, der Residenz des maronitischen Patriarchen. Der Gedanke, dass das Christentum des Nahen Ostens angefochten sein könnte, manchenorts gar tödlich bedroht, schien in der heiteren, ja ausgelassen fröhlichen Stimmung Bkerkes denkbar fern. Wieviel Ermutigung wohl die Bischöfe aus dem geschundenen Irak beim Anblick der 25 000 empfangen haben mochten? Frieden und Freude waren an jenem Abend geradezu physisch spürbar. Die untergehende Abendsonne tauchte den Platz in ein warmes Licht. Das endlose Meer, der Duft von Pinien und Feigenbäumen: Hier von einer Revolution der Liebe zu sprechen, die Jugendlichen an ihre Berufung als Friedensstifter zu erinnern, fiel nicht schwer. Doch auch hier vergass der Papst nicht, der leidenden Brüder zu gedenken. “Ich habe erfahren, dass unter uns auch junge Menschen sind, die aus Syrien kommen. Ich möchte euch sagen, wie ich euren Mut bewundere. Sagt es bei euch, in euren Familien und unter euren Freunden weiter, dass der Papst euch nicht vergisst.”

Die junge Ordensfrau Maria, eine Barmherzige Schwester, war mit einigen Jugendlichen aus Damaskus angereist, etwa 150 Kilometer Luftlinie von Bkerke entfernt. “Wir habe das Risiko nicht gescheut, hierher zu kommen, um unserem Papst nahe zu sein”, sagt sie. “Er bestärkt uns, trotz des Hasses, der unsere Heimat gerade verwüstet, nicht aufzuhören zu lieben.!” Ihre Fröhlichkeit scheint ihr angesichts des Leidens in ihrer nahen Heimat fast peinlich. Etwas rechtfertigend fügt sie hinzu: “Heute wollen wir mit dem Papst fröhlich sein. Zum Traurig-Sein haben wir Syrer noch Gelegenheit genug.”

Höhepunkt der Papstreise war indes die Messe am Sonntag in Beirut. 350 000, grosszügigere Schätzungen sprachen von bis zu 500 000 Gläubigen, versammelten um den Stellvertreter Christi. Aus allen Ländern des Orients, wo Christen leiden, waren sie herbeigeeilt: aus Ägypten, dem Irak, aus Syrien, um mit dem Papst das Kreuzesopfer Christi zu feiern. Zu beiden Seiten des Papstes standen die vier katholischen Patriarchen des Libanon am Altar: der Maronit, geistlicher Führer von etwa 25 Prozent der Bevölkerung, der griechisch-katholische, Oberhaupt der zweitgrössten katholischen Konfession des Landes, der syrisch-katholische und der armenisch-katholische Patriarch. Einem antiken Mosaik gleich lagen sie in ihren prächtigen Gewändern wie schimmernde Steine um den Papst als einer hell leuchtenden Mitte. Bis aus dem Iran waren die Bischöfe der Region angereist, um das Apostolische Schreiben “Ecclesia in Medio Oriente” entgegenzunehmen.

Doch auch viele Gläubige nahmen weite Wege auf sich. Wie Carole. Sie ist lateinische Christin und gehört dem Neokatechumenalen Weg an. 80 Leute sind mit ihr nach Beirut gekommen. Mit Liedern zur Gitarre verbreiten sie fröhliche Stimmung. Auf die Probleme in ihrer Heimat angesprochen, meint sie: “Wir bemühen uns durch unsere geistliche Gemeinschaft sehr um einen guten Kontakt zu den Muslimen. Es gibt sehr schöne Beispiele dafür. Das Problem sind aber die Fundamentalisten. Wir sind nicht naiv zu meinen, sie überzeugen zu können. Aber vielleicht gelingt ja irgendwie eine Koexistenz. Das ist es, was Jesus versuchen würde.” Zeichen der Hoffnung sieht sie darin, dass Islamisten mit Führern der christlichen Kirchen in Ägypten gesprochen haben. Ihre Schwester Jacqueline weiss die Katholiken des Landes am Nil aber auch durch die Kopten unter Druck. “Sie verbünden sich manchmal mit den Muslimen gegen uns. Sie halten uns katholische Christen für schlimmer als die Muslime.”

Auch Viviane ist mit Gläubigen ihrer armenisch-katholischen Pfarrei aus Kairo gekommen. Die mitgeführte ägyptische Flagge weht stolz über ihren Köpfen. “Der Papst ist der Repräsentant Christi. Ihr in Europa könnt Euch gar nicht vorstellen, was das für uns heisst. Es bedeutet, dass wir dazugehören, eine geistliche Heimat haben. Das ist so wichtig. Wir armenischen Katholiken bilden in Ägypten eine winzige Minderheit. Die Kopten sind eine Minderheit, aber eine grosse. Die Katholiken sind dabei nur wenige. Und dann wir Armenier erst!” Den multikonfessionellen Libanon betrachtet die 58-Jährige als Modell des Zusammenlebens von Muslimen und Christen. “In Ägypten funktionierte das bislang in den meisten Fällen auch. Ich habe viele muslimische Freunde. Aber seit die Islamisten so stark sind, haben wir grosse Angst. Niemand weiss, wohin das Land sich entwickelt.” Gehen wie so viele – pessimistische Schätzungen sprechen von 100 000 Christen, die das Land seit der Revolution verlassen haben – will sie nicht. “Ägypten ist meine Heimat. Ausserdem wissen wir Christen was es heisst, sein Kreuz zu tragen.” In seiner Predigt wird der Papst später dazu aufrufen: “Sich in die Nachfolge Jesu zu stellen, heisst sein Kreuz zu nehmen, um ihn auf seinem Weg zu begleiten, einem beschwerlichen Weg, der nicht der Weg der Macht oder des irdischen Ruhmes ist, sondern der Weg, der notwendigerweise zur Entsagung führt und darin besteht, sein Leben für Christus und das Evangelium zu verlieren, um es zu retten. Denn wir sind sicher, dass dieser Weg zur Auferstehung, zum wahren und endgültigen Leben mit Gott führt.”

Exemplarisch hatte der Papst den Christen des Orients am Vortag vorgemacht, was es heisst, dem Frieden durch das Gespräch mit den Muslimen zu dienen. Im Präsidentenpalast versammelte sich das öffentliche Leben des Landes – Regierung, Diplomaten, Religionsführer und Künstler –, um seine Worte zu hören. Die dort gehaltene Ansprache darf als “magna charta” der Erziehung zum Frieden bezeichnet werden. Der Papst: “Die Grösse und der Seinsgrund jedes Menschen sind nur in Gott zu finden. Die bedingungslose Anerkennung der Würde jedes Menschen, eines jeden von uns und die Anerkennung der Heiligkeit des Lebens schliessen die Verantwortung aller vor Gott ein. Wir müssen deshalb unsere Anstrengungen vereinen, um eine gesunde Anthropologie zu entwickeln, die die Einheit der Person einschliesst. Ohne sie ist der Aufbau wahren Friedens nicht möglich.” Papstsprecher Lombardi zufolge soll Libanons mächtiger Parlamentspräsident Nabih Berri, ein Schiit, nach der Rede derart beeindruckt gewesen sein, dass er dringend die Verbreitung der Rede im ganzen Nahen Osten gewünscht habe.

Zuvor war Benedikt mit den Führern der Sunniten, Schiiten, Drusen und Aleviten zusammengetroffen. Kunstvolle Turbane sassen da den Soutanen der kirchlichen Hierarchie gegenüber. Es war ein privater Gedankenaustausch unter Monotheisten, dem aufgrund der Empörung über den Anti-Islam-Film besondere Bedeutung zugekommen war. Dennoch: Der oberste Führer der Sunniten im Libanon, Scheich Quabbani, betonte nach dem Gespräch: “Wir Muslime wollen, dass die Christen des Nahen Ostens bleiben.” Er nahm einen Gedanken des maronitischen Patriarchen Rai auf, der gefordert hatte, die blosse Koexistenz der Religionen im Libanon zu einer echten Kommunion weiterzuentwickeln.

Gewiss, der Besuch des Papstes galt zunächst den Christen des Libanon wie der Region. Dennoch waren die islamischen Geistlichen bei fast jedem Auftritt des Papstes zugegen, von der Ankunft bis zum Abflug. Vor allem aber drängten sich auch einfache Muslime, Benedikt XVI. zu sehen. Die libanesische Salesianerschwester Fida etwa klagte augenzwinkernd: “Als wir am Samstagmorgen dem Papst vom Strassenrand aus zujubeln wollten, als er im Papamobil zum Präsidentenpalast fuhr, kamen wir gar nicht bis in die erste Reihe, weil da lauter Muslime standen. Aber ich habe ihnen gerne den Vortritt gelassen. Die Muslime spüren die Aura des Heiligen, die um den Papst ist. Das verehren sie.”

Die erhabene Stimmung zu entweihen, die während des Besuchs über dem Land lag, vermochte auch der sich im nordlibanesischen Tripoli austobende sunnitische Mob nicht. Aus Empörung über das Anti-Islam-Video griffen Krawallmacher dort amerikanische Fast-Food-Ketten an. Auch dem Papst war gedeutet worden, dass seine Anwesenheit im Libanon unerwünscht sei. Doch blieb dies ein Randaspekt einer ansonsten makellos schönen Reise. Bis in die Körpersprache hinein waren der Respekt spürbar, den die politische und religiöse Führung des Landes – Maroniten, Schiiten, Sunniten – dem Gast aus Rom entgegenbrachten. Und auch der Heilige Vater selbst war berührt von der Herzlichkeit und Begeisterung, die ihm entgegengebracht wurden. Seine Worte zum Abschied drücken diese Rührung aus: “Die arabische Welt und die ganze Menschheit werden gesehen haben, wie sich Christen und Muslime vereinen, um den Frieden zu feiern. Im Nahen Osten ist es Tradition, den Gast, der sich auf der Durchreise befindet, mit Aufmerksamkeit und Respekt zu empfangen; und das habt ihr getan. Dafür danke ich allen. Aber im Hinblick auf Achtung und Respekt habt ihr eine Ergänzung vorgenommen; sie ist mit einem dieser berühmten orientalischen Gewürze vergleichbar, das den Geschmack der Speisen bereichert: Eure Wärme und eure Herzlichkeit haben mir darauf Geschmack gemacht wiederzukommen. Dafür danke ich euch besonders. Möge euch Gott dafür segnen!”

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