Ecclesia semper instauranda

Ein Gastkommentar von Michael Gurtner

“Immer wieder hört und liest man den Satz, dass sich die Kirche kontinuierlich und beständig erneuern, ‚reformieren‘ müsste.“

Salzburg, kath.net, 23. August 2012

Immer wieder hört und liest man den Satz, dass sich die Kirche kontinuierlich und beständig erneuern, “reformieren” müsste. Als Schlagwort gibt man dabei meist den Topos “ecclesia semper reformand” an. Diese Forderung wird bisweilen dermassen überzogen, dass sie teils gar schon als Wesen der Kirche dargestellt wurde – eine Position, welche dogmatisch freilich vollkommen unhaltbar ist, da das Wesen der Kirche Heiligkeit und somit bleibendes Sein beim ewigen und unveränderbaren Schöpfergott, und nicht stetige Änderung ist.

Die doppelte Bedeutung der reformatio

Unter der Forderung “Reform” wird, besonders in den Übersetzungen des Lateinischen Terminus, meist eine “Neumachung” verstanden. Dies ist einerseits der eigentlichen Bedeutung des reformatio-Begriffes, so wie er der katholischen Tradition entstammt, komplett fremd, andererseits aber scheint er doch die Bedeutung des Ursprungs des Topos “ecclesia semper reformanda” wiederzugeben, welcher in der calvinistischen Reformation zu suchen ist, und welche zwar nach eigenen Angaben insofern an den traditionellen Begriff anknüpfen, als sie vorgaben, die Kirche von ihrem Uneigentlichen und Sündhaften reinigen und so zu ihrem Urauftrag zurückführen, d.h. von unangemessenen Neuerungen befreien zu wollen, so wie es auch das Bestreben der sog. “Reformorden” des Mittelalters war (Zisterzienser, Kamalduenser, Prämonstratenser etc.), in Wirklichkeit jedoch genau das Gegenteil taten und eben gerade doch eine neue Kirche entwarfen, indem sie beständig Neues forderten und umsetzten, so dass sich schliesslich die Reformatoren von der Kirche trennten und ihre eigene Glaubensgemeinschaft umsetzten.

Während die Reformen im katholischen Sinne stets eine strengere, wenn man so will “konservativere” Observanz des Glaubenslebens und eine genauere Beachtung und Umsetzung des vorgegebenen Offenbarungsschatzes meinen und meist gegen den Zeitgeist gehen (wenngleich nicht als Selbstzweck, sondern eher “trotz” als “wegen” des Zeitgeistes), ist die “Reform” im reformatorischen Sinne eher ein Konstrukt des Augenschlags der momentanen Geschichtsstunde – heute oft umschrieben mit “die Zeichen der Zeit erkennen”.

Der reformatio-Begriff steht von daher in der Spannung der zwei im Grunde entgegengesetzten Bedeutungen von “etwas Neues machen” und “wiederherstellen des Verlorengegangenen”.

Von katholischer Seite verstand man im Unterschied zu der calvinistischen und lutherischen Reformation die “reformatio” immer in einem sehr wörtlichen Sinne des re-formare, also des Zurück-Formens und des Wiederaufnehmens des Alten insoweit es sich bewährt hat, jedoch im Zeitenlauf verlorengegangen war. Dabei war das Kriterium die Angemessenheit, nicht die Bequemlichkeit, es wurde die Frage nach der Wahrheit gestellt und nicht jene nach den Stimmungen und Tendenzen des Momentes. “Ecclesia semper reformanda” ist somit ein stark protestantisch bzw. reformatorisch geprägter Topos, welcher diese Bedeutungen auch mit sich in die Kirche hineingetragen hat. Oft genug ist genau dies auch offen gemeint, wenn die Forderung nach “Reformen” (in) der Kirche erhoben werden.

Reformatio oder instauratio?

Ein solches Verständnis ist jedoch schwer defizitär und nicht nur aus praktischer, sondern noch viel mehr aus dogmatischer Sicht höchst problematisch. Der Begriff selbst ist allein schon aus dessen Geschichte viel zu ambivalent als dass er ohne Gefahren eines Missverstehens gebraucht werden könnte; man kann zwar Rechtes darunter verstehen, jedoch auch genau das Gegenteil. Solche termini sind von daher zwar durchwegs für den Augenblick bequem, weil jeder darin das wiederfinden kann was er selbst denkt, aber es ist im Grunde doch ein Ausweichen der Probleme; das aufgeschobene Problem erscheint für den Moment zwar als ein gelöstes, doch wird es zu einem späteren Zeitpunkt um so geballter und unaufschiebbarer zurückkehren. Glaube aber will sich präzise ausdrücken, da alles andere diesem abträglich ist und ein schleichender Prozess der Verwirrung einsetzt.

Jenes, was der “reformatio” im katholischen Sinne viel besser entspricht, ist die “instauratio”. Diesen Begriff finden wir im Hymnus des Epheserbriefes, welcher in der deutschen Einheitsübersetzung leider nur unzureichend mit “vereinen” wiedergegeben ist; “instaurare” meint vom Lateinischen her viel eher “erneuern” im Sinne von “wiederinstandsetzen”, “wiederherstellen”. Dieser Hymnus weist auf den göttlichen Heilsplan hin, der auf die Kirche abzielt. Die Bestimmung des Menschen ist seit jeher, das heisst bereits seit vor der Schöpfung der Welt, die Heiligkeit, was nichts anderes bedeutet als die volle Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott. Dies ist uns in der zweiten göttlichen Person, also dem Sohn, geoffenbart und “instauriert” worden, d.h. die Möglichkeit, unserer Bestimmung zu entsprechen, wurde uns durch das Blut des Gottessohnes wiedererlangt, nachdem sie durch die Erbschuld verlorengegangen war. Die Ursache dieser gnadenhaften, also unverdienten Wiederherstellung ist der ewige Ratschluss des Vaters, der seinen Sohn sendet um uns dieses Mysterium des Heiles zu offenbaren und uns selbiges wiederzuerlangen. “omnia in Christo instaurare” bedeutet also nichts anderes, als dass die Möglichkeit der Heilsfülle den Menschen in Christus, genauerhin durch seinen Sühnetod am Kreuz, wiedererstellt ist.

Das ist die “Kirche”, die “Heiligkeit”, welche verloren war und in Christus nun “instauriert” ist.

Nun ist die Kirche eine übernatürliche Wirklichkeit, welche wesenhaft Heiligkeit ist. Als das Heil, und somit die volle Kirchengliedschaft, verwirkt war, wurde sie von Christus instauriert, so sagten wir. Dies geschah im neuen Bund, welchen Gott mit dem Menschen geschlossen und durch sein Blut besiegelt hat. Dieser Bund hat nicht bloss eine bleibende Gültigkeit, sondern in den heiligen Sakramenten, speziell im Priestertum und der heiligsten Eucharistie, hat dieser Bund auch eine bleibende Realität erhalten, indem das Erlösungsopfer immer neu vergegenwärtigt wird. Christus hat das, was zerbrochen war, vollständig instauriert. Die Kirche ist und bleibt absolute Heiligkeit, in und durch welche der Mensch wieder sein Heil finden kann zu welchem er bereits vor dem Schöpfungsakt Gottes bestimmt war.

Allerdings ist die Kirche nicht bloss eine übernatürliche Heilswirklichkeit, sondern ist auch in die immanente Schöpfung eingewoben; ja die Schöpfung selbst ist auf die Kirche hin geschaffen. Deshalb ist sie auch eine sichtbare Kirche, welche, ähnlich wie die heiligen Sakramente, eine unsichtbare Realität sichtbarstellt. Wie die potentielle Heilsfülle jedoch verletzt war, welche nun zwar wiederhergestellt ist, deren Brüche jedoch noch immer spürbar sind, so ist auch die sichtbare Kirche diesen Wirkungen zwar nicht substantiell, jedoch sehr wohl aktuell unterworfen.

Das heisst mit anderen Worten, dass nicht alles, was in der Kirche nach aussen hin sichtbar getan wird, der inneren Wirklichkeit der Kirche und ihrem inneren Wesen entspricht. Die Kirche selbst ist absolut unfähig zur Sünde, jedoch können ihre Glieder sündigen. Sünde aber bedeutet immer ein handeln gegen die Heiligkeit, welche ja das Wesen der Kirche ist. Sünde ist zunächst ein Handeln gegen den Willen Gottes, welches uns ein Stück weit aus der vollen Gemeinschaft mit ihm entfernt. Anders formuliert: Sünde ist ein Handeln gegen den Willen Gottes, das uns von diesem entfernt, und damit ist es ein handeln gegen die Kirche, welche ja immer Gottesgemeinschaft und somit Heiligkeit ist. Wo es nun zu menschlichen Handlungen kommt, welche dem Wesen der Kirche entgegenstehen, wird selbiges verdunkelt und erscheint manchen als “Sünde der Kirche”, da die Sünde der Menschen auf die Kirche projiziert wird, welche selbst jedoch absolut unsündig ist.

Die Kirche muss sich selbst also nie reformieren, kann sie im Grunde genommen auch gar nicht, sondern deren innerweltliche Gestalt, wie sie uns in struktureller Weise, etwa der Hierarchie, vorliegt, muss stets aktiv bestrebt sein, all jene Handlungen ihrer Glieder aus ihr zu entfernen, welche dem Wesen der Universalkirche im Gesamtsinne, d.h. nicht nur der “Weltkirche”, widersprechen und dieses verdunkeln.

Solche Handlungen wären, um nur ein Beispiel zu nennen, all jene Reformen, welche unter den vorhin gennannten Bereich der gemachten und geplanten Neuerungen fallen, die dem Wesen und der gottgegebenen Struktur der Kirche widersprechen.
Wo es im Zeitenlauf dennoch zu solchem kommt, muss sich die Kirche durch ihre sichtbare Leitung von eben diesem entledigen und somit den Urstand der Kirche wieder herstellen, oder, anders gewendet, instaurieren. Dies ist jedoch etwas fundamental anderes als reformieren, ja man könnte es beinahe als das Gegenteil davon bezeichnen. Die Kirche vollzieht somit in analoger Weise dasselbe an sich, was auch Christus vollzogen hat.

Instauratio bedeutet nicht Archäologismus

Man darf jedoch nicht meinen, mit der Forderung nach der Abkehr von der restauratio hin zur instauratio sei einem Archäologismus das Wort geredet. Dies wäre ein fatales Missverständnis. Es kann nicht das Streben der Kirche sein, zu einem kulturell-musealen Kulturschatz zu werden, so wie man alte Bauten auf ihre Grundsubstanz zurückzuführen sucht oder nach der frühesten Schicht eines alten Freskos sucht. Das würde in Konsequenz bedeuten, die Kirche des Jahres 33 zu kopieren und zu konservieren.

Bei der Forderung nach einer instauratio geht es vielmehr darum zu bewerten, was das Wesen der Kirche in ihrer immanenten Gestalt von dieser fordert, was ihrem Auftrag dient und was die Offenbarungswahrheiten bestmöglich darstellt. Es ist also keine Spur von Reduktionismus gefordert, der nur gleichsam das allernötigste gelten lassen möchte und rein auf das Alter einer Sache schaut. Es geht vielmehr darum, all das zu fördern, was dem rechten Glauben der Menschen und der angemessenen kultischen Verehrung unseres Schöpfers dient, und all das zu verbannen was diesem entgegensteht. Es gibt eine legitime Entwicklung, insoweit es eine Vertiefung der Wahrheitserkenntnis gibt. Es wäre von daher unsinnig, unterschiedslos alles “urkirchliche” den “düsteren mittelalterlichen Überwucherungen” vorzuziehen. Was nützt, dem Wesen der Sache angemessen ist und der Wahrheit dienlich, muss gefördert, erhalten und nötigenfalls wieder eingeführt werden. Dabei muss es sich notwendiger Weise um theologische Urteile handeln, nicht um kulturell-soziologische.

Instauratio und Entweltlichung

Instauratio ist auch ein Stück weit “Entweltlichung”. Nicht in dem Sinne, dass alles was nach “Welt” riecht aus der Kirche ohne Unterschied verbannt werden müsste, aber doch in dem Sinne, dass man auch in der Kirche die Gesetze der Welt nur soweit anwenden darf, aber umgekehrt auch wieder soweit anwenden muss, als sie dem Kult, der Glaubensvermittlung und der Heiligung der Menschen dienlich sind. Pecuniärer Reichtum der Kirche ist in sich etwa weder gut noch schlecht, sondern dessen Qualität ist davon abhängig, wofür man diesen einsetzt. Mit viel Geld kann die Kirche viel Gutes tun für Kult, Glaube und Caritas. Doch muss das Geld im Dienste dieser Dinge stehen, dann ist es als “gut” zu beurteilen. Wo sich aber der Spiess umdreht und die finanziellen Mittel nicht mehr im Dienst der genannten Dinge stehen, sondern umgekehrt diese Dinge im Dienste der Geldvermehrung (Anpassung der Glaubensverkündigung an die Nachfrage, Demokratisierung des Kultes, Enttheologisierung des kirchlichen Strukturgefüges, Ausverkauf der Moral etc.), dort wird das Geld zum Ballast für die eigentlichen Notwendigkeiten der Kirche; es ist ihrem Auftrag nicht mehr förderlich, sondern hinderlich.

In einer solchen Situation das Finanzsystem zu ändern, um die Wahrheiten Gottes in Kult und Verkündigung wieder deutlich erstrahlen zu lassen, wäre ein solcher Instaurationsakt. Auch wo die Liturgie ärmlich geworden ist und wie ausgeplündert erscheint, wäre eine erneute Anreicherung der kultischen Kultur ein hoher Gewinn und ebenfalls ein Akt der Instauration, weil der recht begangene Kult Wahrheitsgemäss ist und somit etwas freilegt. Auch wo alte, aber dennoch nicht minder wahre Lehren wieder vermehrt vorgetragen werden, auch wenn sie nicht”„mainstreamtauglich” sind, geschieht “Entweltlichung” oder “instauratio”. Der Massstab ist also weder Zeit noch Alter, sondern allein die Angemessenheit an das Wahre, das in Christus offenbar wurde. Nach diesem Kriterium muss die Kirche stets ihr Tun prüfen und gegebenenfalls Verlorenes wiederherstellen und zurück-formen. Von daher gilt: ecclesia semper instauranda!

Mag. theol. Michael Gurtner ist katholischer Theologe aus der Erzdiözese Salzburg

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